Kosovo: Ein neuer Schritt in Richtung Anerkennung
Nach der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats hat auch die des Nationalrats dem Bundesrat empfohlen, die Unabhängigkeit des Kosovos anzuerkennen.
Gemäss den Parlamentariern wird die Neutralität der Schweiz dadurch nicht verletzt. Der Bundesrat wird voraussichtlich in einer der kommenden Sitzungen über eine Anerkennung des Kosovo entscheiden.
Der Bundesrat erhält in Sachen Kosovo grünes Licht aus dem Parlament: Die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats folgte am Freitag der APK des Ständerats und sprach sich mit 15 zu zehn Stimmen für die Anerkennung Kosovos als unabhängigen Staat aus.
Zuvor waren mehrere Völkerrechtsexperten angehört worden, die aber laut Kommissionspräsident Geri Müller keine einheitliche Meinung vertraten. Daneben hätten auch politische Überlegungen sowie die Neutralitätsfrage eine grosse Rolle gespielt.
Die Kommission sehe die Neutralität durch eine Anerkennung Kosovos aber nicht verletzt. Auch die Frage, ob ein unabhängiger Staat Kosovo einen Dominoeffekt auf die Autonomiebestrebungen anderer Regionen haben könnte, wurde laut Müller diskutiert.
Empfehlungen an Bundesrat
Die nationalrätliche APK begnügte sich aber nicht mit einem «Ja» zur Anerkennung, sondern gab dem Bundesrat noch weitere Empfehlungen ab. So soll sich die Schweiz für den Schutz der Minderheiten im Kosovo einsetzen und auch das Schweizer Verbindungsbüro in Pristina entsprechend besetzen.
Wichtig ist der APK auch, dass der Akt der Anerkennung von Serbien nicht als Affront verstanden wird. Gemäss Müller soll ein Zeichen wie ein Programm für serbische Jugendliche in Betracht gezogen werden. Damit könnte gemäss dem Nationalrat der Grünen auch Spannungen im Inland zwischen den in der Schweiz lebenden Menschen aus dem Kosovo und den Serben begegnet werden.
Müller verwies dabei auch auf die für morgen Samstag angekündigte Kundgebung von serbischen Gruppierungen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo in Zürich
Zeitpunkt dem Bundesrat überlassen
APK-Vizepräsidentin Christa Markwalder fügte an, die Anerkennung des Kosovo sei für die Schweiz nicht zuletzt wegen der rund 200’000 hier lebenden Menschen aus der früheren serbischen Provinz eine wichtige Frage. Nur so habe die Schweiz zudem eine Chance, ihren Einfluss vor Ort zu wahren und sich dort auch für die Minderheiten einzusetzen.
Der Zeitpunkt einer Anerkennung werde aber bewusst dem Bundesrat überlassen.
Nach den Stellungnahmen der aussenpolitischen Kommissionen der beiden Parlamentskammern wird die Landesregierung voraussichtlich in einer der kommenden Sitzungen über eine völkerrechtliche Anerkennung des Kosovo entscheiden.
Stabilität in der Region
Die APK des Ständerats empfahl dem Bundesrat am Donnerstag mit 7 zu 4 Stimmen, den Kosovo als unabhängigen Staat zum geeigneten Zeitpunkt anzuerkennen. Die Mehrheit war der Auffassung, dass eine Anerkennung zur Stabilität in der Region beiträgt.
Auch die Minderheit stellte sich nicht grundsätzlich gegen eine Anerkennung, wollte aber, dass der Bundesrat noch abwartet. Der kosovarische Staat müsse sich zuerst als existenzfähig erweisen und belegen, dass die Minderheitenrechte voll gewährleistet seien, wurde begründet.
Kritik an Calmy-Rey
Der freisinnige Präsident der ständerätlichen APK, Dick Marty, hatte bereits im Vorfeld der Beratungen vor einer raschen Anerkennung des Kosovo gewarnt. Dass sich Aussenministerin Micheline Calmy-Rey frühzeitig für die Unabhängigkeit ausgesprochen hatte, bezeichnete er als Fehler.
«Ich habe nie verstanden, weshalb sich Bundesrätin Micheline Calmy-Rey schon vor zwei Jahren für die Unabhängigkeit ausgesprochen hat», sagte Marty in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vom Donnerstag.
«Vermutlich hat sie den Bundesrat vorgängig nicht konsultiert, und das Parlament schon gar nicht», sagte Marty. «Jedenfalls haben wir die Serben verärgert, mit denen wir eine besondere Beziehung pflegen».
Ein unabhängiges Kosovo sei zwar nicht undenkbar, doch hätten grössere Anstrengungen unternommen werden müssen, um die Provinz zuerst weitgehend autonom zu machen. Es sei im weiteren fraglich, welche Garantien es wirklich für die Minderheiten der Serben und Roma gebe. «Und es lässt sich nicht leugnen, dass Kosovo heute eines der grössten Zentren der organisierten Kriminalität ist: Menschen-, Drogen- und Waffenhandel», fügte Marty an.
swissinfo und Agenturen
In der Schweiz leben zwischen 170’000 und 190’000 Kosovarinnen und Kosovaren. Das entspricht rund 10% der Bevölkerungszahl im Kosovo.
Seit 1999 beteiligt sich die Schweiz an den von der Nato angeführten internationalen Friedenstruppen KFOR. Rund 200 Swisscoy-Soldaten sind im Kosovo stationiert.
Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Geberländern des Kosovo. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wollen für ihre Hilfsprogramme 2008 13,9 Mio. Franken einsetzen.
In Zürich und in Genf finden am Wochenende Kundgebungen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo statt. In den beiden Städten wurden entsprechende Gesuche von serbischen Gruppierungen bewilligt.
Die Kundgebung in Zürich wurde auf den morgigen Samstag um 13.30 Uhr angesetzt.
Die Genfer Kundgebung findet am Sonntag zwischen 14 und 17 Uhr statt.
Die Kantonspolizei Aargau wies darauf hin, dass seit Anfang Woche SMS und E-Mails im Umlauf seien, in denen unbekannte Kreise serbische Landsleute aufriefen, sich am Samstag in Aarau und in anderen Schweizer Städten zu Kundgebungen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo zu versammeln.
In Bern und Basel wird am Wochenende nicht mit pro-serbischen Kundgebungen gerechnet. In beiden Städten lagen bis am Freitagnachmittag keine entsprechenden Gesuche vor.
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