IKRK spricht von Folter in CIA-Gefängnissen
Ein noch unveröffentlichter Bericht des IKRK in Genf listet Misshandlungen von Gefangenen durch den US-Geheimdienst CIA auf. Laut Menschenrechts-Organisationen sind die Verfehlungen derart gravierend, dass sie für ein Verfahren ausreichen.
Obwohl das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) den Bericht offiziell noch nicht vorgestellt hat, publizierten Medien bereits Auszüge daraus oder werden solche in Bälde veröffentlichen.
Demnach berichteten Opfer aus erster Hand über die Verhörmethoden, welchen Al-Kaida-Verdächtige in Geheimgefängnissen ausgesetzt gewesen waren. Brisante Schlussfolgerung des IKRK: Die Methoden bedeuteten Folter.
Zugespielt wurde der Bericht Mark Danner, einem US-Autor und Professor an der University of California in Berkeley. Am kommenden 9. April wird die renommierte New York Review of Books darüber berichten. Titel des Artikels: «US-Folter: Stimmen aus der Dunkelkammer.»
«Dies ist verheerend für die abgetretene Bush-Administration, sozusagen der Nagel in den Sargdeckel», sagt Reed Brody von der Menschenrechts-Organisation Human Rights Watch (HRW) gegenüber swissinfo.
Endlich Beweise
Der Bericht sei deshalb bedeutend, weil sämtliche bisherige Vermutungen durch Gefangene bestätigt worden seien, so Brody, HRW-Sprecher für Europa und Autor mehrerer Bücher zum Thema der Misshandlung von Gefangenen.
Die unweigerliche Schlussfolgerung liegt laut Brody darin, dass US-Behörden in kriminelle Aktivitäten verstrickt waren, welche eine Verletzung von Internationalem und US-Recht darstellten.
Der Bericht liefert Menschenrechts-Organisationen genügend Anhaltspunkte, damit Angehörige der Bush-Administration vor Gericht kommen. «Es liegen genügend Beweise vor, um eine umfassende Untersuchung über das US-Programm zu den geheimen Gefangenen seit den Anschlägen vom 11. September 2001 einzuleiten», sagt Rob Freer von Amnesty International (AI).
«Das IKRK spricht nicht leichtfertig von Folter. Folter ist gemäss Internationalem Recht ein Verbrechen. Liegen glaubwürdige Anschuldigungen vor, müssen die USA diesen nachgehen und die allfällige Täter vor Gericht bringen.»
Direkten Zugang zu Insassen
Das IKRK stützt sich auf Aussagen von 14 Insassen, die der US-Auslandsgeheimdienst CIA als «hochwertige» Gefangene in geheimen Kerkern festgehalten hatte. IKRK-Mitarbeiter konnten mit ihnen sprechen, nachdem dei Gefangenen 2006 nach Guantanamo überstellt worden waren.
Im IKRK-Report, der bereits 2007 verfasst wurde, berichteten die Gefangenen laut Mark Danner von Langzeit-Isolation, so genanntem Waterboarding (vorgetäuschtem Ertränken), Ausharren in ermüdender Körperstellung und Nacktheit sowie von Schlägen, der Verweigerung fester Nahrung und weiteren Misshandlungen.
Das IKRK hat die Echtheit der durchgesickerten Informationen nicht bestritten. Am Sitz in Genf wird aber deren vorzeitige Publikation bedauert. Die CIA ihrerseits wollte nicht Stellung nehmen.
In der Verantwortung
2006 gab der damalige US-Präsident George W. Bush zu, dass nach dem 11. September 2001 Verdächtige von Al Kaida im Verhör Zwangsmassahmen ausgesetzt waren. 2007 gab er an, dass die Verhörmethoden im Einklang mit den Genfer Konventionen stünden.
Nachfolger Barrack Obama fährt einen neuen Kurs: Er verfügte die Schliessung der Geheimgefängnisse, auch Dunkelkammern genannt («Black Sites»). Ferner darf die CIA nur solche Verhörmethoden anzuwenden, die im Einklang mit den Bestimmungen der US-Armee stehen.
Politisches Kalkül?
Laut Spekulationen fand der IKRK-Bericht gezielt via neuer Obama-Administration den vorzeitigen Weg an die Öffentlichkeit. Demokraten hatten im US-Kongress nämlich die Einsetzung einer Wahrheitskommission verlangt, welche mutmassliche Missbräuche der Bush-Regierung unter die Lupe nehmen soll. Namentlich deren «Krieg gegen den Terror», CIA-Geheimgefängnisse oder illegale Verhörmethoden. Republikaner hatten den Vorstoss als «Hexenjagd» bezeichnet.
Obama zeigte sich reserviert gegenüber einer solchen Wahrheitskommission. Der Blick in die Zukunft interessiere ihn mehr als derjenige in die Vergangenheit, sagte er. Obama begrüsst aber allfällige Gerichtsverfahren, da sich niemand über das Gesetz stellen sollte.
Ansehen zurückgewinnen
Reed Brody von Human Rights Watch zeigt zwar Verständnis für diese Haltung. Aber die USA würden Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn sie diese Tatbestände untersuchten und Verstösse sanktionierten.
«Es wäre ein sehr wichtiger Schritt, der Welt zu zeigen, dass wir diese Taten nicht nur für falsch halten, sondern auch ernsthaft bemüht sind, diejenigen zu bestrafen, die in solch unamerikanische Aktivitäten verwickelt waren», sagt Reed Brody.
swissinfo, Simon Bradley, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)
2005 berichtete die US-Zeitung Washington Post erstmals über Geheimgefängnisse, in denen die CIA Verdächtige der Al Kaida festhalte.
Solche «Dunkelkammern» seien als Folge von «9/11» in Ägypten, Jordanien, Marokko und weiteren Staaten eingerichtet worden.
Der Schweizer Ständerat Dick Marty wurde darauf vom Europarat mit einer Untersuchung über die Existenz von CIA-Geheimkerkern in Osteuropa betraut.
In seinem ersten Bericht hielt Marty fest, dass 14 europäische Staaten mit der CIA im Netz von Menschenrechtsverletzungen hingen. Weitere Länder, auch die Schweiz, hätten passiv dazu beigetragen.
2006 räumte Präsident Bush erstmals ein, dass die CIA Terrorismus-Verdächtige in Geheimgefängnissen festhalte.
2007 wies Bush Vorwürfe zurück, dass die US-Behörden Folter anwendeten.
Sein Nachfolger Barack Obama ordnete die Schliessung Guantanamos sowie der geheimen CIA-Gefängnisse an.
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