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Herausforderung Süd-Kaukasus

Im Süd-Kaukasus leben rund 1,5 Millionen Menschen als intern Vertriebene. Keystone

Georgien, Armenien und Aserbeidschan sind geprägt von grossen Gegensätzen. In der Öffentlichkeit wird diese Schnittstelle zwischen Asien und Europa nur wenig wahrgenommen.

Die Schweiz versucht, durch entwicklungspolitische und wirtschaftliche Projekte zu Stabilität in der Region beizutragen.

Bei der Jahreskonferenz der Zusammenarbeit des Bundes mit Osteuropa und der Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten (GUS) stand am Dienstag der wirtschaftliche Umbau-Prozess der Republiken im Süd-Kaukasus im Zentrum. In Workshops wurden Themen wie Reform der Finanzsysteme, Rolle des Staates und der Privatwirtschaft oder «Good Governance» (gute Regierungsführung) erörtert.

Die Hilfe an die Staaten des früheren Ostblocks läuft seit Jahren in Abstimmung zwischen der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (seco). Ein wichtiger Ansatz der Projekte ist die «Hilfe zur Selbsthilfe».

Beitrag zur Lösung der Konflikte

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey sprach vor Vertretern der Regierungen Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens den kulturellen, religiösen und ethnischen Reichtum dieser Länder an.

Doch gerade durch diese Vielfalt seien die drei Republiken nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch vermehrt in Konflikte sozialer und machtpolitischer Natur gestürzt worden. In diesem Umfeld sei der Einsatz für Friedensförderung und Stärkung der Privatwirtschaft wichtig, begründete die Aussenministerin die Hilfe der Schweiz an die Länder im Südkaukasus. Damit leiste man indirekt auch einen Beitrag zur Lösung der Konflikte.

Die Macht der Nachbarn

Rund 15 Millionen Menschen leben im Süd-Kaukasus, in einer Region, die sich vom Schwarzen bis zum Kaspischen Meer erstreckt. Zahlreiche Völker mit verschiedenen Kulturen, Religionen und Sprachen prägen die Region an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien. Nachwirkungen von ethnischen Konflikten und Kriegen lasten schwer auf dem Süd-Kaukasus. Weite Teile der Bevölkerung sind verarmt.

Die seit 1991 unabhängigen Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan sind umgeben von mächtigen Nachbarn. Die Regierungen der drei Staaten sind praktisch gezwungen, ihre eigenen Interessen mit den geopolitischen Interessen Russlands, der Türkei, Irans (und via Irak auch der USA) abzustimmen. Stichworte: Erdöl- und Erdgas-Vorkommen.

An einem Tisch

Dass ranghohe Vertreter der drei südkaukasischen Länder auf Initiative von DEZA und seco nun in der Schweiz an einem Tisch sassen und über die wirtschaftliche Transition der Region sprachen, ist schon ein Erfolg. Denn Armenien und Aserbeidschan befinden sich offiziell noch im Kriegszustand, die Grenzen zwischen den beiden Ländern sind geschlossen.

Grund für die eisigen Beziehungen ist der kriegerische Konflikt um die Region Berg-Karabach, die mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird. 1920 war dieses Gebiet von Moskau der damaligen Sowjetrepublik Aserbeidschan zugeschlagen worden. 1991 erklärten sich die Bewohner der Region für unabhängig, Armenien besetzte das Gebiet. Erst 1994 einigten sich die Kriegs-Parteien auf einen Waffenstillstand.

Hilfe für intern Vertriebene

Der Konflikt setzte Flüchtlingsströme grösseren Ausmasses in Bewegung: Die armenische Bevölkerung wurde aus Aserbeidschan verbannt, umgekehrt mussten Bewohner der in Armenien gelegenen aserischen Enklave Nachichewan fliehen.

Georgien hat keine offenen Konflikte mit Armenien und Aserbaidschan. Dafür sind die Beziehungen zu Russland äusserst gespannt, weil der grosse Nachbar im Norden die Abspaltungstendenz der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien unterstützt. Moskau wirft seinerseits Georgien vor, tschetschenischen Rebellen im Grenzgebiet Unterschlupf zu gewähren.

Die zwischenstaatlichen und ethnischen Konflikte haben in der ganzen Kaukasus-Region zu Instabilität geführt. Gegen 1,5 Millionen Menschen sind zu Flüchtlingen geworden, die meisten innerhalb der Landesgrenzen, sie gelten als «intern vertriebene Personen».

Die Schweiz versucht im Rahmen diverser Projekte, die soziale Situation dieser Menschen zu verbessern. Die Arbeit beginnt oft mit der Einrichtung menschenwürdiger Unterkünfte.

Desolate Wirtschaftssituation

Das Problem der Vertriebenen stellt für die drei Kaukasus-Staaten eine zusätzliche Belastung in einer bereits desolaten Wirtschaftssituation dar. Nur Aserbeidschan, das über bedeutende Erdöl- und Erdgasvorkommen am Kaspischen Meer verfügt, zieht ausländische Investoren in grösserem Stil an. In Georgien und Armenien liegt die Industrie seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion praktisch brach.

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in bitterer Armut, während sich gleichzeitig eine superreiche Oberschicht gebildet hat. Ob in Baku (Aserbeidschan), Tiflis (Georgien) oder Eriwan (Armenien): In den Hauptstädten der drei Länder finden sich Luxus-Restaurants und Edel-Boutiquen gleich neben mausarmen und trostlosen Wohnsilos.

Impulse geben

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten versucht die Schweiz, Anstösse für wirtschaftliche Eigeninitiative zu geben. Denn eines der Hauptprobleme ist nach wie vor, eine weit verbreitete (sowjetische) Mentalität zu überwinden, in der nur auf Befehl von oben gearbeitet wird.

Projekte zum Aufbau von landwirtschaftlichen Kooperativen oder zur Entwicklung von zivilgesellschaftlichen Institutionen können hier kleine, aber wichtige Impulse liefern.

Kampf gegen grassierende Korruption

All dies geschieht vor dem Hintergrund einer weit verbreiteten Schattenwirtschaft und grassierender Korruption, die eines der Hauptprobleme der Länder darstellt. Der aktuelle Bericht der Organisation Transparency International bewertet Georgien und Aserbeidschan als besonders korrupt, um Armenien steht es nicht viel besser.

Die politische Führungsschicht ist clanmässig organisiert und arbeitet kaum zum Wohle des Staates, sondern hauptsächlich zum eigenen Wohl. Die Schweiz unterstützt ortsansässige Nichtregierungs-Organisationen, die gegen Korruption vorgehen. Doch die Programme erscheinen oftmals wie ein Tropfen auf einen heissen Stein.

Kein zweiter Balkan

Die Vielfalt von Völkern mit verschiedenen Kulturen, Religionen, Sprachen und Schriften macht aus dem Kaukasus eine krisenanfällige Region. Auf dem Schnittpunkt zwischen Europa und Asien befinden sich die Länder in der Zange zwischen Russland, der Türkei und Iran und deren jeweiligen Einflüssen.

In dieser Region für Stabilität zu sorgen, ist nicht nur im Interesse der direkt betroffenen Länder, sondern auch im Interesse Mitteleuropas und der Schweiz. Ansonsten könnte der Kaukasus zu einem zweiten Balkan werden.

swissinfo, Gerhard Lob

Einwohner Georgien: 4,5 Millionen
Einwohner Armenien:3,5 Millionen
Einwohner Aserbeidschan:7 Millionen
Entwicklungsgelder der Schweiz im Süd-Kaukasus:
11 Mio Franken/Jahr für technische und humanitäre Zusammenarbeit in der ganzen Region (DEZA)
5-8 Mio Franken/Jahr nur Aserbeidschan (seco)
Intern vertriebene Personen: zirka 1,5 Mio

Das Schweizer Engagement im Süd-Kaukasus will einer krisenanfälligen Region auf dem Schnittpunkt westöstlicher Handelswege zwischen Europa und Asien zu mehr Stabilität verhelfen.

Die ehemaligen Sowjet-Republiken Georgien, Armenien und Aserbaidschan, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1991 unabhängig wurden, haben grosse Mühe, wirtschaftlich Fuss zu fassen. Kriege und ethnische Konflikte lasten schwer auf der Region.

Aserbaidschan hat dank grosser Öl- und Erdgasvorkommen die besten wirtschaftlichen Perspektiven. Armenien erhält viel Geld von der Diaspora. Für Georgien sind die Aussichten am trübsten, zumal die Beziehungen zu Russland schlecht sind.

Eine vom Bund organisierte Konferenz befasst sich in Bern mit der «wirtschaftlichen Transition im Süd-Kaukasus».

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