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Kosovo und die Rechte der Minderheiten

Eine kosovo-albanische Familie am Wahltag im Oktober 2004. Keystone

Bei den in Wien beginnenden Gespräche zur Zukunft der Provinz Kosovo stehen die Rechte der ethnischen Minderheiten und damit auch der Serben im Zentrum.

Vertreter von serbischen und kosovo-albanischen Organisationen in der Schweiz schauen mit gemischten Gefühlen nach Wien.

«Es wird ein erster Kontakt sein zwischen den Parteien», erklärt Thomas Fleiner gegenüber swissinfo. Der Schweizer Staatsrechtler nimmt als Berater der serbischen Seite an dem lediglich anderthalb Tage dauernden Treffen in Wien teil.

Die Delegationen aus Belgrad und Pristina werden zum ersten Mal direkt miteinander Gespräche führen. Auf der Agenda steht die Reform der Lokalverwaltung. Unter dem Stichwort der politischen Dezentralisierung geht es um die Organisation der Gemeinden und um die Rechte der Minderheiten, also noch lange nicht um die entscheidende Frage der Unabhängigkeit – ja oder nein?

Territorium nicht klar abgrenzbar

Die serbische Seite fordert für die serbische Minderheit im Kosovo eigene Kompetenzen. «Es geht um Fragen, wie die Gemeinden in Zukunft funktionieren sollen, woher sie ihre Finanzen nehmen, um Erziehung, Kultur, Justiz und Polizei und um die Rechte der Minderheiten», führt Thomas Fleiner aus.

Das alleine ist kein einfaches Unterfangen, weil die serbische Minderheit im Kosovo nicht in einem klar abgrenzbaren Territorium lebt, sondern – trotz einer Konzentration im Norden – auf die ganze Provinz verteilt. In etlichen Gemeindegebieten leben ethnische Minderheiten.

Von den nach den NATO-Angriffen von den Albanern vertriebenen 200’000 Serben und anderen Nicht-Albanern kehrten aus Angst vor ethnischen Übergriffen bisher lediglich 14’000 zurück.

Langwierige Verhandlungen

Die albanische Mehrheit hingegen hat seit dem Krieg ganze Quartiere in einem raumplanerischen Wildwuchs und teilweise in Gebieten, wo vorher Serben lebten, gebaut.

Vor dem komplexen Hintergrund scheint klar, dass «eine definitive und gute Lösung einer Reform der Lokalverwaltung sehr viel Zeit braucht», wie sich Fleiner ausdrückt.

Das Belgrader Verhandlungsteam fordert die Bildung einer serbischen Entität, die Gemeinden mit serbischer Mehrheiten erfasst, allerdings kein kompaktes Gebiet darstellen würde. Damit soll den Serben eine sichere Existenz in der Provinz ermöglicht werden.

Die serbische Entität wäre keine Grundlage für die Teilung des Kosovo, sondern nur eine serbische Autonomie im Kosovo, betont Belgrad. Die Albaner lehnen die Bildung von Entitäten ab. Belgrad habe sich in die Dezentralisierung nicht einzumischen.

Gegensätzliche Positionen

Vor den Gesprächen in Wien haben die beiden Parteien noch einmal ihre gegensätzlichen Positionen bekräftigt: Sämtliche Politiker der unter UNO-Protektorat stehenden serbischen Provinz verlangen deren vollständige Unabhängigkeit. Die serbische Seite besteht darauf, dass Kosovo Teil von Serbien-Montenegro bleibt und über eine weit gehende Autonomie verfügen soll.

Dem Treffen in Wien, das unter Leitung des UNO-Sondergesandten Martti Ahtisaari steht, werden auch Vertreter der USA, der EU und der NATO beiwohnen. Die Schweiz verfolge die Verhandlungen angesichts der engen Beziehungen mit dem Südbalkan mit grösster Aufmerksamkeit, erklärte der Mediensprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Jean-Philippe Jeannerat.

Perspektive oder neue Grenzen?

Kürzlich hatte die Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey bekräftigt, dass sie eine formelle Unabhängigkeit der Provinz Kosovo begrüsse und gleichzeitig betont, eine Lösung müsse «durch Diskussionen zwischen den Parteien» entstehen.

Vertreter von serbischen und kosovo-albanischen Organisationen in der Schweiz bewerten die bevorstehenden Gespräche unterschiedlich. Die Verhandlungen eröffneten eine Perspektive für die Unabhängigkeit, erklärt Nefail Maliqi, der UNO-Korrespondent der kosovarischen Tageszeitung Bota Sot.

Der ehemalige Sekretär des serbischen Instituts in Lausanne, Slobodan Despot, bezeichnet die Haltung des Westens als unverständlich. Ein unabhängiges Kosovo sei erwünscht, während den bosnischen Serben die Bildung eines eigenen Staates versagt bleibe. Die gleichen Politiker, die sich sonst für die EU engagierten, wollten auf dem Balkan neue Grenzen schaffen.

swissinfo, Andreas Keiser

Bevölkerung: 1,9 Mio.
Albaner: 91%
Serben: 5%
Andere Minderheiten: 4%
Arbeitslosenrate: je nach Quelle zwischen 40 und 80%.
50% der Bevölkerung im Kosovo leben unterhalb der Armutsgrenze.

In der Schweiz leben rund 200’000 Kosovo-Albaner.

Seit 1999 hat sich die Schweiz im Kosovo mit einer halben Mrd. Fr. für humanitäre Hilfe, Sicherheit, Infrastruktur und Rückkehr engagiert.

Seit Kriegsende ist die Schweizer Armee an der friedenssichernden Mission der NATO im Kosovo beteiligt.

Die Provinz gehört völker-rechtlich zur Staatenunion Serbien-Montenegro, steht jedoch seit 1999 unter UNO-Verwaltung.

Der künftige Status war seit November 2005 Gegenstand einer so genannten Shuttle-Diplomatie. UNO-Vertreter pendelten zwischen Belgrad und Pristina, um die Positionen zu erfahren.

Ab Montag finden zum 1. Mal Direkt-Gespräche zwischen Belgrad und Pristina statt.

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