Kopftuchstreit: Teilerfolg für deutsche Lehrerin
Der Entscheid könnte Signalwirkung haben auch für die Schweiz: In Deutschland kann muslimischen Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht verboten werden - allerdings braucht es dazu ein klares Gesetz.
Das oberste deutsche Gericht entschied, dass die Gesetzgebung der einzelnen Länder die Kopftuch-Frage regeln müsse.
Teilerfolg für die muslimische Lehrerin Fereshta Ludin: Das Karlsruher Verfassungsgericht befand, das Bundesland Baden-Württemberg habe ihre Religionsfreiheit verletzt.
Das Bundesland hatte der Frau vor fünf Jahren die Lehrtätigkeit verweigert, weil sie aus religiösen Gründen darauf bestanden hatte, ihr Kopftuch auch im Unterricht zu tragen.
Verbot möglich – Gesetz nötig
In Zukunft dürfen Kopftücher an deutschen Schulen nun verboten werden, entschied das Bundesverfassungsgericht. Allerdings müsse dem Verbot ein entsprechendes Gesetz zu Grunde liegen.
Ob Ludin nach dem Urteil in dem langjährigen Rechtsstreit nun ihr Kopftuch im Unterricht tragen darf, hängt nun davon ab, ob Baden-Württemberg ein entsprechendes Gesetz einführt. Die Richter entschieden, es sei Sache der Parlamente der Bundesländer, die Problematik einzuschätzen.
«Dem zuständigen Landesgesetzgeber steht es frei, die bislang fehlende gesetzliche Grundlage zu schaffen», hiess es. Das Gericht hielt es für möglich, dass Schulkinder durch die religiös motivierte Kleidung einer Lehrerin beeinflusst und Konflikte mit den Eltern ausgelöst werden können.
Auch eine Möglichkeit für die Schweiz?
Beat Zemp, Zentralpräsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH), reagierte anerkennend auf den Entscheid: «Respekt dem Bundesverfassungsgericht, das einerseits die Länderhoheit bei der Schulgesetzgebung respektiert und andererseits auch den Grundsatz der Trennung zwischen Kirche und Staat hier stark gewichtet hat.»
Die Lösung könnte auch der Schweiz als Muster gelten. «Wenn die Verhältnisse derart verschieden sind, dass es Kantone gibt, die eine andere Regelung wollen, wäre das eine Möglichkeit.»
Jedoch sähe Zemp lieber eine zentrale Lösung in der Schweizer Verfassung. «Es macht auch Sinn, solche grundsätzlichen Dinge in der Verfassung zu regeln», führte er gegenüber swissinfo aus.
Trennung von Kirche und Staat
In der Schweiz scheint das Thema Kopftuch in der Schule derzeit nicht aktuell zu sein. Zwar musste 1997 in einem Fall sogar das Bundesgericht entscheiden, doch seither wurde die Frage kaum mehr öffentlich diskutiert.
Damals hatten die höchsten Schweizer Richter einer Genfer Lehrerin das Tragen eines Kopftuches im Unterricht verboten. Das Urteil wurde mit kantonalem Gesetz und Verfassung begründet, die einen «konfessionell neutralen Unterricht» und eine «klare Trennung von Kirche und Staat» vorsehen.
Ein entsprechender Passus findet sich auch in der Bundesverfassung, die ebenfalls eine konfessionslose Neutralität für Schulen vorschreibt. Dieser Ansicht schliesst sich auch Anton Strittmatter an, Leiter der Pädagogischen Fachstelle des LCH.
Im Zweifelsfall Nein
«Die Schule ist nicht der Ort, um solche Privatdemonstrationen zu veranstalten», sagte er gegenüber swissinfo. Doch auch in der Schweiz stünden mehrere Grundsätze gegeneinander im Widerstreit. Einerseits sei «die Freiheit der Bürgerin, des Bürgers zu respektieren. Wir kennen keine Kleidervorschriften für Lehrpersonen.»
Auf der anderen Seite stehe der Wunsch nach einer konfessionell neutralen Schule, wie sie in der Schweiz seit dem 19. Jahrhundert besteht. Und diese dürfe nicht Propaganda machen für eine Religion. «Es steht ihr nicht zu, Nutzer, die Steuern zahlen, die ihre Kinder der Schule anvertrauen bewusst oder fahrlässig vor den Kopf zu stossen», so Strittmatter.
Was schliesslich für eine «Zurückhaltung der Lehrerschaft bei der Zurschaustellung ihrer eigenen Überzeugungen und Glaubensbekenntnisse» spreche.
Im Ausland aktueller
Demonstrierende Schülerinnen und Mütter haben in Belgien zum Schulbeginn auf das Thema aufmerksam gemacht. Die meisten französischsprachigen Brüsseler Schulen haben ein Kopftuchverbot für Schülerinnen ausgesprochen und Mädchen, die auf ihr Kopftuch bestanden, fürs aktuelle Schuljahr nicht mehr eingeschrieben.
In Frankreich gilt seit 1905 die Regel, dass «Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in Ausübung ihrer Funktion» keine Zeichen religiöser Zugehörigkeit tragen dürfen. Ob Schülerinnen dies dürfen, bleibt aber höchst umstritten.
Zum Thema hat sich letzthin auch der Innenminister Nicolas Sarkozy klar und unmissverständlich geäussert: «Wenn ich in eine Moschee eintrete, dann ziehe ich zuvor die Schuhe aus. Wenn eine junge Muslimin in die Schule geht, dann hat sie ihr Kopftuch abzulegen.»
Ausnahme Grossbritannien
Ganz anders in Grossbritannien. Dort lösen die Kopftuchdebatten der Nachbarländer nur Kopfschütteln aus. Nach dem Prinzip «Leben und leben lassen» wird in der Schule und am Arbeitsplatz die Meinung und Religion des Andersdenkenden akzeptiert. 1,4% der britischen Bevölkerung sind Muslime.
Das Beispiel eines Sikhs illustriert diese Haltung wohl am Besten: Wegen seines Turbans war es ihm aus Glaubensgründen unmöglich, auf dem Motorrad einen Helm zu tragen. Das Gericht entschied zu Gunsten des Gläubigen und stellte die Religionsfreiheit vor die Sturzhelmpflicht.
swissinfo, Christian Raaflaub
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch