Kein «Schnellschuss» für den Kosovo
Thomas Fleiner, der Schweizer Staatsrechtler und Berater der Serbischen Regierung, kritisiert die Vorschläge des Uno-Emissionärs Ahtisaari für den zukünftigen Status des Kosovo.
Die vorgeschlagene Lösung drohe die ethnischen Konflikte anzuheizen, warnt Fleiner in einem Gespräch mit Le Temps.
«Ich bin gar nicht optimistisch. Für mich besteht die einzige Lösung für den Kosovo darin, einen Konsens zwischen den ethnischen Teilen zu finden und nicht in einem schwachen Kompromiss, der sich nur auf internationalen Druck abstützt», sagt Fleiner.
Der Schweizer Staatsrechts-Professor hat an der Universität Freiburg einen Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht inne. Er äusserte sich in einem Interview mit der welschen Zeitung Le Temps.
Keine direkten Verhandlungen
«In ethnischen Konflikten ist die Vorgehensweise und der Weg der Verhandlungen viel wichtiger als eine Schnellschuss-Lösung». Besser sind zehn Verhandlungsjahre als ein Tag Bürgerkrieg», sagt Fleiner.
Er weist in diesem Zusammenhang auf die «schlechten Erfahrungen» der Weltgemeinschaft in den Konflikten um Zypern oder im Nahen Osten hin.
Fleiner bedauert weiter, dass die Uno keine direkten Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien im Kosovo ermöglich habe. Die Situation könnte von den serbischen Ultranationalisten, die in den Wahlen kürzlich in Serbien stärkste Partei wurden, ausgenutzt werden.
Schweiz nicht neutral
Was die Rolle der Schweiz angeht, die sich für eine «formelle Unabhängigkeit» des Kosovo aussprach, ist Fleiner der Meinung, dass Bern vor allem eine einvernehmliche Lösung anstrebt.
Er ermuntert die Eidgenossenschaft, ihre Anstrengungen weiter zu verfolgen. Sagt aber auch deutlich, dass die Schweiz im Augenblick in den Augen der Serben nicht als neutral wahrgenommen werde.
In dem vom früheren finnischen Staatspräsidenten in Belgrad und Pristina überreichten Zukunftsszenario für das Kosovo werden die Reizworte Unabhängigkeit oder Souveränität vermieden.
Kosovo soll eine international überwachte Form der Unabhängigkeit erhalten. Eine ausdrückliche Unabhängigkeit für die seit 1999 unter internationaler Verwaltung
stehende serbische Provinz wird nicht vorgeschlagen.
Vorgesehen sei ein multi-ethnisches Kosovo, «das sich demokratisch selbst verwaltet», heisst es in dem Plan.
Der serbische Präsident Boris Tadic hat den Plan der Uno zur Zukunft des Kosovos bereits zurückgewiesen.
swissinfo und Agenturen
Der Schweizer Staatsrechtler Thomas Fleiner hat seit 1984 einen Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Freiburg.
Seit November 2005 ist er Berater der serbischen Regierung.
Seine Zusammenarbeit begann 2003 als die Konföderation Serbien-Montenegro gegründet wurde.
Die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hat sich bereits 2005 für die ausdrückliche Unabhängigkeit von Kosovo ausgesprochen. Eine Uno-Verwaltung sei nicht befriedigend.
Doch sollte diese Unabhängigkeit nur im Rahmen eines Dialogs mit den diversen Parteien – insbesondere Serbien – erfolgen.
Calmy-Reys Position hat in Serbien wie in der Schweiz Proteste hervorgerufen. Hier haben Parlamentarier der Aussenministerin vorgeworfen die Neutralität der Schweiz zu verlassen.
Die Schweiz wird von der Zukunft in Kosovo direkt berührt, leben doch rund 200’000 Kosovaren in der Schweiz.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch