Jean Russotto, Mann der Banken im Herzen der EU
Seit dreissig Jahren lebt der Waadtländer Anwalt in der europäischen Hauptstadt. Er findet das Leben in Brüssel "anregend".
Lange Zeit war Jean Russotto der einzige Schweizer Anwalt in Brüssel, da das Interesse für Europa in der Schweiz gering war.
Europa aber ist seit jeher Russottos Passion. Kaum hat der junge Student seinen Doktor in der Tasche, verlässt er Lausanne und geht ins berühmte Collège d’Europe in Brügge, wo er Gemeinschaftsrecht studiert.
Es folgt eine Zeit in den USA. Darauf arbeitet Russotto fünf Jahre als Jurist bei Nestlé.
Europa übt auf Russotto eine grosse Anziehungskraft aus. Deshalb zögert der junge Jurist keinen Moment, als er auf ein Inserat des Anwaltsbüros «Oppenheimer» stösst und reist nach Brüssel.
«Um Brüssel kommt man nicht herum, wenn man in die europäische Welt eindringen will», betont der Anwalt. «Nur so werden die Europa-Dossiers wirklich verständlich und sind direkte Kontakte mit den europäischen Institutionen möglich.»
Anregendes Leben
Russotto lebt seit über dreissig Jahren in Brüssel. Auch heute noch arbeitet er im internationalen Anwaltsbüro «Oppenheimer».
«Ich mache genau das, was mir gefällt», stellt der diskrete Mann fest. «Das Leben in Brüssel ist anregend», fügt er bei.
Den Kontakt zur Heimat hat er allerdings nie abgebrochen, im Gegenteil: «Ich fahre mindestens einmal pro Monat hin», bestätigt er. Denn Russotto ist juristischer Berater für verschiedene Schweizer Unternehmen. Seine Kunden sind Pharma-Konzerne, Versicherungen, Banken.
Im Verlauf der Jahre hat sich Russotto in den europäischen Institutionen sein Netz aufgebaut. Mit einem Telefonanruf an einen Beamten, den er «als junger Student» kannte, kann er zum Beispiel schnell einen Streitpunkt regeln.
1982 gründete er das Komitee «Schweiz – Europäische Union», wo sich die in Belgien arbeitenden Schweizer Industriellen treffen können.
«Mann der Banken»
In Brüssel ist Jean Russotto als «Mann der Schweizer Banken» bekannt. «Ich vertrete die Banken sehr gerne», erklärt er, räumt aber ein, dass die Aufgabe nicht immer leicht sei.
Die Schweizer Banken haben laut Russotto bei den europäischen Institutionen kein schlechtes, sondern einfach ein «neutrales» Image.
«Man versteht, dass die Banken in den Dossiers, die sie betreffen, ihren Standpunkt verteidigen», erklärt er.
Begeisterung für Europa
Seine Begeisterung für Europa hat Jean Russotto behalten. Gleichzeitig ist er «entschieden» Schweizer geblieben. Der Grosssohn eingewanderter Italiener bleibt seinem Geburtsland tief verbunden.
Auch nach der Heirat mit einer Amerikanerin konnte er, wie er bestätigt, seinen beiden Kindern die «Schweizer Ader» weitergeben.
Sicher: See und Berge fehlen ihm. Aber Belgien sei «ein Land, in dem sich leicht leben lässt», auch wenn die teils schlechte Organisation und eine gewisse Anarchie in diesem Land ihn manchmal etwas irritierten.
«Ich bin nicht sicher, ob es in der Schweiz so gut ginge», sinniert Russotto. Auf jeden Fall nicht beruflich. Der Anwalt liebt seine Arbeit offensichtlich. «In Brüssel finde ich die intellektuellen Anregungen, die ich brauche.»
Zu einer möglichen Rückkehr in die Schweiz sagt er ausweichend: «Diese Frage stelle ich mir schon, und sie wird mir auch immer wieder gestellt. Vielleicht nach meiner Pensionierung.» Aber sicher ist auch das nicht.
«Heute sind die Grenzen offen», stellt der Jurist fest. Er ist der Beweis, dass man als Schweizer seiner Heimat verbunden bleiben kann, auch wenn man im Ausland lebt.
swissinfo, Barbara Speziali, Brüssel
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
600’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland.
Seit 1990 wuchs die Fünfte Schweiz um 150’000 Personen.
2002 lebten 6500 Auslandschweizerinnen und -schweizer in Belgien.
Jean Russotto wurde am 3. April 1940 in Montreux geboren. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Sein Jus-Studium absolvierte er an der Universität Lausanne.
Seit 1972 lebt er in Belgien.
Russotto ist Mitglied des internationalen Anwaltsbüros «Oppenheimer» und juristischer Berater mehrerer Schweizer Multis und Banken.
Seit 1982 ist er Präsident des Komitees «Schweiz – Europäische Union» der Schweizerischen Handelskammer in Belgien.
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