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Hohes Suizidrisiko bei jungen Homosexuellen

Junge homosexuelle Menschen haben es häufig nicht einfach. Keystone

Junge Homosexuelle weisen ein höheres Suizidrisiko auf als gleichaltrige Heterosexuelle, da sie oft unter Schikanen und fehlender Unterstützung zu leiden haben. Dies zeigt eine Schweizer Studie. Eine Tagung in Zürich befasst sich mit diesem Thema.

Am Samstag wird an einer Fachtagung über Suizidrisiko und Sexuelle Orientierung in Zürich der Bericht «Sexuelle Orientierung – (k)ein Thema für die Schule» veröffentlicht.

Der Bericht war von verschiedenen Gruppen in Auftrag gegeben worden, darunter Pink Cross, die grösste Organisation in der Schweiz, welche homosexuelle Männer vertritt.

Er basiert auf Studien über Suizid und Suizidversuche homosexueller Menschen im Alter von 16 bis 25, sowohl in der Schweiz wie im Ausland.

«Aus den zitierten Untersuchungen kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass homosexuelle und bisexuelle Jugendliche einem höheren Suizidrisiko ausgesetzt sind als heterosexuelle Männer und Frauen», erklärt der Autor der Studie, Christian Leu, in einem E-Mail-Interview mit swissinfo.ch.

Die exakte Quote ist allerdings schwierig zu beziffern, da nicht alle Studien die gleichen Kriterien anwenden. Laut Pink Cross dürfte das Risiko bei Homosexuellen etwa zwei- bis zehnmal höher sein.

«Nicht die sexuelle Orientierung ist der Grund für ein höheres Suizid-Risiko, sondern Risikofaktoren, auf welche Homosexuelle, Lesben und Bisexuelle anfälliger sind oder die nur auf sie zutreffen, wie das Coming-Out», sagt Leu.

Hohe Suizidrate

Die Suizidrate in der Schweiz ist höher als im europäischen Durchschnitt. Pro Jahr gibt es rund 1400 Selbsttötungen, mehrheitlich Männer.

Zahlen des Bundesamtes für Statistik aus dem Jahr 2006 zeigen, dass Suizid – nach Unfällen – die zweithäufigste Todesursache unter den 15- bis 44-Jährigen war. Schätzungsweise 5 bis 10% der Bevölkerung in der Schweiz ist homosexuell.

Pierre Schommer, Mitglied von Pink Cross und Organisator von Veranstaltungen über die sexuelle Orientierung an Schulen ist besorgt über die Tatsache, dass das Suizid-Risiko unter homosexuellen Jugendlichen höher liegt.

«Es ist höher, weil sie schikaniert, diskriminiert und nicht akzeptiert werden und so keinen Weg finden, ihre Homosexualität in der Gesellschaft zu leben.»

An Schulen komme es unter Jugendlichen häufig zu Belästigungen und Gewalt. Heranwachsende reagierten oft schlecht auf ein Gegenüber, das sich ihrer Ansicht nach nicht «normal» oder «untypisch» für einen Mann oder eine Frau verhalte, erklärt Schommer weiter.

Unter Druck

Dies könne zu grossen Spannungen führen. Schommer selber wusste bereits in der Pubertät, dass er homosexuell war, aber erst im Alter von 24 Jahren stand er dazu.

«Der Druck ist enorm. Ich möchte dies nicht noch einmal erleben müssen. Du musst dich verstecken, dir für eine Party eine Freundin zulegen. Du hasst es und fühlst dich dabei unwohl», sagt Schommer gegenüber swissinfo.ch.

Die eigene sexuelle Orientierung preiszugeben, könne für einen jungen Menschen eine schwierige Erfahrung sein: Er wird von Verwandten oder Freunden abgelehnt, was zu Isolation und Einsamkeit führen kann.

«Diese negativen Erfahrungen können in einem tiefen Selbstwertgefühl enden, in Stress, Stimmungsschwankungen, Drogenmissbrauch oder Selbsttötung», so Leu weiter.

«Die Schule, wo während der Jugend viel Zeit verbracht wird, kann deshalb zu einer Gefahrenzone werden – sie kann aber auch ein sicherer Hafen sein.»

Verhalten der Zielgruppen

Die Tagung, die von denselben Gruppen organisiert wird, die auch den Bericht in Auftrag gaben, fokussiert auf den Umgang der Schule mit der Homosexualität und Bisexualität. Sie richtet sich an Lehrkräfte und die Lehrerbildung.

Die Idee ist, dass das Thema regelmässig auf allen Stufen entsprechend dem Alter der Schüler behandelt wird. Im Kindergarten könnte es zum Beispiel anhand einer Geschichte zur Sprache kommen, wo der Prinz zwei Väter hat.

In anderen Fällen über einen sozialen, historischen oder kulturellen Kontext – indem man beispielsweise eine bekannte homosexulle Persönlichkeit in den Vordergrund rücke, wie Klaus Wowereit, den Bürgermeister von Berlin, meint Schommer.

«Und nicht den Zusammenhang mit Aids und Prostitution herstellt.» Nicht alle Lehrer, so Schommer weiter, fühlten sich gleich wohl bei dem Thema. In der französisch-sprachigen Schweiz würden eher ausgebildete Experten hinzugezogen, als dies in der Deutschschweiz der Fall sei.

Laut dem Bericht haben verschiedene Studien aufgezeigt, dass ein spezieller Lehrplan sowie Selbsthilfegruppen hilfreich sein können.

«Wir brauchen Lehrer, die über Homosexualität Bescheid wissen. Sie sollten nicht Angst davor haben und damit umgehen können», so Schommer.

Isobel Leybold-Johnson in Zurich, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

In der Schweiz sterben pro Jahr ungefähr 1400 Personen an Selbsttötungen, 400 Frauen und 1000 Männer. Dies sind eine bis zwei Personen auf 100 Todesfälle. Es wird angenommen, dass es eine gewisse Anzahl «versteckter» Suizide bei der Klassierung von Unfällen gibt. Unfälle sind die hauptsächliche Todesursache in der Altersklasse zwischen 15 und 44 Jahren.

Die Weltgesundheits-Organisation geht von einer Rate von 24,7 Suiziden bei Männern und von 10,5 bei Frauen auf 100’000 Personen aus. Diese Rate ist höher als in den meisten anderen europäischen Ländern.

Zum Vergleich: In Deutschland liegt die Suizidrate bei 19,7 Männer und 6,6 Frauen auf 100’000 Personen. In England liegt sie bei 10,4 (Männer) und 3,2 (Frauen), in den USA bei 17,7 (Männer) und 4,5 (Frauen), erhoben im Jahr 2005.

Nach Schätzungen haben in der Schweiz 10% der Bevölkerung in einer bestimmten Lebensphase versucht, sich das Leben zu nehmen und jeder zweite Mensch hatte schon einmal Suizidgedanken.

(Quelle: WHO-Studie Suicidal Tendencies and Sexual Orientation)

Die Tagung vom 16.Mai an der Universität Zürich wurde von der Fachgruppe Bildung, die aus Mitgliedern ders Pink Cross, der Lesben-Organisation LOS und der Vereinigung fels (Freundinnen, Freunde, Eltern von Lesben und Schwulen) organisiert. Die Fachgruppe will das Bewussstsein für den Umgang mit sexueller Orientierung in den Schulen erhöhen.

Die Studie über das Suizidrisiko und die sexuelle Orientierung wurde erstellt, weil Forschungen über das Suizidrisiko bei jungen homosexuellen Menschen in der Schweiz fehlen. Ob es Unterschiede zwischen homosexuellen Männern und Frauen gibt, ist nicht erforscht, da sich die meisten Studien auf Männer konzentriert haben.

Ein höheres Bewusstsein für Gesundheit und soziales Wohlbefinden sei in der ganzen Gesellschaft nötig, nicht nur in den Schulen. Der Bericht empfiehlt weiter, die gesamte Suizidprävention in der Schweiz besser zu koordinieren. Auch den Familien komme diesbezüglich eine Schlüsselfunktion zu.

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