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Kollektives Rauschtrinken heisst neudeutsch Botellón

Saufgelage hinterlassen ihre Spuren. Bernd Arnold/VISUM

Dass Jugendliche zusammentreffen, um sich in der Gruppe zu betrinken, ist nicht neu. Das Phänomen, das neuerdings auch in der Schweiz den spanischen Namen "Botellón" hat, überfordert vielerorts die Behörden.

Am Morgen des 19. Julis werden sich die Besucher gefragt haben, ob ein Tornado den Parc des Bastions in Genf heimgesucht habe. Am Tag nach der ersten organisierten «Botellón» hinterliessen die von Scherben und Abfall übersäten Rasen, Alleen und Treppen des Parks einen traurigen Eindruck.

Konsequenz davon: Die Behörden haben entschieden, die Pforten des Parks zu schliessen, um die für den 8. August programmierte zweite Ausgabe zu verhindern. Eine dritte ist bereits für den 22. August geplant. Am 23. soll eine in der Umgebung von Lausanne, am 29. in Zürich, am 30. August auf dem Bundesplatz in Bern über die Bühne gehen.

«Ein Fest veranstalten, ja, aber so nicht!», sagen die Behörden und suchen den Dialog mit den Organisatoren. Das Problem dabei ist allerdings, dass zu diesen kollektiven Besäufnissen spontan per Internet aufgerufen wird und niemand die Verantwortung übernehmen will.

Zum Wesentlichen

«Wenn sich einige hundert, total betrunkene Personen in einem Park treffen, kann alles passieren, vor allem Negatives», sagt Yves Pedrazzini, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Soziologischen Laboratoriums der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne.

Laut Pedrazzini beinhaltet das Phänomen «Botellón» grundsätzlich nichts Neues. Es handle sich nur um eine aktuelle Form von sehr alten Berauschungs-Praktiken, die mit der Mythologie des Weins und des Alkohols verbunden waren.

«Es ist eine postmoderne Version des Winzerfests», meint Yves Pedrazzini, «aber hier ohne folkloristischen, kulturellen, sportlichen oder religiösen Vorwand. Anders als bei traditionellen Festen, Jahrmärkten oder beim Karneval, nennt Botellón das Kind beim Namen. Es geht einzig darum, sich zu betrinken.»

Man komme sofort zum Wesentlichen, so der Soziologe. «Die traditionellen Riten verschwinden. Wir befinden uns in einer Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, die vom Konsum geprägt ist. Die Konsumation muss schnell, ausgiebig und günstig sein.»

Ein Spiel

Moralische Bedenken zu äussern, gehöre zwar nicht zu seiner Funktion, sagt Pedrazzini, trotzdem sei er beunruhigt zu sehen, wie schnell und wie viel die Knaben und Mädchen trinken, und zwar im Alter von 16 Jahren und manchmal auch weniger.

«Da entsteht ein öffentliches Gesundheitsproblem», sagt der Soziologe. «Heute trinken die Jugendlichen viel schneller, in viel grösseren Mengen und sie geben damit an. Es ist ein Spiel geworden, sich im öffentlichen Raum zu besaufen.»

Ein einfaches Spiel: «Anfänglich gab es in Spanien, und vor allem in Barcelona wenigstens die Absicht, sich dafür eines besonders schönen öffentlichen Raumes zu bemächtigen, der als unberührbar galt», erklärt Pedrazzini.

Aber dieses Erfordernis ist den meisten Nachahmungen des Botellóns abhanden gekommen. «Wenn man aber ein Gesetz dagegen erlässt, könnte eine politische Reaktion daraus entstehen. Dann gingen die Leute hin, weil es verboten wäre.»

Verboten! …aber nicht überall

Noch ist es nicht so weit. Während die Behörden in der Romandie noch ziemlich ratlos scheinen, setzen jene in der Deutschschweiz bereits auf Repression, um ein Ausufern zu verhindern.

Jungendlichen über 18 Jahren ist es zwar erlaubt, Alkohol zu kaufen, aber sie dürfen ihn offiziell nicht an minderjährige Kollegen abgeben. Es ist zwar nicht einfach, die Einhaltung des Gesetzes zu überwachen, aber es gibt Kontrollen.

Die Stadt Chur, Hauptort des Kantons Graubünden, ist noch weiter gegangen, indem sie generell verboten hat, im öffentlichen Raum zwischen Mitternacht und 7 Uhr Alkohol zu trinken.

Obwohl Botellón sich zuerst entlang des Genfersees verbreitet hat, bevor die Sprachgrenze überschritten wurde, gibt es im Kanton Basel Landschaft bereits seit 1994 den sogenannten Harassenlauf von Münchenstein. Er wird bei Tageslicht durchgeführt und ist behördlich bewilligt.

Bei dem Lauf geht es darum, in Gruppen von zwei Personen eine Strecke von 10 km abzulaufen mit einer Harasse von 20 Halbliter-Flaschen Bier, die es vor der Ankunft leer zu trinken gilt. Für jene Teilnehmer, die trotzdem noch Durst verspürten, ist die Konsumation zusätzlicher Getränke während des Rennens erlaubt, hält das Reglement fest.

Bis zu 3000 Leute nehmen an dem «Rennen» teil, das jeweils am 1. Mai durchgeführt wird. Die Idee stammt aus Deutschland. In Sachen Rauschtrinken, scheinen die Fantasien des Nordens jenen des Südens in nichts nachzustehen.

swissinfo, Marc-André Miserez
(Übertragung aus dem Französischen: Peter Siegenthaler)

«Botellón» (Boteyon ausgesprochen) kommt vom spanischen Wort «botella» (Flasche). Das Phänomen ist Mitte der 1990er-Jahre in Spanien entstanden, aus der Gewohnheit, sich in den Städten während der Sommernächte zu begegnen, aber auch als Reaktion auf die hohen Preise für alkoholische Getränke in Bars und Discotheken.

Es geht darum, sich in einem Park mit meist jungen Leuten zu treffen – das häufigste Alter liegt zwischen 16 und 24 Jahren – und schnell, viel und billig zu trinken. Jeder bringt die Früchte seines Einkaufs mit. Sehr im Trend liegen Cocktails oder andere Mixturen von starkem Alkohol und Limonaden.

Eine Botellón wird spontan mit Aufrufen im Internet organisiert, zum Beispiel auf «Facebook» oder per SMS. Im Sommer 2004 haben die Makro-Botellónes in den spanischen Städten Zehntausende Jugendliche angezogen.

Weil die Veranstaltungen regelmässig ausarten, Verwüstungen öffentlicher Anlagen und zahlreiche Jugendliche mit zum Teil schweren Alkoholvergiftungen hinterlassen, haben die Behörden mit immer strengeren Alkohol-Verkaufsverboten reagiert.

In einigen Städten werden für die Teilnehmer eines Botellóns abgelegene Plätze mit Abfallcontainern und Toiletten zur Verfügung gestellt.

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