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Iran vor der Wahl – zwischen Tschador und Fussball

Wandmosaik in Isfahan mit dem Republikgründer Ayatollah Khomeini (links) und seinem Nachfolger, etwas kleiner, Ayatollah Ali Khamenei. swissinfo.ch

Am 12. Juni wählt Iran einen neuen Präsidenten. Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad hat das Land mit seinen Amerika- und Israel-feindlichen Parolen international isoliert. Die Schweiz als Schutzmacht der USA in Iran gerät dabei auch schon mal ins Kreuzfeuer der Kritik.

Erst im April dieses Jahres wurde der Schweizer Bundespräsident Hans-Rudolf Merz für sein Treffen mit Ahmadinedschad international scharf gerügt.

Und Aussenministerin Micheline Calmy-Rey löste letztes Jahr heftige Entrüstung aus, als sie sich, bedeckt mit dem islamischen Kopftuch und lächelnd zusammen mit dem umstrittenen Präsidenten in Teheran fotografieren liess.

Kritik kam auch von der iranischen Opposition. Die Frauenorganisation Meydaan publizierte auf ihrer Website einen offenen Brief an Calmy-Rey.

Darin kritisierte die Autorin den Auftritt der Schweizer Ministerin im Kopftuch und warf ihr vor, den Iranerinnen einen Bärendienst zu erweisen: «Sie respektieren ein frauenfeindliches Gesetz, das den Iranerinnen verwehrt, selbst zu entscheiden, wie sie sich kleiden wollen.»

Gegen Scharia

Meydaan kämpft für die Gleichberechtigung der Frauen und gegen die in Iran übliche besonders strenge Auslegung des islamischen Rechts, der Scharia. Die Organisation setzt sich gegen die Steinigung als Strafe für Ehebruch ein, gegen die islamischen Kleidervorschriften für Frauen und für eine Aufhebung des Stadionverbots für Frauen.

Die junge Feministin Tara engagiert sich bei Meydaan für den Zutritt zu Sportstadien auch für Frauen. Im Zuge der Geschlechtertrennung wird Iranerinnen der Zutritt zu Sportstadien verwehrt mit der Begründung, es sei dort im Gedränge mit Männern zu gefährlich für sie.

Mit einer List verschafften sich Tara und drei Mitstreiterinnen dennoch Zugang zum Azadi-Stadion, dem grössten Fussballstadion Irans, als ihre Nationalmannschaft gegen diejenige Südkoreas spielte.

«Nicht zu laut»

Die weiblichen Fans aus Südkorea, die als Ausländerinnen eingelassen wurden und sich mit den Iranerinnen solidarisierten, schleusten die vier in ihrer Gruppe rein und brüllten dann lautstark: «Wo sind unsere iranischen Schwestern?»

«Es war ein tolles Erlebnis», erinnert sich Tara, «doch wir mussten aufpassen, dass wir bei den Toren unserer Mannschaft nicht zu laut jubelten, sonst wären wir wohl entdeckt worden.»

Die 24-Jährige wird am 12. Juni dem Reformkandidaten Mir Hossein Mussawi die Stimme geben, weil der verspricht, die Sittenpolizei abzuschaffen, die Frauen in der Öffentlichkeit auf korrekte islamische Kleidung prüft.

Wähler mobilisieren

Noch ist in Teherans Strassen nichts von Wahlkampf zu spüren. Die Autokolonne wälzt sich wie gewohnt die Vali-ye-Asr-Strasse hinauf, Richtung Norden.

Von leicht verblassten, an hohe Hausfassaden gemalten Porträts blicken grimmig der Republikgründer Ayatollah Khomeini und sein Nachfolger Ali Khamenei, aktueller geistlicher Führer des Landes.

Wer auch immer der nächste Präsident Irans wird, an der Geistlichkeit führt kein Weg vorbei. Das hat der letzte reformorientierte Präsident Mohammed Khatami schmerzhaft erfahren. Als er nach zwei Amtsperioden abtrat, hinterliess er eine enttäuschte und resignierte Wählerschaft, die sich 2005 nicht mehr die Mühe machte, zwischen den beiden Kandidaten Ahmadinedschad und Rafsanjani zu wählen, weil sich ja doch nichts verändern würde.

«Ahmadinedschad war die verdiente Strafe für den Rückzug eines grossen Teils des linken und reformorientierten Lagers vom politischen Geschehen», sagt der Direktor einer berühmten iranischen Plattenfirma. «Diese Wahl hat wie eine Ohrfeige gewirkt und die Leute hoffentlich aufgerüttelt.»

Treffen in der Moschee

Die Juristin Parvin treffen wir am belebten Vanak-Platz, einem Verkehrsknotenpunkt, an dem sich die Linien mehrerer Sammeltaxis kreuzen, und fahren eine halbe Stunde in einen nördlichen Vorort am Fuss des Elbrus-Gebirges.

Im Auftrag ihrer Organisation für Basisarbeit mit Frauen leistet die 32-Jährige Aufklärungsarbeit und berät Frauen in Sachen Bildung, Hygiene, Jobs und der Verwendung von Mikrokrediten für die Gründung kleiner Kooperativen.

Das Treffen mit den Frauen findet in einer kleinen Moschee statt. «Das ist der einzige Ort, an dem sich die weitgehend ungebildeten und religiösen Frauen versammeln dürfen», erklärt Parvin.

Nach und nach kommen immer mehr Frauen in die Moschee, schlüpfen beim Eingang aus den Schuhen, gehen Barfuss über die Teppiche, setzen sich in einem Halbkreis auf den Boden und warten. Sie sind konservativ gekleidet, mit schwarzem Mantel und Kopftuch oder im Tschador, Frauen jeden Alters, einige haben Kleinkinder dabei.

Parvin stammt selbst aus einer religiösen Familie aus Mashad, hat sich aber nach dem Studium nach Teheran abgesetzt, wo sie unabhängig ihr eigenes Leben gestalten kann.

Sie wird dem Reformkandidaten Mossawi ihre Stimme geben, wenn auch mit wenig Begeisterung: «Wir haben bloss die Wahl zwischen schlecht und noch schlechter.»

Susanne Schanda, Teheran, swissinfo.ch

Zur Wahl stehen am 12. Juni Präsident Mahmud Ahmadinedschad, der ebenfalls konservative Mohsen Rezai und auf der Reformerseite Mir-Hossein Mussawi, der während des iranisch-irakischen Kriegs 1980-88 Premierminister war und der ehemalige Parlamentspräsident Mehdi Karrubi.

Unter den 450 Personen, die ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahl schriftlich angemeldet hatten, waren 42 Frauen. Alle fielen der Zensur des Islamischen Wächterrats zum Opfer.

In Iran wird der Präsident jeweils für eine Amtsperiode von vier Jahren gewählt.

Danach kann er sich für eine zweite Amtsperiode zur Wiederwahl stellen.

2005 gewann der damals weitgehende unbekannte Bürgermeister Teherans, Mahmud Ahmadinedschad, gegen den etablierten und umstrittenen Politiker Akbar Hashemi Rafsanjani.

Von 1997 bis 2005 war der charismatische und moderne Kleriker Mohammed Khatami Präsident.

In seiner Regierungszeit entstanden unzählige neue Zeitungen, die Kleidervorschriften für Frauen wurden lockerer ausgelegt und Iran wurde für die westliche Welt zu einem Dialogpartner.

Gegen den Führungsanspruch der Geistlichen blieb er aber schliesslich erfolglos.

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