Mangelnde Präsenz in internationalen Organisationen
25 teilweise gewichtige Regierungs-Organisationen haben ihren Sitz in Genf, Basel oder Bern. Trotzdem ist die Schweiz in den meisten internationalen Organisationen untervertreten.
Für diese mangelnde Präsenz ist die Schweiz alleine verantwortlich.
Am Europäischen Patentamt in München arbeiten mehr Rumänen als Schweizer, obwohl aus Rumänien weniger Patentanträge stammen als aus allen anderen Mitgliedstaaten. Und in der Welthandels-Organisation, beim Aids-Programm der UNO oder bei Interpol sucht man vergeblich nach höher qualifizierten Mitarbeitern mit einem roten Pass.
Insgesamt arbeiten auf der Stufe «Professionals» (mit Uniabschluss) bei allen 120 internationalen Organisationen nur gerade 754 Schweizer. Das entspricht 1,8% des qualifizierten Personals und steht in einem Missverhältnis zu dem, was der Bund an diese Organisationen zahlt. Nur gerade elf Länder leisten – sogar in absoluten Zahlen – grössere Beiträge.
Schweiz allein verantwortlich
Für die mangelnde Präsenz ist allein die Schweiz verantwortlich, beziehungsweise die Schweizer. Kandidaten aus unterrepräsentierten Staaten profitieren von einer Quotenregel – aber nur, wenn sie sich auch bewerben.
Ausgezeichnete Chancen – aber keine Garantie – haben Schweizerinnen und Schweizer zurzeit beim Europarat, beim Welternährungsprogramm, bei der Weltgesundheits-Organisation, dem UNO-Entwicklungsprogramm oder bei Unicef. Besonders gefragt sind schweizerische Fachkräfte auf den Gebieten Finanzen, Technologie, Wirtschaft, Umwelt und Kultur.
Die Gründe für das fehlende Interesse sind vielfältig. Die potenziellen Kandidaten seien oft nicht bereit, ins Ausland zu ziehen, sagt Johann Aeschlimann, Sprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Lange Verfahren schrecken ab
So arbeiten mehr als die Hälfte der Schweizer «Professionals» in Genf. Die bezahlten Löhne sind zwar mit den hiesigen vergleichbar. Doch sie üben auf Schweizer nicht die gleiche Anziehungskraft aus wie auf Kandidaten aus Drittweltländern.
Abschreckend wirken auch die langwierigen Bewerbungsverfahren, wie sie in der Schweiz nicht üblich sind. Es kann durchaus passieren, dass man auf das Ergebnis der «National Competitive Recruitment Examinations», einer Art Eintrittsprüfung für die UNO, mehr als ein Jahr lang wartet.
Bewerber aus ärmeren Ländern, die auf den Job ihres Lebens hoffen, bringen auf dem Weg durch die internationale Bürokratie meistens mehr Geduld auf.
Seit einigen Jahren versucht das EDA, Hochschulabgänger mit Informations-Veranstaltungen zu sensibilisieren. Die Zahl der Schweizer «Professionals» hat sich in der Folge leicht erhöht, und an den UNO-Examen nahmen dieses Jahr doppelt so viele teil wie 2005.
Später UNO-Beitritt nicht der Grund
Zweck der Übung ist allerdings nicht, im EDA ein weiteres Jobvermittlungs-Programm aufzubauen. Wer nicht mit eigenen Leuten präsent sei, habe auch keinen Einfluss auf die Organisationen und auf die Verwendung der Beiträge, sagt Aeschlimann. Umgekehrt müsse sich die Schweiz ohne eigenes Personal mit Informationen aus zweiter Hand zufrieden geben.
So gesehen war die Wahl von Walter Kälin in den UNO-Menschenrechtsrat im vergangenen Mai nicht nur ein Prestigegewinn für die Eidgenossenschaft; der Bund kann über ihn auf das Gremium einwirken – auch wenn Kälin nicht an Weisungen aus Bern gebunden ist.
Mit dem späten UNO-Beitritt hat die mangelnde Präsenz nichts zu tun. Da die Schweiz an diverse Unterorganisationen Beiträge zahlte, konnten sich Schweizer schon früher um eine Stelle bewerben.
Die UNO-Hauptorganisation ist im Gegenteil eine der wenigen Organisationen, in denen die Schweiz ihre Quote bald ausgeschöpft hat. Möglicherweise sind Schweizer im nächsten Jahr für die «National Competitive Recruitment Examinations» gar nicht mehr zugelassen.
In Spitzenposten gut vertreten
Für die Besetzung der Spitzenposten in internationalen Organisationen spielen Länderquoten kaum eine Rolle. Oft finden (politische) Wahlen statt, in jedem Fall aber Absprachen hinter den Kulissen. Ohne die Rückendeckung der eigenen Diplomaten haben selbst herausragend qualifizierte Anwärter keine Chance.
Auf dieser Stufe ist die Schweiz weit besser vertreten als bei den «Professionals»: Walter Kälin (Menschenrechtsrat), Nicolas Michel (Uno-Rechtsberater), Luzius Wildhaber und sein Nachfolger Giorgio Malinverni (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte), Peter Messerli (Europäisches Patentamt), Adolf Ogi (UNO-Sonderberater für Sport und Entwicklung), Carla Del Ponte (Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals) sind einige der bekannteren Namen.
Die Liste der Top-Funktionäre zeigt auch, dass Schweizer in internationalen Organisationen willkommen sind. Die Neutralität ist hier ein Bonus: Schweizer stehen nicht im Verdacht, der einen oder anderen Fraktion anzugehören.
Doch keine internationale Organisation wartet auf Kandidaturen aus der Schweiz, denn das weltweite Personal-Reservoir ist praktisch unerschöpflich. Wer sich bewirbt, muss allerdings durch den bürokratischen Dschungel hindurch. Eine Orientierungshilfe bieten die Internet-Seiten der EDA-Sektion «Präsenz der Schweiz in internationalen Organisationen».
swissinfo, basierend auf einem in der NZZ veröffentlichten Artikel
Als zweite «Hauptstadt» der UNO nach New York gilt Genf als aktivstes Zentrum der multilateralen Diplomatie. 155 Staaten sind präsent.
Von den niedergelassenen internationalen Organisationen gehören sieben zum UNO-System: Die Hochkommissariate für Menschenrechte und Flüchtlinge, die Organisationen für Weltgesundheit (WHO), geistiges Eigentum, für Welt-Meteorologie, die Internationale Arbeits-Organisation (ILO) und die Telekom-Union.
Zu den wichtigsten weiteren gehören das Europäische Kernforschungs-Zentrum (CERN), die Welthandels-Organisation (WTO), die Abrüstungskonferenz, die Internationale Migrations-Organisation (IMO) und die Internationale Flug-Transport-Vereinigung (IATA).
Im weiteren: Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, die Europäische Runkfunk-Union (EBU) und der Ökumenische Kirchenrat.
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