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Landesweite Früherkennung bei Brustkrebs

Früherkennung ist bei Heilungschancen für Brustkrebs äusserst wichtig. RTS

Hunderte von Frauen sterben in der Schweiz jährlich unnötigerweise wegen Brustkrebs, weil kein nationales Früherkennungs-Programm besteht.

Laut der Krebsliga Schweiz sterben deshalb pro Jahr immer noch 1300 Frauen, trotz medizinischem Fortschritt.

Jedes Jahr werden in der Schweiz rund 5000 Fälle von Brustkrebs diagnostiziert. Und obschon in der Schweiz die Rate der Brustkrebs-Erkrankungen höher ist als in manchen anderen europäischen Ländern, gibt es keine systematische Strategie, diese Krankheit im Frühstadium zu erfassen.

Es ist den Kantonen überlassen, eine eigene Politik zu entwickeln. So haben sich fünf französischsprachige Kantone – Waadt, Wallis, Genf, Freiburg und Jura – zusammengeschlossen, um ein standardisiertes Früherkennungs-System einzuführen.

Statistiken zeigen die regionalen Unterschiede

Statistiken zeigten, dass diese Kantone weit höhere Überlebenschancen für Brustkrebs-Kranke ausweisen als dies in der Deutschschweiz der Fall ist, sagt die Krebsliga Schweiz.

Oncosuisse, die neue Dachorganisation, die strategisch-politische Anliegen im Krebsbereich aktiv an die Hand nimmt, verlangt nun, dass Früherkennungs-Programme landesweit und einheitlich ein- und durchgeführt werden.

«Vergleichen wir, wie viel Geld landesweit für das Gesundheitswesen ausgegeben wird – rund 50 Mrd. Franken jährlich – und bedenken wir, dass die Früherkennungs-Programme in der Westschweiz lediglich einige hunderttausend Franken kosten, ist der Aufwand für die Früherkennungs-Programme lächerlich klein», sagt Reto Obrist, Direktor von Oncosuisse, gegenüber swissinfo.

West-östlicher «Mammo-Graben»

Der traditionelle Schweizer Föderalismus erklärt zu einem guten Teil, weshalb es kein nationales Mammografie-Programm gibt. Obschon Krebserkrankungen landesweit die zweitmeisten Todesopfer nach sich ziehen, sagt das Bundesamt für Gesundheit (BAG), dass es für ein nationales Früherkennungs-Programm ein neues Gesetz brauche.

«Die Verantwortung für die Gesundheitspolitik liegt bei den Kantonen», sagt BAG-Sprecherin Sandra Meier zu swissinfo.

Und so wird die Krebspolitik kantonal unterschiedlich angegangen. Die deutsch- und italienischsprachige Schweiz kennt keine eigentliche Früherkennungs-Politik. «Das heisst aber nicht, dass es kein Früherkennungs-Screening in diesen Kantonen gibt», sagt Obrist, «aber es ist nicht organisiert».

Skepsis in der Deutschschweiz

«Es hängt von der Einschätzung des betreffenden Arztes ab, ob er die Patientin zu einer Mammografie schickt. Eine Systematik dahinter gibt es keine, und viele Frauen werden nie zu einer Mammografie kommen. Es gibt in der Deutschschweiz keine Qualitätskontrolle, und wir wissen nicht, welchen Einfluss dies auf die Brustkrebs-Häufigkeit hat.» Im Gegensatz zur Westschweiz, wo diese Daten bekannt sind, weil sich die Kantone gemeinsam organisiert haben.

Laut Obrist kommt noch dazu, dass in den verschiedenen Landesteilen auch verschiedene Ansichten vorherrschen, was die Rolle der kantonalen Behörden angeht. Dies sei ein weiterer Grund, weshalb innerhalb der Deutschschweiz die Früherkennung so unterschiedlich gehandhabt werde. Die Deutschschweizer sind dem «Screening» gegenüber skeptischer eingestellt.

Obrist sagt, dass im Kanton Wallis, der beim Westschweizer Früherkennungs-System mitmacht, jeweils auf eine oder zwei richtig diagnostizierte acht Frauen falsch diagnostiziert werden. «Alle diese Frauen durchlaufen den Diagnoseprozess und müssen dann eine Biopsie durchführen lassen, obschon das ja bei den acht falsch diagnostizierten gar nicht nötig wäre.»

Probleme bei der Umsetzung

Gruppen, die sich mit Krebs befassen, sind überzeugt, dass die Einführung eines nationalen Früherkennungs-Programms die Todesrate um einen Drittel reduzieren würde. Doch sie geben zu, dass dem ein langer, schwieriger Weg vorausgehen werde.

«Das föderativ strukturierte Gesundheits-System und die bestehende Gesetzgebung machen es sehr schwierig, Programme, die auf pauschalen Qualitäts-Kontrollen aufbauen, einzuführen», sagt Stephanie Affolter von der Krebsliga. «Jedes kantonale Mammografie-System basiert auf einem verschiedenen Gesetz und wird unterschiedlich finanziert.»

Andererseits konnte das Bundesamt für Gesundheit im Fall von HIV-Ansteckung/Aids 2004 ein nationales Vierjahres-Programm lancieren. Und seit 2001 existiert auch ein landesweites Anti-Tabak-Programm.

«Die Aids-Prävention gehört zu unseren Grundaufgaben», sagt Meier, «und wir haben eine gesetzliche Basis dazu». Doch gäbe es keine gesetzliche Handhabe, die besagt, dass das BAG auch im Bereich der Krebs-Programme aktiv werde.

Dazu kommen die Abstriche in der Finanzierung des Bundesamtes. «Es braucht ein Budget und es braucht Geld», so Meier.

Obrist von Oncosuisse meint, es sei allgemein anerkannt, dass das Bundesamt garantierte Geldmittel haben müsse, um landesweit Früherkennungs-Systeme einführen zu können. «Selber kann das Bundesamt dies nicht finanzieren», so Obrist, «besonders in diesen Spar-Zeiten, wo sich niemand auf die Äste hinaus wagt».

Einsatz für nationale Koordination

Laut Obrist und Meier finden Gespräche zwischen den verschiedenen Krebs-Organisationen, den Kantonen und dem BAG statt, um das Projekt vorwärts zu treiben. Eines der Ziele bestünde darin, über die Kantone hinweg die Programme zu harmonisieren.

Krebs-Aktivisten bearbeiten auch die Bundes-Parlamentarier, ein Gesetz zu verabschieden, das es dem Bundesamt erlauben würde, systematisches Früherkennungs-Screening einzuführen.

Laut Meier würde das BAG dies gerne an die Hand nehmen, doch würde es andererseits wohl noch Jahre dauern, bevor ein landesweites Programm auf den Beinen steht.

«In der Schweiz dauert das Durchziehen eines Gesetzes durchs Parlament rund 10 Jahre», so die Sprecherin. «Vielleicht haben wir im Jahr 2015 ein Gesetz, das derart formuliert ist, dass es die Früherkennung erlaubt.»

swissinfo, Morven McLean
(Übertragung aus dem Englischen von Alexander Künzle)

1994 rief die Weltgesundheits-Organisation WHO auf, landesweite Früherkennungs-Programme gegen Krebs auf die Beine zu stellen.

2002 rief das Europäische Parlament die Mitglieder-Staaten dazu auf, Frauen im Alter von 50 bis 69 im Zwei-Jahres-Rhythmus Mammogramme zu ermöglichen.

Zur Zeit kennen acht EU-Länder nationale Früherkennungs-Programme für Brustkrebs: Belgien, Finnland, Frankreich, Ungarn, Luxemburg, Niederlande, Schweden und Grossbritannien.

Die Krebsliga schätzt, dass in der Schweiz jährlich bis zu 5000 neue Fälle von Brustkrebs bei Frauen diagnostiziert warden.
Zirka 10% der Frauen entwickeln einen Brustkrebs.
Jährlich sterben rund 1300 Frauen an dieser Krebsart.
Dank moderner Behandlungsmethoden sind 70% aller Frauen fünf Jahre, nachdem Brustkrebs diagnostiziert worden ist, immer noch am Leben.

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