Die Schweizer HIV-Prävention gilt in ihrer Direktheit und Wirksamkeit bis heute als Vorzeige-Modell. Ein Buch beleuchtet die Geschichte des Kampfes gegen Aids-Infektionen.
Schweizer und Schweizerinnen gelten als prüde und verklemmt. Doch bei der Bekämpfung der Aids-Epidemie in den 1980er-Jahren liessen die Schweizer Behörden alle Hemmungen fallen – und auf Plakatwänden die Hüllen. In ungewohnt deutlichen Worten und mit anzüglichen Bildern klärten sie die Bürger und Bürgerinnen über das HI-Virus und die Ansteckungsgefahren auf.
Die Schweiz war damit – ähnlich wie in der Drogenpolitik – eine Pionierin. Mit Erfolg: Dank der Präventionskampagnen konnten die Neuinfektionen gesenkt werden. Die von den Schweizern entwickelten drei Safer-Sex-Regeln sowie der Slogan «Stop Aids» wurden bald weltweit eingesetzt.
Ein soeben erschienenes BuchExterner Link zeichnet die 30-jährige Geschichte dieser mutigen Schweizer HIV-Prävention nach.
Im Minimum ein Gummi drum
Zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte versandten die Behörden eine Sex-Broschüre an alle Schweizer Haushalte und sprachen auf Plakaten im öffentlichen Raum von Prostituierten, Drogenabhängigen und Kondomen. Freimütige Slogans wie «Ohne Dings kein Bums» sollten dafür sorgen, dass sich die Nachricht bei den Leuten einprägte. Sogar das Heidi auf der Alp sagte auf einem Plakat: «Ohne? Ohne mich», und hielt ein aufgerolltes Kondom in die Kamera.
Zur Werbekampagne des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) gehörte auch ein Werbesong des legendären Mundartsängers Polo Hofer, der vergangenes Jahr verstorben ist. Der schmissige Refrain (aus dem Schweizerdeutschen): «Beim Seitensprung im Minimum ein Gummi drum.» Der Song hielt sich 1987 wochenlang in der Deutschschweizer Hitparade und verkaufte sich fast 10’000-mal.
Externer Inhalt
Polo Hofer hatte eine Musikerin in seiner Band, die an Aids gestorben war. «Ich habe ihr am Sterbebett die Hand gehalten», erzählte er dem Buchautoren Constantin Seibt – sechs Wochen vor seinem eigenen Tod durch Lungenkrebs.
Pragmatische Schweizer
Das Buch erzählt detailliert, wie die Präventionskampagnen des Bundesamtes für Gesundheit zustande kamen. Das war nämlich alles andere als einfach: Die Schweiz reagierte als eines der letzten Länder auf die Aids-Epidemie. Es waren angeblich Einzelpersonen, die – teilweise unter Überschreitung ihrer Kompetenzen – gegen den Widerstand des katholisch-konservativen Bundesrats Flavio Cotti die Präventionskampagnen durchsetzten.
Laut dem Buch sei das nur durch Drohung gelungen: Man habe Cotti erklärt, er werde als jener gelten, der die Aufklärung über eine tödliche Krankheit verhindert habe…
Laut Seibt handelt das Buch vom Coolsten, was die Schweiz hervorgebracht habe: ihrem Pragmatismus.
Constantin Seibt (Hrsg.), «Positiv. Aids in der Schweiz», Echtzeit Verlag, 2018.
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