Israel hat Bodenoffensive auf Gaza gestartet
Eine Woche nach dem Beginn der Luftangriffe hat Israel am Samstag eine Bodenoffensive auf den Gazastreifen begonnen. Die internationale Gemeinschaft ist besorgt, die Schweiz ruft zu einem Waffenstillstand auf.
Ein ranghoher israelischer Militär betonte am Sonntag, die israelische Bodenoffensive werde nicht rasch beendet sein. Der Bodeneinsatz werde «nicht in Stunden oder Tagen enden».
Bis zum Sonntagvormittag gelang es den vorrückenden Soldaten nach israelischen Medienberichten, den Gazastreifen in zwei Teile zu spalten. Das Militär berichtete von heftigen Kämpfen und zahlreichen Todesopfern unter den Palästinensern, nannte jedoch keine genauen Zahlen.
Gut 16’500 gut ausgebildete Soldaten soll die Hamas unter Waffen haben. Ihre Miniarmee ist im Städte- und Strassenkampf ausgebildet. Scharfschützen und Selbstmordattentäter warten bereits.
«Gaza wird für Euch kein Picknick. Gaza wird für Euch zum Friedhof», wandte sich Hamas-Sprecher Ismail Radwan nach dem Einmarsch an die israelischen Soldaten.
Die israelische Armee hat trotz eines Urteils des Obersten Gerichtshofes keine Auslandkorrespondenten zur Berichterstattung in den Gazastreifen einreisen lassen. Eine unabhängige Berichterstattung ist damit derzeit nicht möglich, weil weder Angaben der israelischen Armee noch der radikal-islamischen Hamas überprüft werden können.
Besorgte Schweiz
Die Schweiz hat zu einer sofortigen Einstellung der Kampfhandlungen im Gazastreifen aufgerufen. Um den Zugang für die humanitäre Hilfe zu garantieren, forderte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die anhaltende Öffnung der Übergänge nach Gaza.
Der Raketenbeschuss durch die Hamas müsse ebenso gestoppt werden wie die israelische Militäraktion, damit die Leiden der Zivilbevölkerung ein Ende nähmen, hält das Departement in einer Mitteilung fest.
Das EDA protestiert auch dagegen, dass die israelischen Behörden einem medizinischen Nothilfe-Team des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) die Einreise nach Gaza verweigert. Obwohl alle Bedingungen erfüllt seien, werde dem Team die Einreise nach wie vor verwehrt.
Hamas nie «direkt unterstützt»
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) koordiniert die Schweizer Hilfe für die palästinensischen Gebiete. «Die Menschen sind in ihrer Bewegungsfreiheit behindert. Sie müssen sich zu Hause verstecken. Die Infrastruktur ist schwer beschädigt und die Energieversorgung stark eingeschränkt», erklärte Toni Frisch, stellvertretender DEZA-Direktor gegenüber swissinfo.
Die Schweiz hat ihre Projekte im Gaza-Streifen weitergeführt, nachdem die Hamas die Macht dort im Juni 2007 übernommen hatte. Dies stehe im Einklang mit der schweizerischen Politik zur Erhaltung des Dialogs mit allen Parteien und Akteuren, erläutert Frisch.
«Die DEZA hat die Hamas oder der Hamas nahestehende Organisationen jedoch nie direkt unterstützt», fügt er hinzu.
Uneinheitliche Reaktionen internationaler Regierungen
Die Europäische Kommission stellt für den Gaza-Streifen 3 Mio. Euro Nothilfe zur Verfügung. Sie fordert von Israel einen «humanitären Korridor» für Hilfslieferungen.
Frankreich verurteilte die israelische Bodenoffensive ebenso wie die Raketenangriffe der Hamas. Zuvor hatte die tschechische EU-Ratspräsidentschaft dagegen Israels Einsatz als «defensiv und nicht offensiv» bezeichnet. Dies könnte darauf hinweisen, dass in der EU Uneinigkeit herrscht.
Und die US-Regierung machte erneut die Hamas für die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten verantwortlich.
Internationale Strassenproteste
Über 100’000 Menschen demonstrierten am Wochenende in europäischen Grossstädten gegen die israelischen Angriffe und forderten eine Waffenruhe. Die grösste Kundgebung gab es in Paris, wo die Polizei die Teilnehmerzahl auf 21’000 schätzte.
In London bewarfen Demonstranten den Regierungssitz mit Schuhen. Danach zogen etwa 5000 Demonstranten vor die israelische Botschaft. Jugendliche verbrannten israelische Flaggen. In Berlin und Frankfurt am Main kamen je 7000 Demonstranten zusammen.
Tausende Menschen haben auch im Libanon und in der Türkei gegen die israelische Militäroffensive demonstriert. Die libanesische Polizei hielt rund 250 Demonstranten mit Wasserwerfern und Tränengas von einer Erstürmung der US-Botschaft nahe der Hauptstadt Beirut ab.
Von Marrakesch bis Damaskus machen die Araber ihrer Empörung Luft, in politischen Reden, Protestdemonstrationen und Spendenkampagnen. Sie fühlen Mitleid mit den militärisch hoffnungslos unterlegenen Palästinensern.
Hilflose UNO
Trotz der Eskalation der Gewalt konnte sich der Weltsicherheitsrat bisher nicht auf eine gemeinsame Linie im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern einigen. Eine Resolution scheiterte am Widerstand der USA
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich «zutiefst besorgt über die ernsthaft weitere Eskalation im Nahen Osten».
swissinfo, Etienne Strebel
Seit dem Beginn der israelischen Militäraktion am 27. Dezember starben mindestens 466 Palästinenser, darunter 77 Kinder und 23 Frauen. Gegen 2400 Menschen wurden verwundet.
Gemäss einer Bilanz palästinensischer Spitäler von Sonntagabend wurden seit dem Beginn der Bodenoffensive 40 Palästinenser getötet.
Israel gibt den Tod eines eigenen Soldaten zu. Sie behauptet, dutzende von Hamas-Kämpfern getötet zu haben. Die Hamas berichtet von mindestens neuen Toten aus ihren Reihen.
Die Hamas hat sich die Zerstörung Israels zum Ziel gesetzt und kämpft für die Errichtung eines islamischen Staates. Sie würde aber auch eine Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren, wenn Israel das 1967 eroberte Gebiet an die Palästinenser zurückgeben würde.
Das Wort Hamas ist eine Abkürzung für Islamische Widerstandsbewegung, bedeutet aber auch «Eifer» auf Arabisch.
Die Gruppe unterhält im Gazastreifen ein breites Netz an Schulen und sozialen Einrichtungen, womit sie sich in der Bevölkerung Sympathien und Zulauf sichert.
Die Schweiz hat sich in den letzten 60 Jahren seit der Gründung des Staates Israel mit der Bereitstellung humanitärer Hilfe für die palästinensischen Flüchtlinge engagiert.
Am meisten Unterstützung erhielten das UNO-Hilfswerk UNRWA (United Nations Relief and Works Agency) für die palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz IKRK.
Nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens von 1993, welches unter anderem die Palästinensische Autonomiebehörde schuf und mehr Macht in die Hände der Palästinenser gab, hat die Schweiz eigene Entwicklungs- und Good Governance-Programme in der Westbank und in Gaza gestartet.
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