Iraker in der Schweiz gegen Krieg und Saddam
Die meisten in der Schweiz lebenden Iraker wünschen sich die Entmachtung Saddam Husseins. Dennoch sind sie gegen einen Irak-Krieg.
Gegenüber den Kriegsmotiven der USA herrscht Misstrauen.
Viele Iraker in der Schweiz befürchten, dass Saddam Hussein im Falle eines US-Angriffs sein eigenes Volk opfern würde.
«Saddam ist wirklich ein sehr gefährlicher Mann, natürlich wird er chemische und biologische Waffen einsetzen. Unschuldige Menschenleben kümmern ihn nicht», sagt T., ein irakischer Intellektueller in Lausanne, der aus Gründen der Sicherheit für seine Familie anonym bleiben will.
«Ich möchte gern eine friedliche Lösung des Konflikts», erklärt der Iraker gegenüber swissinfo. «Aber ich glaube nicht daran.»
Weg mit Saddam, aber nicht um jeden Preis
Saddam Hussein soll weg, aber nicht um jeden Preis: Diese Meinung ist in der irakischen Gemeinschaft in der Schweiz weit verbreitet.
«Ich glaube, die irakische Bevölkerung will Saddam Hussein und sein Regime loswerden. Aber wenn dieser Krieg unser Volk und unser Land zerstört, dann brauchen wir ihn nicht», sagt H., ein Vertreter des Arabisch-Schweizerischen Kulturzentrums in Zürich, der ebenfalls anonym bleiben will.
Ähnlich denkt der in Bagdad geborene und in der Schweiz aufgewachsene Filmemacher Samir, dessen jüngster Film «Forget Baghdad» heisst. «Ich befürchte, dass die US-Armee eine Katastrophe bewirken wird», so Samir zu swissinfo. Denn wenn ein kranker Diktator, eine Art Hitler, mit dem Rücken zur Wand stehe, werde er sich letzten Endes gegen sein eigenes Volk wenden.
«Wenn ich wählen müsste zwischen einem Machtverbleib Saddams oder einem selbstmörderischen Akt gegen sein eigenes Volk, dann würde ich mich für den Verbleib des Diktators entscheiden; denn die Geschichte hat gezeigt, dass Diktatoren immmer stürzen.»
Nationale Souveränität
Auch Sukar Al Gazally, Präsident der Irakischen Gesellschaft in der Schweiz, findet, dass ein Krieg «katastrophale Folgen im Irak haben wird». Die irakische Bevölkerung wolle keinen Krieg, sondern Frieden. «Die Iraker wollen Saddam nicht, aber ebenso wenig wollen sie die Amerikaner», so Gazally zu swissinfo.
Viele Iraker in der Schweiz, wie Samir, glauben, dass die USA und deren Alliierte kein Recht auf einen Angriff ihres Heimatlandes haben. Für Samir ist wichtig, dass ein Machtwechsel im Irak von innen heraus geschieht. Die internationale Gemeinschaft sollte ihr ganzes Gewicht auf die Unterstützung der irakischen Oppositionsbewegung legen.
«Natürlich wird Saddam kaum von alleine das Feld räumen; aber ich verstehe nicht, warum die Welt die irakische Opposition nicht unterstützt, die seit Jahrzehnten für den Sturz des Diktators kämpft», betont Samir. «Viele Mitglieder der Opposition haben mir gesagt, die USA hätten nicht einmal Kontakt zu ihnen aufgenommen.»
Imperialistisches Gehabe
Nach Ansicht Samirs würde ein Schlag gegen den Irak eine neue Weltordnung schaffen, «in der imperialistische Mächte die Souveränität von anderen Nationen missachten».
Die USA würden sich bereits über die internationalen humanitären Gesetze hinwegsetzen, «dies in einer paternalistischen und überheblichen Art gegenüber der Dritten Welt», sagt Samir.
«Anstatt der Opposition Zeit zu lassen, sie zu stärken, vertrauen die USA allein auf ihre eigene Macht, wobei sie nichts anderes tun, als ganze Länder kaputt zu bombardieren.»
Auch Al Gazally traut den Absichten Washingtons nicht. «Die USA wissen nichts über das irakische Volk, seine Interessen, seine Situation. Die grosse Frage ist, ob Washington wirklich den Irak befreien will oder ob es um Öl und Macht geht.»
Anti-Amerikanismus
Nach Ansicht von T. misstrauen viele Iraker in seinem Heimatland den USA und wünschen deren Einmarsch nicht. T. erinnert an den Aufstand der Schiiten im Süden Iraks während des ersten Golfkriegs 1991, der von den USA nicht unterstützt wurde.
«Die Opposition kontrollierte damals zahlreiche Provinzen des Landes. Die USA sahen dann zu, wie Saddam Husseins Helikopter und Truppen die Rebellion niedermachten», sagt T.
Samir glaubt, dass dieses Ereignis mithalf, den islamischen Fundamentalismus zu schüren, der zum Terrorismus der letzten zehn Jahre geführt hatte. Die Erfahrungen von 1991 hätten das Misstrauen gegen den Westen wachsen lassen.
Islamische Fundamentalisten-Gruppen seien entstanden und hätten ihren Anhängern gesagt: «Ihr habt gesehen, der Westen wird uns nie helfen. Wieso vertraut ihr ihnen? Glaubt an Allah, dann werden wir siegen.»
Dieser religiöse Fanatismus habe im Irak vorher nie existiert, betont Samir. «Er wurde durch die Politik des Westens, insbesondere der Amerikaner, gefördert.»
Vorgezogene Schlussfolgerungen
Die meisten Iraker in der Schweiz sind sich einig, dass Saddam Hussein nur mit Gewalt entmachtet werden kann und dass es nur noch eine Frage der Zeit ist bis zur US-Intervention.
«Ich mache mir wie alle Iraker in der Schweiz, im Irak und der Welt grosse Sorgen über die Zukunft unseres Landes», sagt T. «Wir können den Krieg nicht unterstützen, aber es könnte die letzte Lösung für die Krise sein, denn wir kennen den irakischen Präsidenten.»
T. glaubt an eine mögliche Entmachtung Saddams durch die USA. Er wünscht sich einen demokratisch gewählten Nachfolger. Andere glauben nicht an eine solche Möglichkeit.
Für Samir wird ein Krieg zwischen der amerikanischen und der irakischen Armee grosse Verluste in der Zivilbevölkerung sowie immense Zerstörungen verursachen. «Wir wissen, dass die Amerikaner keinen Häuserkampf machen werden; sie werden ganze Städte zerstören.»
Auf der anderen Seite würden die irakischen Soldaten um Leben und Tod kämpfen. «Es wird ein Desaster geben, deshalb bin ich gegen diesen Krieg», sagt er.
swissinfo, Anna Nelson, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Jean-Michel Berthoud)
UNHCR rechnet im Fall eines Krieges mit bis zu 1,2 Mio. Flüchtlingen
Laut Hilfsorganisationen wären im Kriegsfall 500’000 Irakerinnen und Iraker auf medizinische Hilfe angewiesen
Nach UNO-Schätzungen müssten rund 3 Mio. Irakerinnen und Iraker mit Nahrungsmittelhilfe versorgt werden
Prominente Angehörige der irakischen Gemeinschaft in der Schweiz befürchten, dass bei einem US-Angriff ihr Volk und ihr Land zerstört würden. Deshalb ziehen sie einen Verbleib des Diktators einem Krieg vor, obwohl sich die meisten eine Entmachtung Saddam Husseins wünschen.
Viele Iraker in der Schweiz misstrauen den Absichten der USA. Es gehe mehr um Öl und Macht, sagen sie. Zudem sind sie enttäuscht über die Haltung der USA während des ersten Golf-Krieges 1991, als diese bei der Niedermetzelung der schiitischen Aufständischen im Süden Iraks durch Saddams Truppen nicht intervenierten.
Den zunehmenden islamischen Fundamentalismus mit seinen terroristischen Auswüchsen führen viele Iraker in der Schweiz auf die Politik des Westens und insbesondere der USA gegenüber der Dritten Welt zurück.
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