Jetzt liegt der Ball bei den Richtern
Die Verhandlungen gegen 19 ehemalige Manager und Berater der einstigen nationalen Fluggesellschaft Swissair sind abgeschlossen. Das Urteil wird nicht vor Ende Mai erwartet.
Während neun der Angeklagten im Prozess schwiegen, nutzte der letzte Swissair-Chef Mario Corti die Gelegenheit für publikumswirksame Auftritte. Alle Angeklagten verlangen einen Freispruch.
Mit den letzten Plädoyers im Swissair-Verfahren ist am Freitag der Strafprozess um die grösste Unternehmenspleite der Schweizer Wirtschaftsgeschichte zu Ende gegangen.
Seit dem 16. Januar haben die drei Richter am Bezirksgericht Bülach insgesamt 29 Verhandlungstage absolviert. Sie befragten die 19 Angeklagten persönlich, hörten sich das dreitägige Plädoyer der vier Staatsanwälte, kurze Plädoyers der Gläubigervertreter und die ausführlichen Plädoyers der 19 Verteidiger an.
Gerichtspräsident Andreas Fischer zeigte sich nach Abschluss der Hauptverhandlung zufrieden: Nun müsse das Gericht zunächst über prozessuale Anträge beraten, sagte er. Mit der Urteilseröffnung sei nicht vor Ende Mai zu rechnen.
Der Untergang der Swissair-Gruppe im Oktober 2001 hatte die Schweiz schockiert: Entsprechend gross war das Interesse der Öffentlichkeit.
Von Bruggisser bis Schmidheiny
Die meisten Anklagepunkte werden dem letzten Swissair-Chef Mario Corti vorgeworfen: Unter anderem ungetreue Geschäftsbesorgung, Misswirtschaft, unwahre Angaben und Gläubigerbevorzugung.
Die Staatsanwaltschaft verlangte für ihn 28 Monate Gefängnis, davon 6 Monate unbedingt, eine bedingte Strafe von 1,08 Mio. Fr. und eine Busse von 10’000 Franken.
Zu weiteren prominenten Angeklagten gehören die früheren Konzernchefs Philippe Bruggisser und Eric Honegger sowie ehemalige SAirGroup-Verwaltungsräte wie die Ex-Ständerätin Vreni Spoerry, der Banker Lukas Mühlemann und der Industrielle Thomas Schmidheiny.
Cortis fulminante Auftritte
Die weiteren Strafanträge umfassen Freiheitsstrafen zwischen 6 und 18 Monaten, bedingte Geldstrafen zwischen 36’000 und 720’000 Franken und Bussen von 2000 bis 20’000 Franken.
Die Angeklagten und ihre Verteidiger haben alle Anklagepunkte zurückgewiesen und Freisprüche verlangt. Teilweise wurde von einem «Schauprozess» gesprochen. Zur Erklärung des Swissair-Untergangs wurde immer wieder auf die gravierenden Folgen der Terroranschläge vom 11. September 2001 verwiesen.
Vor allem Mario Corti nutzte den Prozess für fulminante Auftritte innerhalb und ausserhalb des Gerichts. Er versuchte dabei seine Sicht des Swissair-Untergangs zu vermitteln: Danach wurden die Swissair und er selbst von Wirtschaft und Politik in der Not schmählich im Stich gelassen.
Nach dem zweitägigen Plädoyer seines Verteidigers Paul Ramer schaffte es Corti mit einem beeindruckenden und emotionalen Schlusswort, das Publikum zu einem lang anhaltenden Applaus zu bewegen.
Komödie oder Tragödie?
Im Prozess sei es nicht gelungen, den Angeklagten kriminelle Absicht nachzuweisen, sagte der Firmenanwalt Eugen Curti gegenüber swissinfo.
«Ich wäre nicht überrascht, wenn alle Angeklagten ohne Strafe davonkommen würden. Es wurde viel Geld ausgegeben für eine Komödie oder eine Tragödie – oder beides», so Curti.
Matthias Mölloney, Personalchef bei Swissair in der Krisenzeit, meint, dass durch eine Verurteilung der Angeklagten zu Gefängnisstrafen eine falsche Botschaft ausgesendet würde.
«Das gäbe riesige Probleme, denn wenn die neue Fluggesellschaft Swiss in Zukunft wieder einmal ums Überleben kämpfen müsste, würde man kaum jemanden finden, der die Verantwortung übernehmen würde, wenn bei Fehlentscheiden gleich Gefängnis droht», sagte Mölloney gegenüber swissinfo.
Sollten die auf Mitte Jahr erwarteten Urteile weitergezogen werden, wird die Zeit knapp: Die ersten Delikte verjähren ohne Urteil der zweiten Instanz bereits Mitte 2008. Die Staatsanwaltschaft bereitet daneben einen zweiten Straf-Prozess vor, in dem es um Fragen der Rechnungslegung gehen soll.
swissinfo und Agenturen
Der Prozess dauerte vom 16. Januar bis zum 9. März 2007. Die Verhandlungen vor dem Bezirksgericht waren öffentlich und fanden in der Stadthalle Bülach statt.
Für die 19 Angeklagten beantragte die Staatsanwaltschaft Gefängnisstrafen zwischen 6 und 28 Monaten und Bussen zwischen rund 40’000 Franken und einer Million. Für den letzten Swissair-Chef Mario Corti wurde eine unbedingte Gefängnisstrafe gefordert.
Die Anklage wandte 40’000 Arbeitsstunden auf, produzierte eine Anklageschrift von 100 Seiten. 300 Personen wurden im Laufe der fünfjährigen Ermittlungen einvernommen.
Nach Angaben des Züricher Staatsanwaltes Christian Weber verursachte der Prozess der Anklage Kosten von 4 – 5 Millionen Franken, die Löhne der Staatsangestellten nicht eingerechnet.
Das Urteil wird frühestens Ende Mai 2007 erwartet.
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