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Kuba vor unsicherer Zukunft

Die Meinung der Schweizer Presse zum Präsidialverzicht von Fidel Castro ist geteilt. swissinfo.ch

Der Verzicht Fidel Castros auf die Präsidentschaft bedeute noch lange keine Revolution für die karibische Insel, urteilt am Mittwoch die Schweizer Presse.

Castros Bruder und Interimspräsident Raul dürfte der wahrscheinliche Nachfolger werden, meint die Presse, die im übrigen die Person und die Errungenschaften des kubanischen Diktators unterschiedlich einschätzt.

Dem machtbesessenen Maximo Lider, schreibt die «Neue Zürcher Zeitung», sei der Entscheid, das Amt des Vorsitzenden abzugeben, sicher nicht leichtgefallen.

Wie freiwillig nun dieser letzte Rückzug erfolge, wie echt die Einsicht sei, dass die Gebrechlichkeit seinem revolutionären Kampf ein Ende setzt – das werde wohl sein Geheimnis und das seines designierten Nachfolgers, seines Bruders Raul, bleiben.

Immerhin: Fidels langer Abschied habe jedenfalls die «transicion» zu einem nahezu schmerzfreien, fliessenden Prozess gemacht. Sie habe fast unbemerkt, im Stillen, stattgefunden.

Die «NZZ» glaubt, dass Nachfolger Raul eher bereit sei, einen eigenen, pragmatischeren Kurs einzuschlagen. Anders als Fidel wisse Raul, auf die Meinungen anderer zu hören und zu delegieren.

Grösste Leistung: Überlebensphase

Der «Tages-Anzeiger» lässt Norberto Fuentes, einen der vielen in Ungnade Gefallenen aus Fidels Umfeld, zu Worte kommen: Fuentes bezeichnet die «Überlebensphase, die auf den Untergang der Sowjetunion und des sozialistischen Lagers folgte», als Castros grösste Leistung.

Denn Anfang der 1990er-Jahre schien alles darauf hinzudeuten, dass (auch) Kuba am Ende war und demnächst von den USA verschlungen würde. Und die Mächtigen der Welt hätten sich damals, so Fuentes, den Rücktritt von Castro gewünscht.

Nichts davon sei eingetreten. Auch wenn das Ende der UdSSR vielleicht Castros tragischste Episode gewesen sei, habe seine Unorthodoxie zur Folge gehabt, dass er «den täglichen Wechselfällen entsprechend regierte».

Etwas anders als die «NZZ» meint «Der Bund»: «Dass Castro nun auf sein Präsidentenamt verzichtet, ist zwar ein Symbol und eine medienwirksam inszenierte Ohrfeige für alle diejenigen, die ihn ausschliesslich als machtgierigen Diktatur karikierten.»

Wie auch immer: «An den realen Machtverhältnissen auf Kuba ändert sich dadurch erst einmal nichts», so «Der Bund» im weiteren. Fidels Charisma sei durch einen bürokratischen Sozialismus ersetzt worden.

«Übervater» behält Fäden in der Hand

Die «Berner Zeitung» glaubt, dass «Übervater Fidel im Hintergrund weiter die Fäden der Macht in der Hand halten und sagen wird, wo es lang geht». Fidels Bruder Raul habe zwar in den Augen des alten Diktators die Feuerprobe bestanden und dürfte nun offiziell die Nachfolge antreten.

Dies habe bisher reibungslos geklappt und kein Machtvakuum entstehen lassen. Dennoch: Der Rücktritt Fidels zeige eigentlich nur, dass er nicht mehr in der Lage sei, offizielle Pflichten wahrzunehmen.

Die «Basler Zeitung» sieht das «sozialistische Kuba am Anfang einer Übergangsperiode, von der noch nicht klar sei, wohin sie führen und wo sie enden wird».

Trotz der Bettlägrigkeit sei in Kuba «mehr oder weniger alles beim Alten geblieben»: Immer noch würden Dissidenten inhaftiert, immer noch sei die Versorgungslage desolat, etc.

Jüngere Kubaner hätten wenig Verständnis für diese Art von «tropischer DDR». Andererseits sei Kuba die einzige Nation in der Karibik, welche die öffentliche Bildung und das Gesundheitswesen in der Griff bekommen habe. Kubas Nachbarstaat sei nicht die reiche Schweiz, sondern das Armenhaus Haiti.

Ziegler über Castros Reflexionen

Der langjährige Castro-Bewunderer Jean Ziegler, UNO-Hunger-Sonderbeauftragter, wird im März vor dem UNO-Menschenrechts-Rat über seine jüngste Reise in die Karibikinsel berichten.

In «24 Heures» bewundert Ziegler den «enormen Einfluss von Castros Reflexionen zur Entwicklungsproblematik, den Nichtregierungs-Organisationen oder Biotreibstoffen», die dieser alle zwei Tage in der Parteizeitung Granma veröffentliche.

«Am Abend seines Lebens hat sich Castro auf einen spannenden intellektuellen Prozess eingelassen. Nicht wegen seiner Kranheit zieht sich Castro zurück – nein, sondern weil es ihm besser geht und er eine andere Rolle spielen möchte.»

Castros Schlüssel zum Erfolg liege darin, so der sozialdemokratische Alt-Nationalrat Ziegler, dass er die revolutionäre Erfahrung und Leitsätze einer Nachfolgegeneration hat weiter geben können. «Das ist ein Beweis der ausserordentlichen Vitalität der Revolution und ihrer Permanenz.»

«Castros Marionettentheater»

In «Le Temps» schreibt Serge Raffy, der eine Biografie Castros publiziert hat, Castro sei ein «verhinderter Schauspieler und ein ausserordentlicher Manipulator gewesen, der aus Kuba ein Marionettentheater gemacht habe, in welchem er seine Phantasmen und Mythomanien ausdrücken konnte».

Andererseits sei Castro ein formidables «animal politique» gewesen und habe auch als einer der ersten verstanden, die Macht der Medien zu nutzen – eine Art Cousin von John F. Kennedy, Version Diktator. Castro habe das Fernsehen genau gleich gut benutzt wie Kennedy.

Ganz im Gegenteil zum Beispiel zu Pinochet, der sich immer versteckt hielt und der in seinem Image des «Schmutzli mit dem Besen» stecken blieb.

Raffy behauptet sogar, Castro sei in den früher 1950er-Jahren noch ein rechtsextremistischer, von Spanien inspirierter Aktivist gewesen. Schliesslich sei er ein Jesuiten-Schüler, und diese seien zur Zeit Francos oft Franquisten gewesen.

Raul Castro als kubanischer Gorbatschew

Präsident Kruschtschew in Moskau habe Castro ein unkontrollierbares Pferd genannt, und nur deshalb unterstützt, weil Kuba als eine Art Schaufenster oder Marketingobjekt des Sozialismus diente, so Raffy.

Und den Amerikanern habe Castros Regime, das sich nach der Kuba-Raketenkrise Anfang der 1960er-Jahre als keine militärische Gefahr mehr erwies, als antikommunistische Vogelscheuche gedient, um zu zeigen, wie gefährlich und fiaskoreich der Kommunismus sei.

Heute besitze die Armee das Land, die Streitkräfte seien die einzigen Entscheidungsträger. Serge Raffy sieht dennoch in Castros Bruder Raul eine Art von Gorbatschew, der Kuba öffnen könnte.

swissinfo, Alexander Künzle

Die Schweiz anerkannte die Republik Kuba 1902. 1919 nahmen die beiden Staaten diplomatische Beziehungen auf.

Während dem Zweiten Weltkrieg nahm die Schweiz Schutzmachtmandate für Kuba in Deutschland, Frankreich, Italien und Japan wahr, de facto auch in Belgien und der Tschechoslowakei.

Seit der kubanischen Revolution (1959) vertritt die Schweiz in Havanna die Interessen der USA (ab 1961), seit 1991 jene Kubas in den USA.

Der wirtschaftliche Kontakt zwischen der Schweiz und Kuba entwickelte sich auch nach der Revolution weiter.

1997 unterzeichneten die beiden Länder ein Abkommen zur Förderung und zum Schutz von Investitionen.

Zusammen mit der Schweizerischen humanitären Hilfe unterstützen zudem Organisationen wie mediCuba das kubanische Gesundheitswesen.

Ferner leistet die Schweiz punktuell humanitäre Hilfe bei Hurrikanen und anderen Naturkatastrophen.

Universitäten und wissenschaftliche Institute der Schweiz und Kubas kooperieren seit kurzem im Forschungsbereich.

«Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Kuba sind gut. Mit dem Rücktritt sind diesbezüglich keine unmittelbaren Veränderungen zu erwarten. Das EDA verfolgt die politischen Entwicklungen in Kuba mit Interesse. Das EDA erwartet, dass die unter Raul Castro angekündigten Reformbestrebungen weitergeführt und intensiviert werden.

Das EDA begrüsst auch die angekündigte Unterzeichnung der UNO-Menschenrechtspakte I und II als Schritt in die richtige Richtung.

Die Schweiz engagiert sich seit 2000 in Kuba mit einem Programm der Entwicklungs-Zusammenarbeit in Höhe von 5 Mio. Franken. Sie unterstützt dabei Initiativen der Bevölkerung im Bereich der Gemeindeentwicklung und fördert die nachhaltige Wirtschafts-Entwicklung. Damit wird ein Beitrag zur friedlichen Transition geleistet.»

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