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Lawine war Ursache des tödlichen Jungfrau-Unfalls

Durch das Schneebrett (Abriss oben rechts) verloren sechs Schweizer Soldaten ihr Leben. Reuters

Die sechs Soldaten, die im Juli an der Jungfrau abgestürzt sind, kamen durch eine Lawine ums Leben. Gemäss einem neuen Gutachten haben sie diese höchstwahrscheinlich selber ausgelöst.

Gegen die zwei Bergführer, die mit der Armee-Seilschaft unterwegs waren, wird eine Voruntersuchung wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet.

Das Gutachten des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung in Davos (SLF), über das der militärische Untersuchungsrichter Christoph Huber am Donnerstag orientierte, stützt sich auf die Untersuchung vor Ort sowie die Befragungsprotokolle.

Es kommt zum Schluss, dass die Seilschaften oberhalb des Rottalsattels an der Jungfrau die Unfalllawine «höchstwahrscheinlich» selber ausgelöst haben. Eine Auslösung durch Dritte oder Tiere sei «höchst unwahrscheinlich», ebenso ein spontaner Lawinenabgang, sagte SLF-Leiter Jakob Rhyner.

Der Unfall ist laut SLF auf den Lawinenabgang zurückzuführen. Die sechs Soldaten in den zwei oberen Seilschaften stürzten mit der Lawine ins Rottal ab; die acht nachfolgenden Personen gerieten am Rand in die Lawine. Am Fuss des Hangs gelangten sie zum Stillstand und überlebten.

Die Lawinengefahr am Unfalltag schätzen die Experten als «erheblich» ein. Das 45 Grad steile Unfallgebiet sei «aus lawinentechnischer Sicht ein Extremhang». Keinen Einfluss gehabt habe wegen der tiefen Temperaturen die Tatsache, dass die Gruppe erst um 10 Uhr aufgestiegen sei.

Keine sinnvolle Alternative

Ausser der Lawine gebe es keine andere sinnvolle Erklärung der Unfallursache, sagte Rhyner.

Vom Tisch scheint damit die Theorie eines Fehltritts, welche die Armee mit Verweis auf den Präsidenten des Schweizerischen Bergführerführerverbands, Georg Flepp, ins Spiel gebracht hatte. «Die Fakten zeigen, dass dies keinen sinnvollen Ablauf ergibt», sagte Rhyner. Weiter wollte er Flepps Theorie nicht kommentieren.

Dass nicht alle Beteiligten sofort erkannten, dass eine Lawine abging, widerspricht laut Rhyner dem geschilderten Unfallhergang nicht. Es sei durchaus möglich, dass ein Lawinenanbruch von den hinteren Personen nicht sofort als solcher wahrgenommen wurde.

Huber hatte in der Vergangenheit jene Medien kritisiert, die über den Unfallhergang spekuliert hatten. «Manchmal hatten wir den Eindruck, die Medien wissen mehr als wir», sagte er gegenüber swissinfo.

Mögliche weitere Verantwortliche

Huber und Rhyner klammerten sorfältig jene Aussagen des SLF-Gutachtens aus, die sich zur Erkennbarkeit der Gefahren für die Soldaten und zur Schuldfrage äussern. Damit würde seine Unvoreingehommenheit tangiert, sagte Huber.

Für die Bergführer gelte weiter die Unschuldsvermutung. Die beiden Männer im Alter von 45 und 32 Jahren sind laut Angaben des Heeres weiterhin für die Armee im Einsatz.

Mögliche Ausdehnung auf Vorgesetzte

Eine Ausdehnung der Strafuntersuchung auf Vorgesetzte der Bergführer oder weitere Personen schliesse er «explizit nicht aus», sagte Huber. Dazu gehörten neben anderen auch Schulkommandant Franz Nager.

Nach Abschluss der Voruntersuchung wird der zuständige Ankläger der Militärjustiz entscheiden, ob es zu einer Anklage und damit einem Gerichtsverfahren kommt. Die Angehörigen der Opfer können einen Prozess aber durchsetzen. Zur Dauer des weiteren Verfahrens machte Huber keine Angaben.

Auf Anfrage von swissinfo wollte weder die Schweizer Armee noch das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) zum Gutachten Stellung nehmen.

swissinfo und Agenturen

12. Juli: Fünf Rekruten und ein Wachtmeister der Gebirgsspezialisten-RS stürzen beim Aufstieg zur Jungfrau ab. Die sechs können nur noch tot geborgen werden.

13. Juli: In einer vorläufigen Beweisaufnahme nimmt die Militärjustiz Ermittlungen gegen unbekannt auf. Kritik wird laut, dass angesichts der Wetterlage der Aufstieg zu riskant gewesen sei.

15. Juli: Ein privater Bergführer sagt aus, er habe die Armeebergführer vor der Tour auf die Jungfrau gewarnt.

16. Juli: Die Militärjustiz erklärt, dass möglicherweise kein Zusammenhang zwischen dem Lawinenniedergang und dem Absturz der Soldaten bestehe.

17. Juli: An der Trauerfeier in Andermatt warnt Verteidigungsminister Schmid vor Vorverurteilungen und verspricht lückenlose Aufklärung.

26. Juli: Eine Medienkonferenz des militärischen Untersuchungsrichters bringt keine neuen Erkenntnisse. Das Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos (SLF) wird beauftragt, ein Gutachten zu erstellen.

4. Oktober: Die Militärjustiz kündigt die Einleitung einer Voruntersuchung wegen fahrlässiger Tötung gegen die beiden Armee-Bergführer an. Das Davoser Gutachten kommt zum Schluss, dass die Absturzursache eine höchstwahrscheinlich von den Soldaten ausgelöste Lawine war.

Die Tragödie an der Jungfrau vom 12. Juli 2007 ist das schwerste Armeeunglück der vergangenen Jahre. 1992 kamen bei einer Explosion eines Munitionslagers auf dem Sustenpass sechs Personen ums Leben.

Die schwerste Lawinen-Tragödie in der Schweiz ereignete sich am 24. Februar 1970. Damals riss eine Lawine in Reckingen im Oberwallis 30 Menschen in den Tod, sechs Kinder, fünf Frauen und 19 Armeeangehörige.

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