«Ich will kein Steigbügelhalter der Macht sein»
Das von ihm gegründete Institut für Föderalismus geniesst weltweites Ansehen. Jetzt beendet der Staatsrechtler Thomas Fleiner seine Karriere an der Uni Freiburg und plant die Gründung eines Föderalismus-Instituts in Budapest.
Wandern, den Garten pflegen? – Das «Nein» kommt mehrmals und mit Nachdruck. «Ich werde auch nach meinem 70. Geburtstag nicht aufhören. Die Lehrtätigkeit ist fast eine Leidenschaft von mir.»
Thomas Fleiner will Bücher schreiben und in Istanbul und Budapest Vorlesungen halten. «Die Gründung eines Instituts für Föderalismus ist auf guten Wegen. Die ungarische Regierung ist stark daran interessiert.»
In Budapest will sich Fleiner ausschliesslich um die akademische Leitung kümmern und nicht mehr eine Doppelrolle als Unternehmer und Professor einnehmen, wie er das während 24 Jahren getan hat.
In Freiburg hat er ausländische Regierungen und Gruppierungen beraten, mehr als 80 Doktoranden zum erfolgreichen Studienabschluss geführt, Forscher aus der ganzen Welt angestellt und bei zahlreichen Schweizer Gesetzen mitgearbeitet.
Vor 20 Jahren war Fleiner einer der damals raren Schweizer Professoren mit regelmässiger Medienpräsenz. Kollegen kritisierten, ein Professor habe sich nicht in der Öffentlichkeit zu äussern.
«Gerade im Bereich des Staatsrechts ist es eine der zentralen Aufgaben, die Öffentlichkeit zu informieren. Es setzt viel mehr voraus, komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen, als in wissenschaftlichen Floskeln zu reden.»
Rechtsstaat muss Grenzen setzen
Fleiner nennt als Beispiel die Einbürgerungs-Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP). «Da muss man konkret und plastisch darstellen, welche Existenzängste das auslöst, wenn eine Gemeinde willkürlich und ohne Begründung eine Einbürgerung ablehnen kann. Das ist diskriminierend.»
Hier müsse der Rechtsstaat Grenzen setzen und die Menschenwürde schützen: «Es wäre naiv zu erwarten, die Politiker würden sich selbst Grenzen setzen. Hitler hat sich auch keine Grenzen gesetzt. Der Nationalsozialismus und die Apartheid in Südafrika waren zwei Regimes, die durch mehr oder weniger demokratische Entscheide immer wieder gerechtfertigt wurden.»
Für Fleiner ist es eine offene Frage, ob die SVP-Initiative das Völkerrecht verletzt. «Ich hätte mir vorstellen können, dass man sie gar nicht hätte zur Abstimmung bringen sollen. Im Kanton Appenzell musste damals auch das Bundesgericht einschreiten, weil die Männer den Frauen das Frauenstimmrecht nicht geben wollten.»
Kosovo: «Untergang des Völkerrechts»
Für Wirbel in den Medien sorgte Fleiners Mandat als juristischer Berater der serbischen Regierung in der Kosovo-Frage. «Man muss als Wissenschafter auch bereit sein, für das Recht zu kämpfen. Viele Juristen sind Steigbügelhalter der Macht, das ist nicht meine Aufgabe», antwortet er auf die Frage, wieso er das Mandat angenommen habe.
«Dass die USA und die EU der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo einfach so zustimmen, das ist der Untergang des Völkerrechts.» Dieses verlange einen Konsens zwischen beiden Parteien. Der sei durch die einseitige Unabhängigkeitserklärung nicht gegeben.
Aufgrund dieser Überzeugung hat Fleiner Serbien angeraten, die Unabhängigkeit der serbischen Provinz beim internationalen Gerichtshof einzuklagen.
Wenn der Entscheid positiv ausfalle, dann müsse die Zukunft des Kosovo neu verhandelt werden. «Die USA haben dort ihre grösste Militärbasis in Europa. Sie haben ein ganz klares strategisches Interesse.»
Bei den UNO-Verhandlungen sei von Beginn weg klar gewesen, dass die Amerikaner ultimativ die Unabhängigkeit wollten. «Die USA haben den Weg über die Verhandlungen lediglich genommen, um der Öffentlichkeit Verhandlungen vorzutäuschen. Da hat sich klar gezeigt, dass die Kosovo-Albaner kein Jota nachgeben wollten und zu keinem Kompromiss bereit waren. Dies, obwohl wir ihnen die verschiedensten Vorschläge für eine Regelung des Status unterbreitet haben.»
Eine Frage der Gleichberechtigung
Grundsätzlich kritisiert Fleiner den Westen, er versuche in der Kosovo-Frage, eigene Modelle zu exportieren: «Wir müssen endlich umdenken, den Leuten vertrauen und beide Parteien auf dieselbe Ebene stellen. Nur so können sie sich zu einer Lösung durchringen. Das braucht viel Zeit. Israel ist nach 60 Jahren noch nicht soweit.»
Das sei auch die Grundphilosophie des Instituts für Föderalismus seit dessen Gründung. «Ausländische Forscher haben hier die Möglichkeit, selber Lösungen zu finden. Wir sind nicht diejenigen, die ihnen die Lösungen vorzeichnen können.»
Kulturelle Vielfalt ernst genommen
Kann man also das Modell des schweizerischen Föderalismus exportieren? «Dieser Meinung war ich nie. Aber ich bin auch der Meinung, dass unser Föderalismus einzigartig ist und viele Aha-Erlebnisse auslöst», sagt Fleiner.
«Die Schweiz ist der einzige Staat in Westeuropa, der den Umstand, dass wir verschiedene Sprachen haben, nicht lediglich privatrechtlich, sondern institutionell geregelt hat. Man hat Minderheitenregelungen eingeführt und damit die kulturelle Vielfalt politisch ernst genommen.»
swissinfo, Andreas Keiser
wurde am 16. Juli 1938 in Zürich geboren.
seit 1969 an der Universität Freiburg. Zuerst Assistent und seit 1971 ordentlicher Professor für Staats- und Verwaltungsrecht.
«Mein Professor hat mir damals gesagt, als Katholik habe ich an der Universität des Zwinglikantons keine Chance.»
1975 bis 1983: Mitglied des IKRK.
von 1983 bis 1985: Dekan der Juristischen Fakultät.
1984: Gründung des Instituts für Föderalismus.
Fleiner war auch Gast-Professor an den Universitäten von Jerusalem, Rouen, Belgrad und an der Cardozo Law School in New York.
Er ist Autor verschiedener Bücher zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht.
Das Institut ist Teil der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg.
Seit den 1990er-Jahren hat es seine Tätigkeiten im internationalen Bereich und damit auch seine Lehr- und Forschungsgebiete ausgeweitet.
Thomas Fleiner steht dem Institut seit der Gründung 1984 vor und hat sich auf internationaler Ebene mit seinen Forschungs- und Beratungstätigkeiten einen Namen gemacht.
So hat er zum Beispiel Griechenland im Konflikt um Zypern und die serbische Regierung in der Kosovo-Frage beraten.
1992 wurde Fleiner mit der Leitung einer KSZE-Mission in allen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens betraut.
Fleiner tritt diesen Sommer als Direktor zurück und hatte kürzlich seine Abschieds-Vorlesung. Nachfolger wird der bisherige Vizedirektor Peter Hänni.
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