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Jeder ist ein Fremder – fast überall

"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde", sagte der deutsche Komiker Karl Valentin. swissinfo.ch

Fremdenhass und Angst vor Fremdem verhärten und verunsichern heute die Menschen. Da tut es gut, das Thema in einen grösseren Zusammenhang zu stellen.

Genau dies versucht eine Wanderausstellung durch Europa, die im Landesmuseum in Zürich Zwischenhalt macht.

«Wenn Sie sich in der Fremde aufhalten und Landsleute treffen: befällt Sie dann Heimweh oder dann gerade nicht?» So beginnt der berühmte Heimat-Fragebogen von Max Frisch und für mich die Ausstellung «Jeder ist ein Fremder – fast überall» im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich.

(Sich) selbst fremd sein und Fremdenangst – Gefühle, die Verschiedenes meinen, vermutlich aber recht nahe beinander wohnen, werden in dieser klug und einfühlsam gestalteten Ausstellung aufgearbeitet, miteinander verwoben.

Weshalb geht man in die Fremde?

Aus was für Gründen verlässt ein Mensch seine Heimat? Wegen Krieg, weil er keine Arbeit findet, weil er seine Religion nicht ausüben darf, aus Gewissensgründen? Die Ausstellung versucht Antworten zu geben anhand ausgewählter Einzelbeispiele von der Antike bis zur Gegenwart.

Chronologisch beginnt die Ausstellung mit der Antike, der Zeit, als die Römer nach ihrer Alpenüberquerung viele germanische Völker unterwarfen. Die römischen Besatzer vermischten sich mit der Zeit mit der Bevölkerung.

Die daraus resultierende Angleichung hatte Auswirkungen, die noch Jahrhunderte später ersichtlich waren: Die Römer brachten Wissenschaft und Technik. Das Lateinische als Bildungssprache blieb in der deutschen Sprachwelt über Jahrhunderte bestehen.

Vom Flüchtling zum Imageträger

Ein Beispiel für Menschen, die aus religiösen Gründen ihre Heimat verlassen mussten, sind die Hugenotten, die im 16. Jahrhundert in Massen aus Frankreich auswanderten.

Diese Auswanderung erwies sich für die Schweiz und für Deutschland als wahrer Segen. So brachten die Hugenotten die Uhrmacherkunst in die Westschweiz. Dieses Handwerk bildete die Grundlage zu einem Hauptimage des Landes und seiner Einwohner. Denn zu den Zeitmessern gehört auch die Schweizer Pünktlichkeit und Präzision.

Schweizer Beiträge

Das Landesmuseum setzt sich mit eigenen Beiträgen in Szene. Sehr wichtig ist das Thema über die Geschichte der Schweizer Söldner, die während Jahrhunderten in den Diensten europäischer Königs- und Fürstenhäuser dienten und sich ab zu auf den Schlachtfeldern Europas direkt gegenüber standen und die Köpfe einschlugen.

Die einzige legale Form der Reisläuferei ist heutzutage noch der Dienst als Schweizer Gardist beim Papst in Rom.

Ein weiterer helvetischer Beitrag beleuchtet die Fremdarbeiterfrage. «Das ist ein Thema, das auch positive Seiten aufzeigt. Die Secondos sind heute auf dem Weg, ganz integriert zu werden», erklärt Dione Flühler, Projektleiterin der Ausstellung gegenüber swissinfo.

Von den «Navers» zu De Gaulle

Das Arbejdermuseet Kopenhagen hat die Geschichte der dänischen Wandergesellen, der «Navers», aufgearbeitet, die ihr Handwerk in ganz Europa umherreisend vervollkommnen.

Das Bijbelmuseum Amsterdam berichtet von den Schwierigkeiten, die Prinz Claus, der deutsche Ehemann der niederländischen Königin, am Anfang erwarteten.

Sehr viele Niederländer konnten einfach nicht akzeptieren, dass ihre Königin einen Deutschen, einen von der Besatzungsmacht des Zweiten Weltkrieges, heiratete.

Das National Historical Museum von Athen schildert die Massenvertreibung der griechischen Bevölkerung aus Kleinasien, und eine weitere Abteilung ist berühmten Menschen im Exil gewidmet. Ein Beispiel ist der spätere französische Staatspräsident General Charles de Gaulle, der während des Zweiten Weltkriegs wie viele andere auch in London im Exil weilte.

Näher dank Multimedia

Audioviselle Medien werden sparsam, aber bewusst eingesetzt. So zeichnen Filmausschnitte etwa aus Nino Jacusos «Escape to Paradise» oder auch aus deutschen Heimatfilmen das Thema Fremdheit auf, wie es sich in verschiedenen Zeitaltern darstellte.

Auch Hörstationen zu Erfahrungen in der Fremde und mit Fremden tragen zur Auseinandersetzung mit dem Thema bei und machen bewusst, dass die europäische Geschichte, das Zusammenleben auf diesem Kontinent, schon immer durch die Auseinandersetzung mit dem Fremden geprägt war.

Comix und Asylsuchende

«Die Comix-Abteilung ist eine Ausstellungs-Erweiterung, die man hier in Zürich gemacht hat», sagt Projektleiterin Flühler. «Mir fehlte ein vermehrter Gegenwartsbezug. Ich wollte die Leute in der Jetztzeit abholen.»

Und das ist ihr auch gelungen: In Zusammenarbeit mit dem Comic-Festival Fumetto packten junge Comic-Zeichner das Thema bunt, teilweise schräg, aber meist sehr erfrischend an. Gerade die jugendlichen Besucher sind dankbar dafür.

Heimat zum Letzten

Lassen wir das Thema Heimat mit dem Mann beschliessen, mit dem wir es begonnen haben, mit Max Frisch. Die letzte Frage seines Heimat-Fragebogens lautet:

«Woraus schliessen Sie, dass Tiere wie Gazellen, Nilpferde, Bären, Pinguine, Tiger, Schimpansen usw., die hinter Gittern oder in Gehegen aufwachsen, den Zoo nicht als Heimat empfinden?»

swissinfo, Etienne Strebel, Zürich

Die Ausstellung «Jeder ist ein Fremder – fast überall» wurde von 8 europäischen Partnermuseen realisiert.
Sie befindet sich selbst auf Wanderschaft in Europa.
Vor der Präsentation im Landesmuseum Zürich (bis zum 2. Oktober) war sie bereits in Bonn und Amsterdam zu sehen.
Nächster Halt ist Luxemburg.

Die Ausstellung nähert sich dem «Fremden» unter anderem mit folgenden Themen:

Römer besetzen Germanien;
Schweizer Söldner in fremden Diensten;
Die Verfolgung der Hugenotten;
Vertreibung von Griechen aus Kleinasien;
Exil (Grossherzogin von Luxemburg und General Charles de Gaulle);
Fremdarbeiter – Italiener in der Schweiz, Türken in Deutschland;
Aktuelle Asylfragen;
Comix.

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