Kaum Schweizer Aidsmedikamente für Afrika
Pharmakonzerne sollen den Zugang zu Aids-Medikamenten im Süden weiter erleichtern, fordern Hilfswerke. Man mache schon sehr viel, sagt Roche.
Erst eine Million Menschen hat heute in den Entwicklungsländern Zugang zu einer Aids-Behandlung – 6,5 Millionen Aids-Betroffene bräuchten dringend Medikamente.
Zum internationalen Tag des Kampfes gegen Aids fordern das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz (HEKS) und die Bethlehem Mission Immensee (BMI) mit ihrer Kampagne «Afrika braucht Medikamente – jetzt» die Pharmabranche auf, den Zugang zu Aidsmedikamenten in Entwicklungsländer noch mehr zu erleichtern.
Eine entsprechende Petition mit weiteren Forderungen auch an den Staat und die Kirchen wurde von rund 60 Organisationen unterstützt und am Welt-Aids-Tag in Bern übergeben.
In der Schweiz ist insbesondere Roche gefordert. «Dass Roche schon eine Preis- und Patentpolitik zu Gunsten der Menschen mit HIV/Aids umsetzt, ist positiv», sagt BMI-Kampagnenleiter Stefan Siebenhaar. «Bei einem Gewinn von 3,2 Milliarden Franken im ersten Halbjahr 2005 stellt sich aber die Frage, ob der Konzern seine Möglichkeiten ausschöpft.»
Verkauf zum Selbstkostenpreis
«Wir sind nicht das Problem, sondern ein Teil der Lösung», entgegnet Pierre Jaccoud, Direktor und Nachhaltigkeitsverantwortlicher bei Roche. «Wir sind eines der wenigen Unternehmen, die im HIV-Bereich noch forschen.»
Roche ist der einzige Schweizer Hersteller von antiretroviralen Medikamenten, zwei seiner Produkte werden von der Weltgesundheits-Organisation (WHO) für ärmere Länder empfohlen. Sehr wichtig sind nach Roche-Angaben die „Medikamente zweiter Linie», die dann eingesetzt werden, wenn die Standardbehandlung nicht mehr funktioniert.
Roche verkauft den am wenigsten entwickelten Ländern sowie den Staaten südlich der Sahara ihre Aids-Medikamente zum Selbstkostenpreis. Für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen hat Roche reduzierte, aber über dem Selbstkostenpreis liegende Preise definiert. «Unsere Medikamente sind zwar teuer – billiger geht es aber nicht», sagt dazu Roche-Direktor Pierre Jaccoud.
Umstrittene Kombinationspräparate
Gerade in Afrika reiche die Politik von Roche nicht aus, kritisiert Siebenhaar aus Sicht der BMI. Auch eine Vergleichsstatistik von Médecins Sans Frontières (MSF) zeigt, dass die beiden Aids-Medikamente von Roche in den am wenigsten entwickelten Ländern zwar leicht billiger sind als Generika, aber teurer als vergleichbare Medikamente.
Einen Ausweg sieht Siebenhaar in der Entwicklung von Kombinationspräparaten, die Medikamente in einer Tablette vereinen: „Dies würde die Preise deutlich senken und die Behandlung erleichtern.»
Während Roche Kombinationspräparate bei Zweitlinien-Medikamenten unter anderem wegen möglichen Resistenzen für nicht geeignet hält, ist nach Ansicht des MSF-Pharmazeuten Fernando Pascual das Gegenteil der Fall: «Weil die Einnahme kompliziert ist und häufig nicht korrekt vorgenommen wird, ist es wahrscheinlicher, dass mit Individuallösungen Resistenzen auftauchen.»
Mit Kombinationspräparaten hingegen könne der Bildung von Resistenzen vorgebeugt werden. MSF verwendet so genannte Proteasehemmer, bei denen zwei Medikamente in einer Tablette kombiniert sind.
Patentrechte
Eine weitere Forderung der Hilfswerke lautet, dass «die Schweizer Pharmaindustrie verbindlich auf ihre Patentrechte in allen Entwicklungsländern verzichten soll». Laut Jaccoud verzichtet Roche schon jetzt in den am wenigsten entwickelten Ländern auf alle Patente im Bereich HIV – «dies macht sonst kein anderes Unternehmen.»
MSF-Pharmazeut Pascual verweist aber darauf, dass einer WTO-Deklaration zufolge die ärmsten Länder derzeit sowieso von Generika profitieren dürften.
Und was passiert mit den Ländern, die zwar nicht zu den ärmsten gehören, aber trotzdem stark von der Aids-Pandemie betroffen sind? «Wir können unsere Investitionen in die ärmsten Länder nur weiterführen, wenn wir den Patentschutz in den reicheren Ländern erhalten», sagt Pierre Jaccoud.
In osteuropäischen oder asiatischen Ländern nehme die Ansteckungsrate drastisch zu, entgegnet BMI-Mitarbeiter Siebenhaar. «Hier gilt es eine Tragödie zu vermeiden. Daher müssen auch diesen Ländern gezielt Patenterleichterungen (Lizenzen) zugestanden werden.»
swissinfo und Dominique Schärer, InfoSüd
Petition an Bund und Kirchen
Rund 27’000 Menschen fordern in einer Petition billigere Medikamenten-Preise und einen höheren Beitrag der Schweiz an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.
Von den Kirchen verlangen sie, dass diese offen über Seualität sprechen und alle Methoden akzeptieren, welche die Übertragung des tödlichen HI-Virus verhindern.
Was ist mit den Kindern?
Für Kinder gebe es keine entsprechend dosierten Aids-Medikamente, kritisiert die Bethlehem Mission Immensee (BMI).
Im Fall von Roche sei nur eines der beiden Zweitlinien-Medikamente für Kinder zugelassen.
Nicht die Industrie schaffe Hindernisse, sondern die Behörden, heisst es bei Roche.
Diese müssten klinische Tests an Kindern für die Zulassung solcher Medikamente erlauben und überwachen.
Auch für BMI braucht es politische Rahmenbedingungen, um die Entwicklung von Kindermedikamenten zu fördern.
Die Pharma-Industrie könne jedoch ein Zeichen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung setzen, auch wenn sich Medikamente für Kinder nicht rechneten.
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