Irak: Der rote Pass bietet keinen Schutz
Nach Wochen von Aufruhr, Gewalt und Entführungen im Nachkriegs-Irak könnten auch Schweizer zur Zielscheibe werden. Das Aussenministerium will seine Arbeit aber aufrecht erhalten.
Schweizer Unternehmen hingegen arbeiten nur noch auf Sparflamme.
«Jeder Ausländer muss sich bedroht fühlen. Entführungen können auch einem Schweizer oder anderen Angehörigen neutraler Staaten passieren», schätzt Martin Aeschbacher gegenüber swissinfo die Lage im Irak am Telefon aus Bagdad ein. Er leitet das Schweizer Verbindungsbüro des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bagdad. «Besonders die Strasse zwischen Amman und Bagdad ist gefährlich.»
Entführungen vervielfacht
Bei den Entführungen trifft es keineswegs nur Staatsangehörige der Kriegs-Koalition um die USA und Grossbritannien. Seit zwei Deutsche – Angehörige der Spezialeinheit GSG 9 – letzte Woche auf dieser Strasse unterwegs waren, gelten sie als vermisst und wahrscheinlich tot. Rund 20 ausländische Staatsangehörige sind bis jetzt verschleppt worden. Kriegsgegner Frankreich hat am Dienstag alle seine Bürger aufgerufen, das Zweistromland zu verlassen.
Davon will man in der Schweiz vorerst nichts wissen. Aeschbacher und seine drei Mitarbeitenden haben am Dienstagmorgen nach den Oster-Feiertagen ihre Arbeit trotz angespannter Sicherheitslage wieder aufgenommen.
Ruhe vor dem Sturm
«In Bagdad selber ist es erstaunlich ruhig. Zu ruhig. Vielleicht ist das die Ruhe vor dem Sturm», sagt Aeschbacher. In den Quartieren, wo die Ausländer wohnen und arbeiten, sei der Verkehr spärlich. «Das sagt aber nichts aus über andere Quartiere, wie Sadr City, wo ich im Moment sowieso nicht hin kann», ergänzt der Diplomat. «Die Sicherheitsmassnahmen werden ständig überprüft und verstärkt», sagt Aeschbacher. «Wir sind im Moment relativ gut geschützt.»
Im Elendsquartier Sadr City, ehemals Saddam City genannt, wohnen vor allem Schiiten. Im vergangenen Jahr kam es dort mehrfach zu Angriffen auf Koalitionstruppen.
Firmen bangen um ihre Angestellten
Aeschbacher geht davon aus, dass gegenwärtig weniger als 40 bis 50 Schweizer im Irak sind. Genaue Zahlen sind aber auch nicht vom EDA in Bern erhältlich. Beim Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) weiss man von einem Dutzend Geschäftsleuten, die im Zweistromland arbeiten.
Wie viele Leute gegenwärtig für den Feinchemie-Riesen Syngenta im Irak arbeiten, weiss man in der Basler Zentrale nicht. Es sei sehr schwierig, überhaupt mit ihnen in Kontakt zu treten, hiess es gegenüber swissinfo.
«Wir können nicht einmal mehr Kontakt zu unseren Mitarbeitern vor Ort halten», beklagt auch Thomas Friedli, der bei der Firma Biral für den Nahen Osten verantwortlich ist. Das KMU verkaufte seit Ende des zweiten amerikanischen Krieges gegen Saddam Hussein fast 300 Wasserpumpen für Spitäler in den Irak. Damit ist vorerst Schluss. «Jetzt können wir nicht einmal mehr Ersatzteile liefern. Im Moment sind unsere Aktivitäten im Irak quasi inexistent.»
Auch beim Technologie-Konzern ABB, seit über 60 Jahren im Irak präsent, wird die Lage mit Sorge betrachtet. «Zur Zeit beschränken wir uns auf Ersatzteile für die Stromzulieferung», sagt ABB-Sprecher Thomas Schmidt auf Anfrage von swissinfo.
Sparflamme statt Grossinvestitionen
«Bei uns läuft alles nur noch auf Sparflamme», sagt auch Detlef Janssen, Sprecher vom Anlagen-Bauer Bühler, gegenüber swissinfo. «Irak bleibt ein interessanter Markt, aber es muss sich klären, ob die Sicherheitslage längerfristige Investitionen möglich macht.»
Den lukrativen Markt gegen die ungewisse Sicherheitslage abschätzen müssen alle Firmen, die im Irak einsteigen wollen. Die halbstaatliche Exportföderungsagentur Osec in Zürich führte Anfang April einen Anlass durch, um Geschäftsfelder im Irak aufzuzeigen.
Bisher seien jedoch noch fast keine Anfragen eingegangen, hiess es gegenüber swissinfo.
swissinfo, Philippe Kropf
Die Schweiz unterhält ein Verbindungsbüro mit vier Personen in Bagdad. Es gilt als inoffizielle Botschaft.
Die verschärfte Sicherheitslage wird vor Ort und in Bern genau beobachtet.
Auch Schweizer könnten zum Opfer von Entführungen werden, meint der höchste Schweizer Repräsentant.
Schweizer Firmen die im Irak tätig sind, haben ihre Aktivitäten vorübergehend reduziert und bangen um ihre Angestellten.
Schweizer Unternehmen können keine Haupt-Verträge der USA übernehmen, weil die Schweiz nicht zur Kriegs-Koalition gehört – sie haben nur Chancen als Subunternehmer.
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