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Keine Begeisterung für Komplementärmedizin

Alternativ-Medizin findet bei den Schweizer Patienten grossen Anklang. Keystone

Die Schulmedizin soll auch in Zukunft eine bevorzugte Stellung behalten. Der Nationalrat hat die Initiative "Ja zur Komplementärmedizin" zur Ablehnung empfohlen.

Die grosse Parlamentskammer führte vor allem Kostengründe ins Feld. Die Angebote an alternativen Heilmethoden sollen weiter über Zusatzversicherungen gedeckt werden.

Der Entscheid vom Mittwoch gegen die Initiative, die in der Bevölkerung – gemäss Umfragen – auf eine beachtliche Zustimmung stösst, fiel mit 93 gegen 78 Stimmen.

Damit folgte die bürgerliche Mehrheit im Rat dem Antrag der vorberatenden Kommission und von Gesundheitsminister Pascal Couchepin. Dieser sah in dem Volksbegehren ein «gefährliches Potential» für einen neuen Kostenschub im Schweizer Gesundheitswesen und warnte mit Blick auf die Umsetzung des offen formulierten Initiativtextes vor grossen Interpretations-Schwierigkeiten.

Nein zur Initiative vertretbar

Zusammen mit einer Reihe von Rednerinnen und Rednern aus den Fraktionen der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) und der Schweizerischen Volkspartei (SVP) bezeichnete deshalb auch der Vorsteher des Departements des Innern (EDI) das Nein zur Initiative durchaus als vertretbar.

Vorausgesetzt, dass die – im Grundsatz nicht bestrittene – Komplementärmedizin auch in Zukunft dem Bereich der nicht-obligatorischen Zusatzversicherungen zugeteilt bleibe und nicht in den Leistungskatalog der obligatorischen Grundversicherung aufgenommen werde.

Die von einer Mehrheit der Bevölkerung offenbar gewünschte Wahlfreiheit zwischen schulmedizinischen und alternativen Medizinangeboten bleibe auch so gegeben, sagte er.

Kein Verständnis

Kein Verständnis für eine derartige Haltung zeigten die beiden Fraktionen der Sozialdemokratischen Partei (SP) und der Grünen. Sie wollten mit ihrer Forderung nach einem Ja zur Initiative erreichen, dass die Schulmedizin und die Komplementärmedizin künftig auf allen Stufen über gleich lange Spiesse verfügen und alternative Heilmethoden ihr Image als bloss «ergänzendes Hobby» zur traditionellen Medizin endgültig verlieren, wie Daniel Vischer (Grüne) sagte.

Ihre Beschwörungen, wonach der Anteil der Komplementärmedizin an den gesamten Gesundheitskosten nur sehr gering sei und von einer drohenden Kostenlawine deshalb nicht geredet werden könne, blieben auf der Seite der Bürgerlichen jedoch ungehört.

Hier anerkannte man zwar – auch auf Grund von persönlichen Erfahrungen – durchaus auch den Nutzen der Alternativmedizin, die Schleusen für eine «umfassende Berücksichtigung» von komplementären Medizinangeboten auf allen Stufen von Bund und Kantonen wollte man dann aber doch nicht öffnen.

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Nationalrat

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Der Nationalrat ist die Schweizer Parlamentskammer (Legislative) der Volksvertreter oder Abgeordneten (Grosse Kammer). Der Rat zählt 200 Parlamentarierinnen und Parlamentarier und vertritt das Schweizer Volk. Auf je 35’000 Einwohnerinnen und Einwohner eines Kantons kommt derzeit ein Mitglied im Nationalrat. Das einzelne Ratsmitglied wird «Nationalrat» oder «Nationalrätin» genannt. Nationalrat und Ständerat bilden zusammen die Vereinigte Bundesversammlung…

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Offener Widerstand provoziert

Die Volksinitiative «Ja zur Komplementärmedizin» war im September 2005 mit knapp 139’000 Unterschriften eingereicht worden. Sie wird von Vertretern von Ärzte-, Patienten- und Pflegeorganisationen wie auch von Politikern aus dem bürgerlichen und dem linksgrünen Lager getragen.

Der Bundesrat hatte bereits im August 2006 beantragt, das Volksbegehren ohne Gegenvorschlag zu verwerfen. Im Juni 2005 hatte Gesundheitsminister Couchepin zudem schon ein vielfach kritisiertes Signal gegen eine zu offene Förderung der Alternativmedizin in der Schweiz gestellt.

Er strich fünf komplementäre Behandlungsmethoden – Homöopathie, Neuraltherapie, Phytotherapie sowie die Angebote der chinesischen und anthroposophischen Medizin – aus dem Katalog der Grundversicherung und provozierte damit den offenen Widerstand der in der Schweiz tätigen alternativen Therapeuten.

Weitere Ansprüche auf Kostendeckung befürchtet

Bei einem Ja zur Initiative könnten zumindest diese fünf Methoden wieder in den Leistungskatalog der Grundversicherung zurückgeführt werden. Die Gegner des Volksbegehrens- und mit ihnen auch Gesundheitsminister Couchepin – befürchten allerdings, dass dann auch andere Angebote der Komplementärmedizin eine Kostendeckung durch die obligatorische Krankenversicherung beanspruchen dürften.

Zurzeit sind nach Angaben des EDI-Vorstehers rund 145 entsprechende Methoden im empirischen Register enthalten. 3000 Ärzte und etwa 20’000 nicht-ärztliche Therapeuten bieten alternative Heilmethoden an.

swissinfo und Agenturen

2005 gab es in der Schweiz 270 behandelnde Homöopathen
300 bis 400 Spezialisten für traditionelle Chinesische Medizin (ohne Akkupunktur)
250 Phytotherapeuten
106 Neuraltherapeuten
150 anthroposophische Mediziner.

Das Komitee der Initiative «Ja zur Komplementärmedizin» attestiert dem Nationalrat nach seinem Nein zum Begehren mangelnde Volksnähe.

Umfragen zeigten, dass die Mehrheit der Bevölkerung Komplementärmedizin wünsche.

So habe eine Umfrage des Krankenkassen-Verbandes santésuisse ergeben, dass 82% der Bevölkerung eine umfassende Berücksichtigung der Komplementärmedizin wünschten.

Eine Demoscope-Umfrage zeige, dass 69% der Stimmberechtigten die Initiative annehmen würden.

Bedenklich sei ferner, wie viele falsche und unsachliche Argumente im Rat vorgebracht wurden.

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