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Kaum Missbrauch, sagt Sozialinspektor O.

Christoph Odermatt, Sozialinspektor von Emmen. Keystone

Weniger Missbrauch als vermutet: Das ist die Bilanz, die der erste so genannte Sozialinspektor in der Deutschschweiz nach knapp fünf Monaten zieht.

Im luzernischen Emmen überprüft seit Februar ein Beamter, ob Einwohner der Gemeinde zu Recht öffentliche Sozialhilfegelder beziehen.

Emmen bei Luzern: Eine Schweizer Agglomerationsgemeinde wie jede andere? Nicht ganz. Dafür sorgten nach 1999 vier Urnen-Abstimmungen, in denen die Stimmbürger jungen Ausländerinnen und Ausländern das Schweizer Bürgerrecht gleich reihenweise verwehrten.

Einziges Kriterium: Die Antragsteller trugen allesamt Namen, die auf eine Herkunft aus der ehemaligen Republik Jugoslawien schliessen liessen.

Buh-Gemeinde der Nation

Diese Praxis stempelte Emmen in der Öffentlichkeit nicht nur zu einer der fremdenfeindlichsten Gemeinde der Schweiz, sondern rief auch das politische Augenmass auf den Plan. Dieses bewirkte Ende Februar in einer Abstimmung, vereint mit juristischem Druck seitens des Kantons, dass im Ort künftig eine Bürgerrechts-Kommission über Einbürgerungen entscheidet.

Während sich die Wogen gerade wieder glätteten, schaffte es Emmen Ende vergangenen Jahres erneut in die Schlagzeilen. Diesmal mit der Schaffung eines neuen Beamten-Typus für die deutschsprachige Schweiz: Dem Sozialinspektor. Der Ruf nach einem solchen kam vom Gemeindeparlament, das unter anderem die Bekämpfung von Missbräuchen im Sozialwesen verlangte.

Vertrauen stärken

Seit 1. Februar prüft Christoph Odermatt, ob alle, die von der Gemeinde Sozialhilfe beziehen, dazu auch tatsächlich berechtigt sind. Das Ziel: Er soll Missbrauch verhindern und das Vertrauen in die Sozialhilfe wieder stärken.

Nun hat Odermatt seine erste Zwischenbilanz vorgelegt: Lediglich in sieben Fällen – also bei nur einem Prozent aller Emmener Bezüger von Sozialhilfe – stiess Odermatt auf falsche Angaben. Geprüft hat er bisher 651 Dossiers.

Mär vom gemütlichem Sozialhilfe-Leben

Das ist wahrlich kein Wasser auf die Mühlen derjenigen rechtsbürgerlichen Kreise, die dem «einfachen Mann von der Strasse» gern immer wieder suggerierten, Sozialhilfeempfänger seien meist Betrüger und Schmarotzer, die auf dem Geldbeutel des armen Steuerzahlers lebten.

«Der Sozialinspektor ist kein Wundermittel, kann aber durchaus eine Möglichkeit sein, um schwarze Schafe konsequenter und nachhaltiger zu ahnden und damit die überwiegende Mehrheit der Sozialhilfebezüger vom Missbrauchs- und Schmarotzervorwurf zu entlasten», sagte Odermatt.

Umfassendere Problemlösung gefragt

Die Arbeit des Sozialinspektors zeige keine überraschenden Ergebnisse, erklärte Gemeinderat Rolf Born, Vorsteher der Emmener Sozialdirektion. Die meisten der insgesamt 1108 Sozialhilfebezüger bezögen die Unterstützung zu Recht. Doch sei es nach fünf Monaten zu früh für eine definitive Beurteilung.

Auch für den Leiter des Sozialamtes Emmen, Toni Stirnimann, bestätigt die Arbeit des Sozialinspektors die bisherige Einschätzung: «Der absichtliche oder vorsätzliche Missbrauch von Sozialhilfegeldern ist nicht an der Tagesordnung, sondern beschränkt sich auf Einzelfälle.»

Odermatts Zwischenfazit macht klar, dass zur Entlastung der Sozialhilfekasse mehr nötig ist als sein genaues Auge. «Es braucht ein Bündel von Massnahmen, um die markant gestiegenen Sozialhilfeausgaben wirksam eindämmen zu können», ist er überzeugt.

Allgemeine Skepsis

Der Entscheid der Behörden in Emmen zur Einführung eines Sozialinspektors war Ende 2004 allgemein mit grosser Skepsis aufgenommen worden. In Kriens beispielsweise, wo die Schweizerische Volkspartei (SVP) ebenfalls einen solchen Beamten einführen wollte, kam im Mai vom Parlament ein klares «Njet». «Unverhältnismässig», so der Tenor der Mehrheit.

Solches Unbehagen wird von Chantal Magnin geteilt. Die Soziologin an der Universität Bern erforscht im Rahmen des Nationalfondsprogramms «Integration und Ausschluss» (NFP 51) prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Sie sprach im Zusammenhang mit der Einsetzung des Emmener Sozialinspektors von einem «Paradigmenwechsel», der in der Sozialarbeit und in der Arbeitslosenversicherung bereits stattgefunden habe.

«Die Rechte der Sozialhilfebezüger werden eingeschränkt, ihre Kontrolle wird verstärkt», sagte sie in einem Interview mit der Schweizer «WochenZeitung» (WoZ).

Der Staat ziehe sich sozialpolitisch zurück und baue dafür die disziplinarische Seite aus, beobachtet Magnin. «Wir befinden uns im Übergang vom Sozial- zum Strafstaat.»

swissinfo, Renat Künzi

Emmen setzte als erste Gemeinde in der deutschen Schweiz einen Sozialinspektor ein.
Solche gibt es in der Westschweiz bereits seit 1999, so in der Stadt Lausanne und beim Kanton Waadt.
Die Stadt Olten ihrerseits kann seit einem Monat Privatdetektive beauftragen, in Verdachtsfällen Abklärungen zu treffen.

Emmen machte zwischen 1999 und 2003 durch diskriminierende Einbürgerungs-Entscheide an der Urne von sich reden.

Das Bundesgericht erklärte 2003 das Urnenverfahren als verfassungswidrig.

Einbürgerungen werden neu von einem Bürgerrechtsrat vorgenommen.

Seit Februar 2005 ist ein Sozialinspektor im Amt.

Es soll verhindern, dass Einwohner missbräuchlich Sozialhilfe beziehen.

In den ersten fünf Monaten stiess er nur bei 1% der Bezüger auf falsche Angaben.

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