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Living on the Edge – Leben am San Andreas Graben

Skyline von San Francisco mit "erdbebensicher" gebauten Wolkenkratzern. Layla Kaenel

Die hohe seismische Aktivität und die Bedrohung durch ein heftiges Erdbeben sorgen dafür, dass man in der Umgebung des San Andreas Grabens an der kalifornischen Küste am Thema nicht vorbeikommt. Wie gehen die Leute mit der ständigen Gefahr um?

Dass Erdbeben hier ein allgegenwärtiges Thema sind, wurde uns bereits bei unseren ersten Kontakten mit Einheimischen bewusst.

Beim beliebten «Smalltalk» kommt man, nachdem man die Eigenheiten des lokalen Mikroklimas erfahren hat, ziemlich schnell und häufig auf das Thema Erdbeben zu sprechen.

Auch wenn das letzte schwere Beben in der Region von San Francisco schon über 20 Jahre zurückliegt, können sich unsere Bekannten noch gut an dieses starke Beben mit einer Stärke von 7 auf der Richterskala erinnern.

Die meisten erzählen gerne, ob sie unter einem Tisch oder Türrahmen Deckung suchten, oder wie sie versucht haben, ihre Kinder zu beruhigen.

Trotz des scheinbar lockeren Umgangs mit dem Thema sollte man nicht vergessen, dass 63 Menschen beim Erdbeben von 1989 starben und bis zu 12’000 Personen ihr Haus verloren hatten.

Kleinere Erdbeben, von denen täglich rund 30 in Nordkalifornien verzeichnet werden, sorgen dafür, dass das Thema nicht in Vergessenheit gerät. Auch wenn die meisten dieser leichten Beben für uns kaum oder gar nicht spürbar verlaufen, wird man doch immer wieder an die Gefahr erinnert.

Spaziergang am San Andreas Graben

Der Grund für die hohe seismische Aktivität ist das Zusammentreffen der pazifischen und der nordamerikanischen tektonischen Platten am San Andreas Graben. Da die pazifische Platte in nordwestliche und die nordamerikanische Platte in südöstliche Richtung driftet, treten immer wieder Spannungen an der Schnittstelle auf, die sich plötzlich in Erdbeben entladen.

Im Gegensatz zu den meisten Plattengrenzen verläuft der San Andreas Graben zu einem Grossteil am Festland, und man kann bequem darüber spazieren.

Tatsächlich merkt man von den enormen Kräften selbst in der direkten Nähe des Grabens nicht viel. Bei einer Wanderung im Los Trancos Park hätten wir den Graben wahrscheinlich gar nicht bemerkt, wenn er nicht mit Pfählen markiert wäre und Tafeln auf besondere Geländestrukturen hinweisen würden.

Man kann auch Spuren des Erdbebens von 1906, das vermutlich eine Stärke von 8,25 auf der Richterskala hatte, erahnen, so etwa Bäume, die damals umgestürzt sind und dann ihre Wuchsrichtung geändert haben.

Das nächste Beben kommt bestimmt

Heute leben die Kalifornier auch mit der Gewissheit, dass ein Starkbeben nicht mehr allzu fern ist. Das befürchtete Starkbeben, «The Big One», mit einer vorhergesagten Stärke zwischen 7,5 und 8,5, kann theoretisch schon morgen eintreten oder erst in zwanzig Jahren oder später.

Nach wissenschaftlicher Berechnung liegt die Wahrscheinlichkeit eines «Big One» in San Francisco oder Los Angeles während der nächsten 30 Jahre bei 62 Prozent. Es ist daher nicht verwunderlich, dass zahlreiche Sicherheitsmassnahmen eingeführt wurden, um das Katastrophen-Potenzial eines solchen Erdbebens zu minimieren.

Vorbereitung bereits im Kindergarten

Die Einwohner sind sich der Gefahr bewusst und soweit möglich vorbereitet. Das richtige Verhalten im Falle eines Erdbebens wird bereits im Kindergarten und später in der Schule vermittelt.

So weiss bereits jedes Kleinkind, dass es sich bei einem Beben von Fenstern fernhalten, wenn möglich unter einen stabilen Tisch kriechen und die Arme schützend über den Kopf halten soll. Zudem hat jeder Haushalt Essen und Wasser für mindestens drei Tage zu Hause oder im Auto vorrätig.

Später geht die Sicherheitsausbildung am Arbeitsplatz weiter. So musste mein Mann an der Universität an einem Sicherheitstraining teilnehmen, wobei nicht nur das richtige Verhalten bei einem Erdbeben, sondern auch wichtige Vorkehrungen betreffend der Lagerung von Chemikalien behandelt wurden, um Schäden bei einem Erdbeben zu vermeiden.

Die Erdbebengefahr hat natürlich auch Auswirkungen auf den Häuserbau. Während bei den Wolkenkratzern in San Francisco moderne Stahlbautechniken eingesetzt werden, kommen bei kleineren Wohnhäusern Konstruktionen mit massiven, aber flexiblen Holzbalken zum Zug.

Sicherheitsmassnahmen geben Gefühl von Sicherheit

Die Vielfalt der Sicherheits-Massnahmen und deren Einhaltung zeigen, dass man die Erdbebengefahr durchaus ernst nimmt und nicht verdrängt. Vor allem führen die Sicherheitsmassnahmen dazu, dass man sich für Erdbeben gewappnet fühlt.

Ausserdem ist das Risiko, in Los Angeles ermordet zu werden, fünfmal höher als die Gefahr, bei einem Erdbeben zu sterben.

Somit ist es nicht verwunderlich, dass sich die amerikanische Bevölkerung durch die Erdbebengefahr nicht beunruhigen lässt und San Francisco trotzdem auf Platz 1 der Beliebtheitsskala der Wohnorte in den USA steht.

Layla Lang, San Francisco Bay, swissinfo.ch

Immer häufiger reisen auch junge Leute für längere Zeit ins Ausland, sei das zum Studieren, Forschen, für ein Stage oder zum Arbeiten.

Zu ihnen gehört auch Layla Lang, die von März bis August 2010 für swissinfo.ch über ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus Kalifornien berichtet.

Layla Lang ist 28 Jahre alt.

Sie hat an der ETH Zürich Biologie studiert. Ihre Diplomarbeit führte sie am Max-Planck-Insitut für Marine Mikrobiologie in Bremen, Deutschland durch.

Anschliessend lebte sie drei Jahre in München, wo sie als Projekt-Koordinatorin in der klinischen Forschung arbeitete.

Im Dezember 2009 zog Layla Lang mit ihrem Mann, der in Stanford eine Postdoktoranden-Stelle besetzt, an die Bucht von San Francisco in Kalifornien.

Sie arbeitet als klinischer Monitor und betreut klinische Studien in der Region Kalifornien.

Zusätzlich befasst sie sich mit Malerei und wissenschaftlicher Illustration (www.laylakaenel.com).

Zu ihren Hobbys zählen längere Fahrrad- und Trekking-Touren in der Natur.

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