Kosovo: was kommt nach dem Jubel?
Die internationalen Reaktionen auf die Unabhängigkeits-Erklärung des Kosovos sind gespalten. Sowohl die EU als auch die UNO ringen darum, wie mit der neuen Lage umzugehen sei. Und in Serbien wird protestiert.
Von der Schweizer Presse wird die Unabhängigkeit verhalten positiv kommentiert. In das Verständnis für die Kosovaren mischt sich auch Sorge um die politischen Folgen.
Die «Basler Zeitung» spricht von einem «neuen Staat mit Hypotheken», der auf einer unsicheren Rechtslage beruhe.
«Pristina ist nun unabhängig von Serbien. Aber es teilt seine Souveränität mit einer neuen EU-Mission: Kosovo bleibt ein Protektorat.»
Nur eine Aussöhnung zwischen Belgrad und Pristina könne diesem Staat volle Gültigkeit verschaffen, so das Fazit der «BaZ».
Ähnlich kommentiert «der Bund»: Die Protektoratsmacht EU könne nur hoffen, dass Serbien sich eines Tages mit der neuen Realität abfinde und sich seiner eigenen Zukunftsfrage zuwende – «ob es zu Europa gehören oder sich unter Russlands Fittiche begeben will».
Chance für Serbien?
«Feuerprobe in Kosovo», so der Titel auf der Front des «Tages-Anzeigers». Die Geburt des neuen Staates sei problematisch. «Es wäre aus vielen Gründen vernünftiger gewesen, man hätte die Abspaltung verhindern können», schreibt der «Tagi» weiter.
Es habe jedoch keine realistische Alternative gegeben. Nun müsse die EU ihre aussenpolitische Feuertaufe bestehen – «hoffentlich nur symbolisch».
Laut der «Neuen Zürcher Zeitung» könnte sich Belgrad nun endlich von der verhängnisvollen Fixierung auf die nationale Frage lösen, mit dem Erbe Milosevics endgültig brechen und sich mit aller Kraft den wirtschaftlichen und sozialen Problemen zuwenden. «Trotziger Widerstand führt nur in die Isolation.»
Uneinigkeit bei UNO und EU
Auch der UNO-Sicherheitsrat ist sich in der Frage des Umgangs mit dem neuen Balkan-Staat nicht einig. Die meisten westlichen Regierungen unterstützen die Trennung des Kosovos von Serbien. Russland scheiterte mit seinem Versuch, die Unabhängigkeit für ungültig erklären zu lassen. Der Sicherheitsrat tritt am Montag erneut zusammen.
Die EU ist in der Frage der Anerkennung des neuen Staates ebenfalls gespalten: Ein Grossteil der Mitglieder, allen voran Deutschland, Frankreich, Grossbritannien und Italien, unterstützen wie die USA die Loslösung des Kosovo von Serbien.
Spanien, Griechenland und Zypern dagegen sehen in der Abspaltung ohne Billigung der UNO wegen Autonomiebestrebungen im eigenen Land einen gefährlichen Präzedenzfall. Die Aussenminister der EU-Staaten wollen ebenfalls am Montag in Brüssel das weitere Vorgehen beraten.
Schweiz befindet diese Woche
Ob der Kosovo durch die Schweiz als Staat anerkannt wird, damit befasst sich der Bundesrat in der laufenden Woche.
Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Kosovo sei erst möglich, wenn die Schweiz die bisherige südserbische Provinz als Staat anerkenne, teilte das Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Sonntag nach der Unabhängigkeits-Erklärung mit.
Skeptisches China
Die japanische Regierung strebt bereits die Anerkennung des Kosovos an. «Wir werden prüfen, ob der Kosovo die notwendigen Vorraussetzung für eine Anerkennung als Staat erfüllt», hiess es von Regierungsseite aus Tokio.
China hingegen zeigte sich «zutiefst beunruhigt» über die Entwicklungen im Kosovo. «Das einseitige Vorgehen des Kosovos könnte eine Reihe von Folgen haben und bedeutende negative Auswirkungen auf Frieden und Stabilität auf dem Balkan haben», sagte eine Sprecherin des Aussenministeriums in Peking.
Freude in Pristina
In der Kosovo-Hauptstadt Pristina feierten bis am frühen Morgen Zehntausende auf den mit Fahnen geschmückten Strassen die Unabhängigkeit, trotz Kälte. Der Höhepunkt des Festes war ein riesiges Feuerwerk über der Stadt.
Lukas Beglinger, Missionschef des Schweizer Verbindungsbüros in Pristina, zeigte sich «beeindruckt von der grossen Freude und Euphorie» der Feierlichkeiten. «Es gab keinerlei Aggressivität, alles verlief sehr geordnet und positiv.»
Für die Schweiz liege der Entscheid über die Anerkennung der Unabhängigkeit nun «in der Kompetenz des Bundesrates nach Konsultationen mit den Aussenpolitischen Kommissionen beider Räte», sagte er gegenüber swissinfo.
Peter Huber, stellvertretender Kommandant der Swisscoy-Infanteriekompanie in Kosovo, geht davon aus, dass im Einsatzraum der Swisscoy auch in den nächsten Tagen alles friedlich bleibt: «Die Festlichkeiten werden wahrscheinlich noch ein, zwei Tage weitergehen, dann wird langsam wieder der Alltag einkehren.»
Proteste in Serbien
In Serbiens Hauptstadt Belgrad gingen dagegen die gewaltsamen Proteste auch am späten Abend weiter. Nach Angaben von Spitälern wurden über 65 Verletzte gezählt, die Hälfte davon Polizisten und Journalisten.
Zusammenstösse, Sachschaden und mehrere Festnahmen wurden aus der Stadt Novi Sad gemeldet. Die von Serben und Albanern bewohnte Stadt Mitrovica wurde von einer Explosion erschüttert. Verletzt wurde niemand.
Anerkennung durch die USA
Die USA haben Kosovo formell als «souveränen und unabhängigen Staat» anerkannt. Der Regierungsbeschluss erfolgte am Montag, einen Tag nach der Unabhängigkeitserklärung der bisherigen serbischen Provinz.
Als Reaktion auf diesen Schritt rief Serbien seinen Botschafter in Washington zurück. Dies gab Ministerpräsident Vojislav Kostunica vor dem Parlament bekannt. «Die Entscheidung der USA wird den falschen Staat (Kosovo) nicht in einen echten umwandeln», erklärte er. Die Regierung in Belgrad habe den sofortigen Abzug des Botschafters aus den USA angeordnet.
swissinfo
In der Schweiz leben zwischen 170’000 und 190’000 Kosovarinnen und Kosovaren. Das entspricht rund 10% der Bevölkerungszahl im Kosovo.
Seit 1999 beteiligt sich die Schweiz an den von der Nato angeführten internationalen Friedenstruppen KFOR. Rund 200 Swisscoy-Soldaten sind im Kosovo stationiert.
Die Schweiz gehört zu den wichtigsten Geberländern des Kosovo. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) wollen für ihre Hilfsprogramme 2008 13,9 Mio. Franken einsetzen.
Nach dem zweiten Weltkrieg erhält die Provinz Kosovo einen Autonomiestatus, der 1974 mit der neuen jugoslawischen Verfassung festgeschrieben wird.
1989 hebt der serbische Präsident Slobodan Milosevic den Autonomiestatus des Kosovo auf und schickt Truppen in die Provinz.
1998 flammen Guerillakämpfe auf, welche die albanische Kosovo-Befreiungsarmee UCK führt. Serbien antwortet mit massiver Gewalt auch gegenüber der Zivilbevölkerung.
1999 beginnt die Nato mit Luftangriffen auf Ziele in Serbien und Montenegro. Nach zweieinhalb Monaten ziehen serbische Polizei und Armee ab. Die UNO-Administration UNMIK übernimmt die Verwaltung und die NATO stationiert 50’000 Soldaten.
2007 gewinnt der Separatistenführer Hashim Thaci die Parlamentswahlen und kündet die Unabhängigkeits-Erklärung Kosovos an.
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