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Internationales Tauziehen im Fall Adamow

Über Ex-Minister Adamows Schicksal wird in der Schweiz entschieden. Keystone Archive

Mit dem in Bern festgenommenen russischen Ex-Minister Adamow findet sich die Schweiz im Zentrum eines Streits zwischen Moskau und Washington.

Bern muss entscheiden, an welches Land er ausgeliefert werden soll. Es geht um den Zugang zu Informationen über Russlands Atomwaffen-Programm.

Jewgenj Adamow wurde Anfang Mai auf Ersuchen der USA in Bern festgenommen. Die USA verdächtigen ihn, während seiner Amtszeit als Atomenergie-Minister von 1988 bis 2001 neun Millionen Dollar unterschlagen zu haben, die für die Erhöhung der atomaren Sicherheit Russlands bestimmt waren. Er soll die Gelder in verschiedene Projekte investiert und an von ihm beherrschte US-Firmen weitergeleitet haben.

Experten behaupten indessen, die USA hätten den Verdacht gegen Adamow wegen Unterschlagung, Steuerhinterziehung und Betrug absichtlich erhoben, um in dem Fall an Informationen über das russische Atomwaffen-Programm heranzukommen.

«Es geht nicht um das Geld, das Adamow angeblich abgezweigt oder veruntreut haben soll, sondern um sein Wissen über das russische Atomwaffen-Programm», sagt André Liebich gegenüber swissinfo. Liebich ist Zentral- und Ost-Europa-Experte am Genfer Institut universitaire de hautes études internationales (IUHEI).

Atomarer Rüstungsabbau

«Die USA waren sehr erpicht auf den Abbau dieser Programme und den Rüstungsabbau in Russland und bezahlten einen Teil dieses Prozederes. Adamow steht da mitten drin, und die USA sind offensichtlich unzufrieden über die Art und Weise, wie Russland in dieser Sache vorgeht», erklärt Liebich.

Nach Ansicht des Experten ist der Fall Adamow ein Versuch Washingtons, Druck auf Moskau in Sachen Abrüstung auszuüben. Für Liebich «ein weiteres Zeichen für die Verschlechterung der Beziehungen zwischen den beiden Atommächten».

Dabei sei die Schweiz unglücklicherweise mitten in das jüngste Tauziehen zwischen den USA und Russland geraten, so Liebich.

Moskau hat die Schweiz diese Woche formell aufgefordert, Adamow schnellstmöglichst nach Russland auszuliefern. Das Auslieferungsersuchen stützt sich auf einen Haftbefehl eines Moskauer Gerichtes vom 14. Mai gegen den 2001 wegen Korruptionsverdachts abgesetzten Atomenergie-Minister.

Entscheid gefordert

Die US-Behörden ihrerseits haben noch bis im Juni Zeit, das formelle Auslieferungsbegehren an Bern zu stellen. Geschieht dies, muss die Schweiz zwischen den beiden Begehren entscheiden.

Auslieferungsverträge bestehen mit beiden Staaten. In einem solchen Fall würden alle Umstände genauestens geprüft, wie es hiess. Dazu gehören Schwere und Ort des angeblichen Vergehens, die Korrektheit der Fristen der eingereichten Begehren, die Nationalität des Angeschuldigten und die Möglichkeit der Auslieferung an einen Drittstaat.

Adamows Einsprache

Der Inhaftierte müsse angehört werden, sagt die Zürcher Rechtsprofessorin Helen Keller gegenüber swissinfo. «Er kann beispielsweise herausstreichen, dass die ganze Affäre ein politischer Prozess ist. Die Schweiz muss das dann sehr ernst nehmen.» Er könne auch jede Entscheidung anfechten.

Keller streicht heraus, dass das Gesuch aus Moskau vor demjenigen der USA in Bern eingetroffen sei. Deshalb hätten die Russen seither die Nase vorn. Man müsse aber ebenfalls genau prüfen, ob ihm Russland einen fairen Prozess mache, so Keller.

Unabhängigkeit der russischen Justiz?

«Es gibt Bedenken, dass die russische Justiz nicht unabhängig ist, wie wir im Fall Jukos gesehen haben.» Sie rechnet jedenfalls damit, dass Russland Druck aufsetzt, damit Adamow in die Heimat abgeschoben werde.

Geschieht dies nicht, rechnet André Liebich mit Gegenmassnahmen gegen Schweizer Interessen und Bürger in Russland. Als Opfer kämen dann am ersten Schweizer Unternehmen in Frage, die gegen ein Gesetz verstossen haben sollen. «Es ist schwierig, in Russland Geschäfte zu machen, ohne das eine oder andere Gesetz zu verletzen», so Liebich.

swissinfo, Dale Bechtel
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)

Jewgeni Adamow war 1998 unter dem Regime von Boris Jelzin zum russischen Atomenergie-Minister berufen worden.

Nach der Regierungs-Umbildung im Jahr 2001 führte er sein Amt unter Präsident Vladimir Putin weiter.

Im selben Jahr wurde er wegen Korruptions-Verdachts abgesetzt.

Ein Untersuchungsbericht entlastete Adamow jedoch von den Vorwürfen.

Jetzt erheben die USA neue Korruptionsvorwürfe gegen Adamow und seinen Partner Mark Kaushansky, einen amerikanischen Nuklearingenieur mit russischen Wurzeln.

Adamow wurde Anfang Mai auf Ersuchen der USA in Bern festgenommen. Ein formelles Auslieferungsersuchen aus den USA steht noch aus, während ein entsprechendes Gesuch aus Russland Mitte Mai in Bern eingegangen ist. Moskau wirft Adamow Betrug vor.

Noch ist offen, was nun mit Adamow geschehen wird. Die USA können noch bis Ende Juni formell die Auslieferung beantragen.

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