Hilfe für alle Kinder am Geburtsort Jesus
Seit fast 60 Jahren werden im Caritas Baby Hospital in Bethlehem, im Westjordanland, Kinder unabhängig von Herkunft und Konfession betreut. Der abtretende Direktor Ernest-Peter Langensand zieht Bilanz und blickt in die Zukunft.
Wer in Bethlehem nach dem Kinderkrankenhaus fragt, kommt problemlos ans Ziel. Das Spital ist hier so bekannt wie die Geburtskirche. Denn es ist das einzige seiner Art in der West Bank. Pro Jahr werden hier rund 30’000 Kinder behandelt, die meisten davon ambulant. Seit letztem Dezember verfügt das Krankenhaus zudem über eine neue ambulante Klinik, in der auch neurologische und kardiologische Abklärungen möglich sind. Ausserdem wurde die Zahl der Betten erhöht und das Prinzip der kurzen Wege für Patienten und Angestellte eingeführt.
In der Tat: Das Tageslicht, das ins Innere des Gebäudes dringt, wirkt einladend, die Beschriftung ist modern und funktional, das Personal sehr freundlich. Alles im Kinderkrankenhaus scheint sehr professionell und lässt einen fast vergessen, dass dieses Spital in der West Bank steht. Kaum 100 Meter weiter trennt die von Israel errichtete Sperrmauer Bethlehem und damit die West Bank von Jerusalem.
Direktor Ernest-Peter Langensand (65) ist denn auch stolz darauf, dass er mit dem Kinderspital eine europäische Dimension in den Nahen Osten einbringen kann: «Wir sind hier nicht in der Schweiz, das ist klar. Aber wir versuchen trotz der kulturellen Unterschiede und der politischen Lage, den Kindern und ihren Familien ein Höchstmass an Betreuung und Sicherheit zu geben.»
Langensand ist vor sieben Jahren als temporärer Berater nach Bethlehem gekommen. Danach hat er als erster Direktor Abläufe und Finanzen optimiert sowie Neubau und Umbau koordiniert und bereitet nun die Übergabe an seinen Nachfolger vor. Dieser wird sich nicht über mangelnde Arbeit beklagen können. «Seit der zweiten Intifada – also nach 2000 – haben sich die Lebensumstände der Palästinenser stark verschlechtert. Die Arbeitslosigkeit liegt inzwischen bei 60 Prozent. Die Folgen bekommen wir täglich zu spüren», sagt Langensand.
Mutter und Kind im Zentrum
Die meisten Kinder leiden unter typischen Armutskrankheiten wie Magen-Darm-Entzündungen mit Durchfall und Erbrechen. Im Winter kommen noch schwere Unterkühlungen dazu, denn die Häuser – vor allem jene in den beiden UNO-Flüchtlingslagern, die ebenfalls auf dem Stadtgebiet von Bethlehem liegen – bieten zu wenig Schutz vor Kälte. «Da Säuglinge noch fast kein Fettgewebe haben, sinkt ihre Temperatur rascher ab als jene von Erwachsenen», erklärt Chefärztin Hiyam Awad Marzouqa. Viele Kinder leiden auch an Gelbsucht, vererbter Schwerhörigkeit oder ganz einfach an mangelhafter Ernährung.
«Der Druck auf die Familien und vor allem auf die Frauen nimmt zu. Sie müssen ihre Kinder mit nichts durchbringen und ihren arbeitslosen Mann ertragen, der daran verzweifelt, dass er seiner Führungsrolle nicht mehr gerecht werden kann», erklärt Marzouqa. «Wir bieten Müttern eine temporäre Bleibe an. Das heisst: Sie können bei uns eine oder zwei Nächte durchschlafen und bekommen warme Mahlzeiten», ergänzt Ernest-Peter Langensand. «Zuhause können sie dies nicht.»
Hoher Symbolwert
Ein Dach über dem Kopf, medizinische Betreuung und die Möglichkeit, Kinder zur Welt zu bringen: All dies hat einen hohen symbolischen Wert in Bethlehem, dem Geburtsort Jesus. Dass die Idee zur Gründung des Spitals auf ein Ereignis an Heiligabend zurückgeht, verstärkt die Symbolik noch zusätzlich: Auf dem Weg zur Geburtskirche beobachtet der Schweizer Pater Ernst Schnydrig 1952 einen verzweifelten Vater, der sein totes Kind in der Nähe eines Flüchtlingslagers im Morast begräbt. Schockiert ob so viel Leid beschliesst Schnydrig, dass nie wieder einem Kind am Geburtsort Jesus medizinische Hilfe verwehrt werden soll und gründet das «Caritas Baby Hospital».
Heute arbeiten 215 Leute im Kinderspital, die meisten sind Palästinenser. Dazu kommen Spezialisten und Freiwillige aus Deutschland, der Schweiz und aus Italien. Seit 1970 bildet das Spital zudem Krankenpflegerinnen und Krankenpfleger aus. Die raren Ausbildungsplätze sind begehrt, vor allem bei den Frauen, die ansonsten wenig Möglichkeiten haben, sich aus- und weiterzubilden. «Wir sind zu einem volkswirtschaftlichen Faktor in der Region geworden und können das Leben vieler Palästinenser direkt beeinflussen. Gleichzeitig sind wir unseren Gönnern, Spendern und Organisationen verpflichtet. Deshalb müssen wir schon heute an morgen denken und nachhaltig investieren», sagt Ernest-Peter Langensand und verweist auf die Warmwasseraufbereitung mit Solarstrom und die Tatsache, dass immer mehr leitende Positionen mit Einheimischen besetzt werden können.
Pater Ernst Schnydrig gründet 1952 mit dem palästinensischen Arzt Dr. Antoine Dabdoub und der Schweizerin Hedwig Vetter das Caritas Baby Hospital.
1962 gründen Caritas Schweiz und der Deutsche Caritasverband die Kinderhilfe Bethlehem. Der neue Verein zeichnet bis heute für das Spital verantwortlich.
Zusätzlich unterstützt wird die Kinderhilfe von Bistümern in der Schweiz und Deutschland sowie von vielen Verbänden, Organisationen und Einzelmitgliedern in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz.
Die Schweiz engagiert sich seit 1950 für die Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten vor allem durch das UNO-Hilfswerk United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (Unrwa). Rund 1,7 Mio. der insgesamt 4,5 Mio. bei der Unrwa registrierten Flüchtlinge leben in Gaza und der West Bank und machen dort rund 40% der Bevölkerung aus.
1994, ein Jahr nach Abschluss der Osloer Verträge, eröffnete die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Jerusalem ein Kooperationsbüro, um ein Entwicklungsprogramm (Sonderprogramm Palästina) aufzubauen und umzusetzen.
Das Engagement der Deza folgt der Vision, im OPT (Occupied Palestinian Territory) die Grundlagen für einen zukünftigen palästinensischen Staat zu schaffen, und hat zum Ziel, die Aussicht auf Frieden und die Lebensbedingungen in Gaza und der West Bank zu verbessern sowie langfristig überlebensfähige Institutionen zu fördern.
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