Kinder zwischen Eltern und Ländern
Kindesentführungen, binationale Scheidungs-Paare, die um die Kinder streiten, adoptierte Kinder, die nach ihren Wurzeln im Herkunftsland suchen: Alles Fälle für den Internationalen Sozialdienst (SSI).
SSI Schweiz hat 2003 knapp 900 Fälle behandelt, darunter 42 Kindesentführungen.
894 Fälle behandelte die Schweizerische Stiftung des Internationalen Sozialdienstes (SSI) im vergangenen Jahr – betroffen waren 2717 Personen. Dazu kamen gegen 1000 telefonische Beratungen, wie der Jahresbericht der Stiftung ausweist.
Entführungen selten
Obwohl am spektakulärsten für die Öffentlichkeit, machen Kindesentführungen aus der Schweiz oder in die Schweiz einen relativ geringen Teil der Aktivitäten aus, wie SSI-Direktor Rolf Widmer sagt. 42 Fälle waren es 2003.
Stark gefragt sind dagegen Vermittlertätigkeiten zur Regelung von Sorge- und Besuchsrechten über Landesgrenzen hinweg und Abklärungen im Hinblick auf internationale Adoptionen.
Auch bei der Hilfe für jugendliche oder erwachsene Adoptivkinder auf der Suche nach ihren leiblichen Eltern kommt der SSI zum Zug.
Häufig engagiert sich der Internationale Sozialdienst zudem für allein reisende Flüchtlingskinder im In- und Ausland.
Gegründet 1932 für Amerika-Auswanderer
Der SSI ist Teil des weltumspannenden Netzes der Internationalen Sozialdienste, dem heute rund 140 Länder angehören.
Am Anfang stand ein Verein, gegründet 1932 von der Schweiz und den USA. Damals ging es um Schweizer Auswanderer nach Amerika, erzählt Widmer.
Der Verein unterstützte die neu Ausgewanderten bei der Bewältigung ihrer Startschwierigkeiten und half ihnen, Kontakt mit den Verwandten zu Hause zu halten.
Später schlossen sich andere Länder wie etwa Kanada an. Nach dem Weltkrieg weitete sich das Netz stark aus.
Nach dem Krieg: Kinderschutz
Jetzt trat der Kinderschutz in den Vordergrund. Die Maxime lautete – und lautet noch immer: «Jedes Kind soll das Recht haben auf eine angemessene Vertretung seiner Rechte», sagt Widmer.
Heute ist dieser Grundsatz auch in der UNO-Kinderkonvention festgeschrieben. In der Realität bestehen in vielen Ländern aber noch grosse Mängel.
Im konkreten Fall helfen Konventionen und Vorschriften häufig nicht weiter. Vor allem, weil diese auf ein westlich-europäisches Rechtsverständnis zugeschnitten sind.
In manchem Land, das offiziell die Konvention unterzeichnet hat, akzeptiert die Bevölkerung diese fremden Regeln nicht – gerade wenn es um Familienfragen geht.
Gütliche Regelung als Ausnahme
So gehört etwa in islamischen Ländern ein Kind ab dem fünften Geburtstag diskussionslos zur Familie des Vaters, wie Widmer weiss.
Kämpfen etwa eine Schweizer Frau und ihr libanesischer Ex-Mann um die gemeinsamen Kinder, kann der SSI zur Vermittlung angerufen werden. Eine von beiden Seiten akzeptierte Besuchsregelung dient den Kindern mehr als eine Kindesentführung.
Einen Erfolg verbucht haben der SSI und seine lokalen Partner jüngst in Libyen, wie Widmer erzählt: Für eine ganze Gruppe von Müttern aus Europa, die mit Libyern verheiratet waren, konnte eine Besuchsregelung für die Kinder gefunden werden. Zu der allseits akzeptierten Lösung hatte der Staat Hand geboten – eine Ausnahme.
Familien für «Enfants du pêché»
Neben ihrer Vermittlertätigkeit engagiert sich der SSI auch in gezielten Projekten. Als Beispiel erwähnt Widmer etwa ein Adoptionsprojekt mit weiterer Begleitung in Tunesien für mehrere hundert ausserehelich geborene Kinder.
Von Touristen gezeugt, sind sie gebrandmarkt als «enfants du pêché» (Kinder der Sünde). Für ihre Mütter eine Schande, ausgestossen von den Familien, werden sie in Heime abgeschoben.
Andere Projekte befassen sich beispielsweise mit Strassenkindern in Westafrika, mit Kriegswaisen in Bosnien oder mit ehemaligen Heimkindern in Bulgarien.
Sicherheit, Respekt, Perspektiven
An drei Aspekten orientieren sich Widmer und seine Mitarbeitenden bei allen Aktivitäten: Die Kinder und Jugendlichen brauchen Sicherheit, eine respektvolle Umwelt und die Basis für Lebensperspektiven.
Der SSI arbeitet jeweils mit lokalen Organisationen zusammen, mit Botschaften, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) oder UNO-Stellen.
Wo immer möglich, werden auch örtliche Behörden eingebunden. Finanziert wird die Stiftung mit Sitzen in Genf und Zürich über Spenden und Beiträge von Kantonen und Gemeinden, mit denen Vereinbarungen bestehen.
swissinfo und Elisabeth Hausmann, sda
2003 behandelte die Schweizerische Stiftung des Internationalen Sozialdienstes (SSI) 894 Fälle.
In 42 Fällen ging es um Kindesentführung.
Dazu kamen gegen 1000 telefonische Beratungen.
Die SSI wurde 1932 gegründet.
Heute gehören ihr rund 140 Länder an.
Die SSI engagiert sich für den Kinderschutz über die Landesgrenzen hinweg.
Sie vermittelt etwa, wenn sich ein getrenntes binationales Elternpaar um das Sorge- oder Besuchsrecht streitet.
Die Organisation unterstützt ferner Projekte für Adoptionen und die Betreuung von Waisen.
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