Mami kocht! Warum die Rollenverteilung in der Schweiz kaum vom Fleck kommt
In der Schweiz engagieren sich immer mehr Männer auch im Haushalt, und zwar stärker als in anderen Ländern. Mit der Ankunft eines Kindes aber wird die Aufteilung der Arbeit zwischen beiden Elternteilen wieder ungleicher. Welche Auswirkungen hat das auf Familien? Soziologe Jean-Marie Le Goff erläutert das Phänomen anhand von Grafiken.
2 Stunden und 45 Minuten pro Tag oder 19 Stunden pro Woche kümmert sich in der Schweiz ein Mann gemäss Bundesamt für StatistikExterner Link (BFS) über alle Haushaltsformen gemittelt um Haushalt und Familie.
Das sind pro Woche fast 3 Stunden mehr als noch vor 20 Jahren. Hinter Norwegen und Schweden gehört die Schweiz damit zu den Ländern, in denen sich Männer am meisten in der Haus- und Familienarbeit engagieren. Der OECD-Durchschnitt beträgt 2 Stunden pro Tag.
Und trotzdem leisten die Väter bei weitem nicht so viel wie die Mütter, die für Essen, Haushalt und Wäsche pro Tag durchschnittlich 4 Stunden (fast 29 Stunden pro Woche) aufwenden.
Das ist nur geringfügig weniger als die Anfang der 2000er-Jahre ermittelten 30 Stunden. In Haushalten mit Kindern steigt die Arbeitslast der Mütter auf fast sechseinhalb Stunden (45 Std. pro Woche) gegenüber knapp 4 Stunden bei den Vätern (27 Std. pro Woche).
Jean-Marie Le Goff, Soziologe und Lehr- und Forschungsbeauftragter an der Universität Lausanne, bestätigt: «Die Aufgaben bleiben in der Schweiz ungleich verteilt.»
Natürlich gibt es Ausnahmen, aber insgesamt leisten Frauen deutlich mehr als Männer, nicht nur in Sachen Haushalt, sondern auch bei der Betreuung.
«Nicht alles lässt sich in Arbeitsstunden messen», sagt Le Goff, dessen Spezialgebiet die Rollenverteilung innerhalb der Familie ist.
«Die mentale Belastung, sich beispielsweise um die Logistik des Haushalts, die Menüplanung, das Erstellen von Einkaufslisten, das Organisieren von Aktivitäten oder das Vereinbaren von Arztterminen zu kümmern, liegt meist bei den Frauen und lässt sich in Studien nur schwer erfassen.»
Jean-Marie Le GoffExterner Link ist Soziologe und Lehr- und Forschungsbeauftragter an der Universität Lausanne. Zu seinen wichtigsten Forschungsbereichen gehören der Familienalltag und der Übergang von der Paarbeziehung zum Familienleben.
Er befasst sich besonders mit den Veränderungen, die Menschen erleben, wenn sie das erste Mal Eltern werden und wie sich die Lebensläufe von Männern und Frauen während dieses Übergangs auseinanderentwickeln.
Le Goff ist Mitautor des Buchs ««Devenir parents, devenir inégaux»Externer Link (Eltern werden, ungleich werden).
Mit dem ersten Kind kommt die Aufteilung der Aufgaben
Wer macht was zu Hause? Grob gesagt kümmern sich die Frauen um das Kochen und Putzen, während die Finanzen und Handwerkliches mehr oder weniger den Männern obliegen.
«Männer übernehmen in der Regel Aufgaben, die weniger Engagement oder Energie erfordern und weniger häufig zu erledigen sind», stellt Le Goff fest.
Seit 2000 ist diese Aufteilung der Aufgaben praktisch unverändert geblieben. Frauen kümmern sich auch mehrheitlich um die Kinder, nämlich 23 Stunden pro Woche, im Vergleich zu 14 Stunden bei den Männern.
Zwar betreuen die Männer heute mehr als noch im Jahr 2000 (3,5 Std. mehr pro Woche). Die Lücke zu den Frauen vermag dies jedoch nicht zu schliessen, denn die Betreuungszeit insgesamt hat in den letzten Jahrzehnten ebenfalls zugenommen.
Die Arbeit zu Hause ist folglich auch in Haushalten mit Kindern ungleicher verteilt. «Die Geburt des ersten Kindes ist oft eine tiefgreifende Veränderung», sagt Le Goff, Co-Autor einer Studie, die sich Paaren vor und nach dem Eltern werden befasst hat.
«Vorher sind die Aufgaben mehr oder weniger gleich verteilt. Danach aber kommt es zu einer zunehmend ungleichen Verteilung.»
Arbeit ohne Lohn? Frauensache!
Laut Jean-Marie Le Goff entsteht diese Ungleichheit weder gewollt noch zwingend bewusst. «Oft gehen Eltern davon aus, dass die Aufgabenteilung wie vor dem ersten Kind fortbestehen kann. Die Realität sieht aber komplett anders aus», sagt Le Goff.
Das Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften (Fors) hat 2022 eine Studie zu Familien und der Entwicklung der Geschlechterrollen durchgeführt.
Die Ergebnisse liegen SWI swissinfo.ch vor. Die Studie bestätigt, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung für eine gleichmässige Aufteilung der Aufgaben eintritt.
«Das Bild, dass der Vater die Brötchen verdient und die Mutter den Haushalt schmeisst, ist in den Köpfen jedoch fest verankert», bilanziert Le Goff. «Die Gesellschaft tendiert dazu, Frauen primär in der Rolle der Mütter zu sehen, die daneben noch etwas Geld verdienen.»
Die Ergebnisse der Fors-Studie mit Fragen zur Erwerbstätigkeit von Müttern gehen in die gleiche Richtung. 47% der Befragten sind der Meinung, die Finanzierung der Familie sei die Aufgabe des Vaters.
Und eine überwiegende Mehrheit betrachtet ein Familienmodell als ideal, bei dem die Mutter nur ein kleines Pensum arbeitet.
Tatsache ist, dass die grosse Mehrheit der Frauen ihr Arbeitspensum bei der Geburt des ersten Kindes reduziert. Mehr als drei Viertel der MütterExterner Link arbeiten danach Teilzeit.
Bei den Frauen ohne Kinder sind es 30%, bei den Vätern 13%. Hinter den Niederlanden hat die Schweiz die zweithöchste Teilzeitquote unter Frauen innerhalb der OECDExterner Link.
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Für Jean-Marie Le Goff wird diese Aufteilung der Arbeit unter Paaren «durch die Tatsache begünstigt, dass es auf dem Schweizer Arbeitsmarkt bei Stellen, die mehrheitlich von Frauen besetzt sind, einfacher ist, das Pensum zu reduzieren als bei den typischen Männerjobs».
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Die weithin verbreitete Teilzeitpraxis hat Folgen für die wirtschaftlichen und beruflichen Perspektiven von Frauen und spiegelt sich auch bei der Aufgabenteilung zu Hause wider: Frauen mit einem Pensum unter 50% arbeiten im Durchschnitt mehr als 50 Stunden pro Woche im Haushalt.
Mehr Gleichheit, mehr Kinder?
Wie man eine gerechtere Aufteilung der Aufgaben bei der Haus- und Familienarbeit hinkriegt, zeigen Länder in Nordeuropa – auch wenn die Aufgaben nirgendwo wirklich gleich verteilt sind.
Zum einen sind die skandinavischen Länder für ihren ausgeprägten Sinn für Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau bekannt. Sie sind aber auch ein Vorbild für den ausgedehnten Mutter- bzw. Vaterschaftsurlaub, der zwischen Mutter und Vater flexibel aufgeteilt werden kann.
«Wenn die Väter in den ersten Monaten nach einer Geburt namentlich des ersten Kindes Vaterschaftsurlaub erhalten, wirkt sich dies positiv auf das Engagement der Väter auf die Hausarbeit aus», hält Le Goff fest.
Eine weitere Frage stellt sich im Hinblick auf den allgemein feststellbaren Geburtenrückgang: Würde eine ausgeglichenere Aufgabenverteilung und stärkeres Engagement der Väter zu mehr Kindern führen?
Bis vor einigen Jahren fand diese Idee ein gewisses EchoExterner Link, insbesondere aufgrund der Statistiken nordischer Länder, die damals noch die höchsten Geburtenraten Europas verzeichneten. Mittlerweile sinken die Geburtenraten aber auch dort rasch, womit diese Hypothese auf wackeligen Beinen steht.
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Le Goff bezweifelt, dass das Aufgabenlast bei der Geburt des ersten Kindes die Eltern massgeblich davon abhält, ein weiteres Kind zu bekommen.
«Wenn man ein Kind hat, möchte man wahrscheinlich auch ein zweites, denn der Hang zu zwei Kindern ist noch immer stark», sagt er.
Eine ungleiche Aufteilung der Aufgaben ist aber nicht gerade beziehungsfördernd. Es ist nicht auszuschliessen, dass die Aufgabenteilung Einfluss darauf hat, ob Paare Kinder haben, oder ob sich zwei Menschen überhaupt finden und zusammenziehen.
In der Schweiz ist der Anteil kinderloser Frauen einer der höchsten Europas, besonders unter den hochqualifizierten Frauen: Mehr als 30% der Frauen mit einem HochschulabschlussExterner Link haben keine Kinder.
Editiert von Samuel Jaberg, Übertragung aus dem Französischen: Lorenz Mohler
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