Kontroverse um angeblichen Organhandel
Der mutmassliche Organhandel, wie ihn die ehemalige Chefanklägerin Carla del Ponte beschreibt, müsse vollumfänglich aufgeklärt werden. Das fordert eine ehemalige Schweizer Parlamentarierin.
Die Schweizerin Carla Del Ponte hat in ihrem kürzlich erschienenen Buch über ihre Zeit als Chefanklägerin am Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien gravierende Vorwürfe erhoben.
Unter anderem beschreibt Del Ponte die Verschleppung von 300 Serben nach Nordalbanien. Dort seien ihnen die verwertbaren Organe entfernt worden, um damit Geld zu machen.
Die Verschleppung und Ermordung sei nach der Stationierung der NATO-Truppen im Sommer 1999 und mit Wissen hoher Mitglieder der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK), darunter der neue Regierungschef Hashim Thaci, geschehen.
Serbien und Russland fordern eine Untersuchung der Vorwürfe. Die Regierung des Kosovos dementiert die Anschuldigungen.
Genügend Indizien
Die ehemalige sozialdemokratische Nationalrätin Ruth-Gaby Vermot-Mangold, hält es für «äusserst wichtig», dass die Affäre vollumfänglich aufgeklärt wird.
«Wir hören immer wieder Geschichten über mutmasslichen Organhandel. Dennoch gibt es sehr wenig konkrete Fälle», hält die Spezialistin für Menschenrechte im Gespräch mit swissinfo fest.
«Deshalb müssen die Untersuchungen nun endgültig abgeschlossen werden. Das liegt im Interesse des Kosovos, Serbiens, aber auch im Interesse der Gerechtigkeit.»
Human Rights Watch hat die kosovarischen Behörden aufgefordert, den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe abzuklären. «Im Buch von Del Ponte hat es dazu genügend Indizien», hält die Nichtregierungsorganisation fest.
Kritik vom Kriegsverbrecher-Tribunal
Demgegenüber sagte die Sprecherin des Kriegsverbrechertribunals, Olga Karvan, man sei den Behauptungen nachgegangen. Die Ermittler des Kriegsverbrechertribunals hätten aber keine substanziellen Beweise gefunden, mit denen sich die Vorwürfe erhärten liessen.
Auch die frühere Sprecherin del Pontes, Florence Hartmann, sprach den Vorwürfen jeglichen Wahrheitsgehalt ab. Del Ponte hätte nicht den geringsten Beweis für einen Organhandel durch Kosovo-Rebellen gehabt, erklärte Hartmann.
Als «unverantwortlich» und «unwürdig» bezeichnete Hartmann Del Pontes Darstellung. Mit ihrer Vermischung von Gerüchten und Tatsachen verstärke Del Ponte nur die Verwirrung um die tatsächlichen Geschehnisse und ermutige Geschichts-Revisionisten jeglicher Ausrichtung.
Auch Schweizer Richter übt Kritik
Gegenüber dem Schweizer Fernsehen hat auch Stefan Trechsel, Schweizer Richter am Kriegsverbrecher-Tribunal, das Buch del Pontes Buch als unprofessionell kritisiert. Für die ungeheuerlichen Vorwürfe könne die Autorin keine Beweise vorlegen.
Klinik in den Bergen
In dem bisher in Italien und in der Schweiz in italienischer Sprache erschienen Buch «Die Jagd. Ich und die Kriegsverbrecher», beschreibt Del Ponte, wie ihre Ermittler eine Klinik in den Bergen Nordalbaniens besuchten.
300 von der Kosovo-Befreiungsarmee in Gefangenschaft gehaltene Serben seien im Juni 1999 in diese Klinik transportiert worden.
Laut Zeugen seien den Gefangenen die Nieren entnommen worden, bevor sie getötet wurden. Ein Zeuge berichtete laut del Ponte, er habe als Chauffeur Organe auf den Flughafen von Tirana transportiert.
Andere Quellen behaupteten laut del Ponte, die Organe seien in die Türkei geflogen worden.
Die Ermittler der UNO haben die Klinik untersucht. Sie fanden medizinische Instrumente und Blutspuren, konnten jedoch nicht herausfinden, ob es ich um menschliches Blut handelte.
«Erfindungen»
Kein Verständnis für die Vorwürfe Del Ponte’s zeigt hingegen der kosovarische Justizministerin Nekibe Kelmendi. «Ich hatte vier Unterredungen mit del Ponte. Sie hat nie von diesen Ereignisse gesprochen», sagte sie der Nachrichtenagentur Associated Press.
Die Justizministerin kritisierte Del Ponte dafür, «dass sie über Sachen schreibt, die nie zu einem offiziellen Verfahren führten».
Der ehemalige albanische Premierminister Pandeli Majko, der 1999 dieses Amt bekleidet hatte, wies die Vorwürfe Del Ponte’s als eine «erfundene komische Geschichte» zurück.
swissinfo
«La caccia. Io e i criminali di guerra» ist im Verlag Feltrinelli herausgekommen und liegt zurzeit nur auf Italienisch vor.
Die Rechte sind aber schon in verschiedene Länder verkauft worden.
Carla Del Ponte beschreibt darin ihre acht Jahre als Chefanklägerin des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.
Sie jagt und verfolgt Kriegsverbrecher, die abscheuliche Gräueltaten begangen haben, und auch für Genozide verantwortlich sind.
91 von 161 ausgeschriebenen Personen wurden verhaftet oder stellen sich freiwillig.
Ihre grössten Misserfolge sind die (bosnischen) Serbenführer Radovan Karadzic und Ratko Mladic (Srebrenica), die noch nicht gefasst werden konnten.
Slobodan Milosevic entging wegen seines Todes während des laufenden Prozesses einem Gerichtsurteil.
Geboren 1947 in Bignasco (Valle Maggia) im Tessin.
Sie studiert Internationales Recht in Bern, Genf und Grossbritannien.
1981 wird sie als Staatsanwältin für den Kanton Tessin berufen.
Sie geht kompromisslos vor gegen Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Waffenschmuggel und grenzüberschreitende Wirtschaftskriminalität.
1989 entgeht sie nur knapp einem Sprengstoffanschlag.
1994 wird sie Bundesanwältin der Eidgenossenschaft.
1999 folgt sie auf Louise Arbour als Chefanklägerin der Internationalen Strafgerichtshöfe für Ex-Jugoslawien und Ruanda. Sie tritt Ende 2007 zurück.
Seit Januar 2008 ist sie Botschafterin in Argentinien.
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