Löcher in der Mauer finden und Palästina besuchen
Über Tourismus in den Palästinensergebieten zu sprechen, während die Menschen vor Ort sterben, mutet auf Anhieb zynisch an. Unter dem Motto "jetzt erst recht" haben sich Organisationen in der Schweiz entschlossen, es dennoch zu tun.
«Natürlich ist jetzt kaum der richtige Zeitpunkt für eine Reise», sagt Matthias Hui von der Fachstelle OeME der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.
«Doch es gibt keinen Grund, jetzt nicht darüber zu sprechen.» Der Tourismus sei wichtig für die wirtschaftliche Entwicklung in den Palästinensergebieten – und könne friedensfördernd wirken.
«Allerdings nur, wenn die Palästinenserinnen und Palästinenser etwas davon haben.» Hunderttausende reisen jährlich ins «Heilige Land». Doch der Tourismus ist praktisch ausschliesslich in israelischer Hand.
Viele Touristen machen höchstens einen kurzen Abstecher in palästinensisches Gebiet, um die Geburtskirche in Bethlehem zu besuchen. Das Geld geben sie in Israel aus.
Boom in den letzten zwei Jahren
Mit dem Bau der Mauer wurde die Hürde zusätzlich erhöht, für Einheimische und Touristen. Die palästinensischen Bemühungen zahlten sich dennoch aus: Ab 2007 stiegen die Besucher- und Übernachtungszahlen rapide an.
Für das Jahr 2008 rechnete das Tourismusministerium mit acht Millionen Besucherinnen und Besuchern. Allein Bethlehem verzeichnete über eine Million. Nun dürfte der Tourismus erneut einbrechen – nicht nur im ohnehin schwer zugänglichen Gaza-Streifen, sondern auch im Westjordanland.
Die Löcher in der Mauer
Die Fachstelle OeME der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und der «Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung» wollen dem entgegenwirken. Bei einem Treffen in Bern haben sie jüngst versucht, Reiseveranstalter und Kirchgemeinden für das Thema zu sensibilisieren.
Die Botschaft: Wer ins «Heilige Land» reist, soll auch Palästina besuchen. «Finden Sie die Löcher in der Mauer», sagte Matthias Hui, der vier Jahre lang im Westjordanland gelebt hat – und bei seiner Ausreise von einer israelischen Zollbeamtin gefragt wurde, ob er in dieser Zeit Palästinenser kennen gelernt habe.
Palästinensische Reiseleiter engagieren
An Ferienmessen wollen die beiden Organisationen einen «Wegweiser für Reisen ins Heilige Land» verteilen, der auf Basis einer breit abgestützten Initiative palästinensischer Organisationen entstanden ist.
«Handeln Sie fair, indem Sie in palästinensischen Hotels übernachten und palästinensische Touristenführer engagieren», steht im Wegweiser. Und: «Teilen Sie Ihre Reise-Erfahrungen und Einsichten, die Sie unterwegs gewonnen haben, zu Hause mit Ihren Freunden und Bekannten.»
Palästina sei eine lohnende Reisedestination, betont Regula Kaufmann, die während zwei Jahren für eine Tourismusorganisation in Bethlehem arbeitete. Das Land biete zahlreiche Sehenswürdigkeiten, Naturschönheiten und Möglichkeiten der Begegnung. Die Kontakte seien bereichernd, für beide Seiten.
Zur Zeit unsicher
Doch ist das Reisen auch sicher? Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) weist auf die Gefahren hin. Derzeit rät es von Reisen ins Westjordanland ab, wobei einige Städte ausgenommen werden.
Christine Plüss vom «Arbeitskreis Tourismus & Entwicklung» weist ihrerseits darauf hin, dass seit Ausbruch der zweiten Intifada im Jahr 2000 im Westjordanland kein Tourist zu Schaden kam. «Unter Umständen ist ein Luxushotel in Ägypten gefährlicher.»
swissinfo und Charlotte Walser, InfoSüd
Reisen ins «Heilige Land» sind besonders bei Kirchgemeindegruppen beliebt. Die Kirchgemeinde Wohlen zum Beispiel hat bereits vier Reisen organisiert.
Nur wenige Anbieter auf dem Schweizer Markt arbeiten mit palästinensischen Partnern zusammen, unter ihnen «Terra Sancta Tours».
Für 2009 sind bei diesem Anbieter bis anhin 15 Gruppenreisen gebucht worden.
Das Interesse sei seit der Reise der Schweizer Bischöfe ins «Heilige Land» gestiegen, heisst es bei «Terra Sancta Tours».
Tipps und Informationen finden sich im Reiseführer «Palestine and Palestinians», der unter dem Namen «Palästina Reisehandbuch» demnächst im Palmyra Verlag auf deutsch erscheint.
Das Buch vermittelt ein umfassendes Bild der Geschichte, Politik und Kultur der palästinensischen Gesellschaft.
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