Läuft Beschleuniger heiss, kriegen Forscher kalte Füsse
Die Teilchen sausten fast mit Lichtgeschwindigkeit, die Forscher frohlockten. Doch nicht lange. Nach einem Defekt werden die Versuche im Beschleunigungsring des Cern erst im nächsten Frühling fortgesetzt.
Nachdem am letzten Freitag am Large Hadron Collider (LHC) technische Probleme aufgetreten sind, wird der Teilchen-Beschleuniger in der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) in Genf wohl den ganzen Winter über abgestellt bleiben.
Ausserdem können die Techniker solange nicht am LHC arbeiten, wie seine Riesenmagnete sich nicht vom Zustand der absoluten Kälte erwärmt haben. Diese Temperatur ist kälter als jene draussen im Weltraum und auch viel kälter als das, was Menschen normalerweise noch aushalten. Allein diese Erwärmungsphase dürfte einige Wochen in Anspruch nehmen.
Noch Anfang dieser Woche wollte sich der Cern-Sprecher nicht festlegen, wann die Reparaturarbeiten am weltweit teuersten und kältesten Experiment in der Geschichte abgeschlossen sein würden.
«Zur Zeit laufen die Ermittlungen noch», so James Gillies gegenüber swissinfo, «aber sobald wir etwas Konkretes und mehr Fakten haben, werden wir diese mitteilen.» Bis es jedoch soweit sei, werde nicht spekuliert.
Gillies sagt, die zwei Monate seien ein Minimum. Denn darin einbezogen seien das Erwärmen und Wieder-Abkühlen des LHC, nicht aber die Reparaturen. «Wir können den Zeitbedarf nicht genau bemessen, solange wir nicht im LHC selbst nach den Rechten sehen können. Erst dann wird es möglich, sich ein Bild zu machen und abzuschätzen, was getan werden muss.»
Experten sind bereits in den 27 Kilometer langen Tunnel gestiegen, der sich unter der schweizerisch-französischen Grenze befindet, um den Schaden zu inspizieren.
Pannen sind erwartet worden
Die Wissenschafter sind davon ausgegangen, dass es Pannen gibt. Denn das Zertrümmern von Atomen ist eine komplexe Angelegenheit. Um das Projekt zu realisieren, brauchte es 20 Jahre und kostete 6 Milliarden Franken.
Die Forscher bezwecken, mit dem LHC die Bedingungen zu simulieren, die sich eine Billionstel-Sekunde nach dem Big Bang vor 13 Milliarden Jahren ergeben hatten.
Doch die Eigenschaften des weltgrössten Teilchen-Beschleunigers bedingen eben auch, dass sich wegen des Abschmelzens kleiner elektrischer Schaltungen dieses Experiment bis ins nächste Jahr verschiebt.
Folge: Die Maschine könne nicht mehr vor dem geplanten saisonalen Herunterfahren auf Touren gebracht werden. Im Winter arbeite der LHC nicht, um Elektrizitäts-Kosten einzusparen.
Das Abschmelzen vom letzten Freitag könnte also zur Folge haben, dass das energieintensive Kollidieren von Partikeln auf 2009 verschoben wird.
Heikle Supraleiter
Gillies sagt, dass bestehende Partikel-Beschleuniger in den USA, die ebenfalls Supraleiter nutzen, beim Start ähnliche Probleme aufgewiesen hätten. Diese seien seither gelöst worden.
«Haben sich die Start-Schwierigkeiten einmal erledigt», so Gillies, «scheinen die Teilchen-Beschleuniger recht stabil zu laufen.»
Am 10. September war der Collider in Genf lanciert worden. Dabei wurden Bündel von Protonen eines Atomkerns fast mit Lichtgeschwindigkeit in Uhrzeigersinn in ein Umlauf-Tunnel geschossen. Im Gegenuhrzeigersinn wurden darauf auch Protonen-Bündel in die Umlaufbahn geschickt.
Damals sagte der wissenschaftliche Chef des Cern, Vizedirektor Jos Engelen, dass der Start des LHC aufgezeigt habe, dass der Beschleuniger komplexe Operationen bewältigen könne.
«Im letzten Moment der Hardware-Inbetriebnahme fanden wir eine Schwachstelle in einer bestimmten Schaltung», sagt Engelen. «Das ist hart, kann aber passieren. Wir sind am Reparieren und nehmen dann die erfolgreichen Arbeitsgänge des Beschleunigers wieder auf.»
Rund 36 Stunden nach der Lancierung des Beschleunigers ging zuerst ein Transformer ausserhalb der Kaltzone kaputt. Dies konnte repariert werden, und die Maschine war nach einer Woche wieder startbereit. Dann fiel sie zum zweiten Mal aus.
Protonen-Zersplitterung
Zu diesem Zeitpunkt ist man dem Ziel des LHC, dem Zersplittern von Protonen, um mehr über die erstkreierten Teilchen zu erfahren, immer noch einige Wochen entfernt gewesen. Grund: Der Beschleuniger kann nur graduell hochgefahren werden, um schliesslich jenes Energieniveau zu erreichen, das es zum Zersplittern braucht.
«Das war der letzte Durchgang der LHC, der bei hoher Stromenergie getestet wurde», so Gillies. «Es gibt äusserst viele Schaltungen zwischen den Kabeln im LHC. Sie müssen alle sehr gut gebaut sein, um die Supraleitung nicht zu unterbrechen. Wie es scheint, ist nämlich genau das passiert.»
Supraleitung heisst, dass der Strom in gewissen Metallen mit geringstem Widerstand bei sehr tiefen Temperaturen fliesst. Dies erlaubt eine viel grössere Effizienz bei den Elektromagneten, die die Protonen-Bündel führen. Falle die Supraleitung aus, bildeten sich Widerstände in den Kabeln, was zu Erhitzung führe.
«Dies dürfte auch eingetreten sein», sagt Gillies. «Ein Kabel erhitzte sich, und schmolz, was zu einem mechanische Defekt geführt hat.»
Für die Forscher am Cern, so Gillies, gebe es genügend zu tun zwischen dem jetzigen Zeitpunkt und der Wiederaufnahme der Experimente. So würden die kosmischen Strahlen untersucht, die den massiven Detektor des Colliders passieren.
swissinfo, Justin Häne und Agenturen
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Die Kabel für den LHC enthalten 6300 superleitende Niobium-Titanium-Fasern von 0,006 mm Dicke. Insgesamt erstrecken sich die Kabel also mehr als zehn Mal über die Distanz der Erde bis zur Sonne.
Der LHC (Beschleuniger) birgt auch den weltgrössten Kühlschrank. Dessen Temperatur liegt unter jener im Weltall.
Die jährliche Datenmenge, die der LHC erzeugt, hat auf 100’000 DVDs Platz.
Im Teilchen-Beschleuniger LHC sollen zwei Strahlen von Protonen gegenläufig zirkulieren.
Prallen sie aufeinander, sollten neue Teilchen entstehen wie das Higgs-Teilchen, das bisher aber erst in der Theorie existiert.
Das Aufeinanderprallen der Protonenstrahlen simuliert den Big Bang, den Urknall.
Die Strahlenbündel enthalten Milliarden von Protonen. Sie bewegen sich leicht unter Lichtgeschwindigkeit und werden durch Supermagneten geleitet.
Die Bündel bewegen sich durch zwei Vakuum-Ringe. An vier Punkten kollidieren sie – im Zentrum der Experimente.
Die Detektoren finden bis 600 Mio. Kollisionen pro Sekunde. Daraus ergeben sich Daten, die vielleicht Auskunft geben über neue Teilchen.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch