«Internet Governance»: Kein Konsens
Am 30. Oktober beginnt in Griechenland das Forum über die "Internet Governance", die Regelungen des Internets durch Staat und Private. Ausgeklammert bleibt laut Markus Kummer die ICANN.
Als Leiter des Sekretariats, das die Governance-Arbeitsgruppe begleitet, erarbeitete der Schweizer Diplomat den Katalog der unangenehmen Fragen und die Ziele des Forums.
An den UNO-Weltinformationsgipfeln (WSIS), die 2003 in Genf und 2005 in Tunis stattfanden, konnte zu einem Kern-Thema keine Lösung gefunden werden, nämlich zur Handhabung der Regulierung des Internets.
Das Herz des Internets, also die Domänenamen (Domain Name System, DNS), die IP-Adressen und das System der Basisserver (Root Server), wird deshalb weiterhin von der ICANN (Internet corporation for assigned names and numbers) verwaltet. Die ICANN mit Sitz in Kalifornien wird von der US-Regierung anerkannt und subventioniert.
Am Athener Forum wird dieses dornenreiche Thema nicht abgehandelt. Während des Weltinfo-Gipfel in Tunis aus der Taufe gehoben, dient das Forum als erste Konferenz über die Internet Governance. Diese ist bisher von einer Arbeitsgruppe begleitet worden, welcher der Schweizer Markus Kummer vorstand.
UNO-Generalsekretär Kofi Annan hatte den Schweizer Diplomaten zum Chef des Sekretariats für Internet Governance in Genf ernannt.
swissinfo: Weshalb wird der dornigste Themenkreis innerhalb der Internet Governance, die Rolle der ICANN, am Forum nur gestreift?
Markus Kummer: Einige Länder hätten die Debatte über die ICANN nach dem Gipfel in Tunis gerne weiter geführt. Andere finden hingegen, im Interesse eines fruchtbaren Dialogs während des 1. Forums sei es wohl besser, auch andere Punkte zu diskutieren, die mit der Internet Governance zusammenhängen.
Am Weltinfo-Gipfel ist ja nicht beschlossen worden, die ICANN irgendwie zu ersetzen. Ausserdem befindet sich diese Instanz selbst in ständiger Bewegung. Gewisse Regierungen ziehen eine Reform in einem Rahmen vor, bei dem Komitees tagen, in denen sie vertreten sind.
swissinfo: Dieser Themenbereich ist also nicht völlig blockiert?
M.K.: Die USA haben ihre Beziehungen zur ICANN gerade neu definiert. Ende September haben sie die bisherige Absichtserklärung, ein Memorandum, durch eine neue Übereinkunft, das Joint Project Agreement, ersetzt.
Die zentrale Frage lautet, ob man eine private oder staatliche Handhabung der Regulierung will. Die USA wünschen eine privatwirtschaftliche Regelung des Internets. Deshalb will die US-Regierung gemäss der erwähnten neuen Übereinkunft mit der ICANN ihre Beaufsichtigung nach einer Übergangsphase einstellen.
Im Gegensatz zu den USA empfehlen andere Staaten eine grössere staatliche Einflussnahme auf die ICANN-Führung.
swissinfo: Stossen denn die restlichen Themenpunkte des Forums auf einen grösseren Konsens?
M.K.: Bei jedem Thema finden sich besonders dornenreiche Unterkapitel. Beim Thema Sicherheit zum Beispiel wäre ein Gleichgewicht zwischen Datenschutz, Eigentumsrechten und Öffnung der Internet-Technologien anzustreben.
Beim Thema Sprachenvielfalt wäre man sich im Prinzip einig. Doch hier steckt der Teufel im Detail. Wie lässt sich sprachliche Vielfalt mit der Einheitlichkeit des Internets unter einen Deckel bringen?
Was das Thema Internet-Zugang betrifft, erwarten die Entwicklungsländer eine Unterstützung von Seiten der Industrieländer. Doch die Internetexperte finden ihrerseits, dass in erster Priorität die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Internet stimmen müssen.
swissinfo: Das Internet und die Anwendung im Web entwickeln sich sehr rasch. Ist das der Grund, weshalb das Forum in Athen Jugendlichen in ihre Debatten integriert – eine Generation also, die mit dem Internet aufgewachsen ist?
M.K.: Die Regierungen befinden sich gegenüber der Technologie immer im Hintertreffen. Wir erwarten von den Vertretern der Jungen Antworten, ob die Themen, die wir debattieren, nicht schon überholt sind, oder ob andere zentrale Fragen aufkommen.
Es ist ja diese Generation, die den Gebrauch des Internets verändert.
swissinfo-Interview, Frédéric Burnand, Genf
(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)
Während des 2. Teils des Weltinfo-Gipfels in Tunis (16. und 17. November 2005) wurde das UNO-Generalsekretariat aufgefordert, ein neues Forum einzuberufen. Dieses Forum über die Internet Governance (FGI) soll den Dialog ermöglichen zwischen den zahlreichen Interessengruppen.
Das Forum findet vom 30. Oktober bis am 2. November in Athen statt. Es wirken mehrere hundert Teilnehmende mit, die Regierungen, Privatunternehmen und die Zivilgesellschaft vertreten.
Die Schweiz wird vertreten von Frédéric Riehl, Vizedirektor des Bundesamtes für Kommunikation (BAKOM). In der Delegation ist auch ein Vertreter der DEZA, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des EDA.
Das Forum befindet über Fragen der öffentlichen Politik, was die Internet Governance betrifft, «um zur Erschliessung, Robustheit, Sicherheit, Stabilität und Entwicklung des Internets beizutragen».
Vier Hauptthemen sind vorgegeben. Die Öffnung (Meinungsfreiheit, freier Umlauf von Information), die Sicherheit, die kulturelle Vielfalt (Sprachenvielfalt) und der Netzzugang. Der Sinn des Forums besteht in der Debatte und nicht in der Entschlussfassung.
Das Forum folgt dem Hauptziel des Weltinfo-Gipfels: Der ganzen Welt zu ermöglichen, voll vom Internet zu profitieren und die eigene Entwicklung dank der Informations- und Kommunikations-Technologien voranzutreiben.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch