Marschieren gegen Atomwaffen: Eine Ostertradition
Barack Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt war in den 60er-Jahren die Vision jener, die an Ostermärschen teilnahmen. In jüngster Zeit stand das Thema an Schweizer Ostermärschen nicht mehr im Vordergrund.
An Ostern 1958 marschierten 10’000 Menschen von London zum Atomforschungszentrum Aldermaston, um gegen die nukleare Aufrüstung zu demonstrieren. Es war der erste Ostermarsch. In der Folge entwickelte sich in verschiedenen westeuropäischen Ländern eine Tradition, die zeitweilig Ausmasse einer Massenbewegung annahm.
In der Schweiz fand der erste Ostermarsch 1963 statt. Er führte von Lausanne nach Genf und dauerte ganze drei Tage. Wunderschöne Frühlingstage seien es gewesen, erinnert sich Ruedi Tobler, Präsident des Schweizerischen Friedensrates. Er war damals 16 Jahre alt und wollte Genf sehen. «Ich war zwar gegen Atomwaffen, bezweifelte aber den Nutzen solcher Aktionen», sagt Tobler. Die drei Tage in den Weinbergen veränderten seine Einstellung.
«Obwohl nur ein paar hundert Personen teilnahmen, war die Wirkung gross», sagt Tobler. «Der Marsch hat die Friedensbewegung gestärkt.» Über die Durchführung eines Ostermarsches war lange diskutiert worden. Viele zögerten, weil sie befürchteten, eine solche Aktion könnte sich in einer heiklen politischen Phase kontraproduktiv auswirken.
Eklat wegen Ho-Chi-Minh-Fahnen
1958 hatte der Bundesrat erklärt, die Schweiz brauche Atomwaffen. Die Frage nach der Reaktion darauf drohte die Linke zu spalten. Ein kategorisches Verbot fordern oder lediglich Auflagen? Schliesslich wurden zwei Volksinitiativen lanciert – und deutlich abgelehnt.
Interne Differenzen anderer Art gab es unter den Ostermarsch-Aktivisten. Manche plädierten von Beginn weg dafür, auch die zivile Nutzung der Atomkraft anzuprangern, andere waren vehement dagegen.
Umstritten war auch der Umgang mit anderen Themen. Als 1967 beim Ostermarsch von Biel nach Bern Vietnamkrieg-Gegner mit Ho-Chi-Minh-Fahnen auftauchten, wurde der Marsch unterbrochen. Es war der vorläufig letzte Ostermarsch gewesen: «Ab 1968 waren die verschiedenen Gruppen nicht mehr auf eine gemeinsame Aktion angewiesen», erklärt Tobler.
Zu Beginn der 80er-Jahre wurde die Tradition wieder aufgenommen. In der Zwischenzeit war zwar der Atomwaffensperrvertrag zustande gekommen. Doch die von der NATO beschlossene Nachrüstung weckte Widerstand, insbesondere in Deutschland, wo die Stationierungspläne für Atomraketen eine neue Friedensbewegung auslösten. Es wurde die grösste soziale Bewegung in der Geschichte Deutschlands. Und wieder erfasste der Trend die Schweiz: 1982 nahmen am Dreiländer-Ostermarsch in Basel 30’000 Menschen teil.
Von Umweltzerstörung bis Irak-Krieg
Im Laufe der 80er-Jahre wurde die Thematik breiter. Umweltthemen rückten in den Vordergrund. «Die Einsicht wuchs, dass nicht nur Atomwaffen die Welt zerstören können», sagt Tobler. Gleichzeitig entwickelten sich allerdings neue Aktionsformen. Ende der 80er-Jahre schlief die Ostermarschbewegung ein. Zu neuem Leben erwachte sie erst 2003 wieder, im Zuge der Proteste gegen den Irak-Krieg. Rund 1000 Personen nahmen damals am Ostermarsch in Bern teil. Seither fand der Marsch jedes Jahr statt, ab 2008 mit gesamtschweizerischer Ausrichtung.
Die Veranstalter – Friedensorganisationen und kirchliche Kreise – einigen sich jeweils auf ein Schwerpunktthema. Dieses Jahr steht der Marsch unter dem Motto «Stopp den Ausgrenzungen – Friede den MigrantInnen». Das Thema «Frieden» habe viele Aspekte und sei nicht von Fragen der Gerechtigkeit zu trennen, gibt Albert Rieger von der Fachstelle Oekumene, Mission, Entwicklung (OeME) zu bedenken.
Auch die feministische Friedensorganisation cfd hält es für sinnvoll, an Ostermärschen jeweils ein bestimmtes Thema ins Zentrum zu setzen, basierend auf einem breiten Friedensbegriff. Vielleicht stehe dereinst auch die von Obama neu aufgegriffene Frage der nuklearen Abrüstung wieder im Zentrum, sagt Franziska Müller vom cfd. «Vielleicht können wir uns aber auch anderen Themen widmen, wenn sich Obama der Atom-Frage annimmt.»
swissinfo und Charlotte Walser, InfoSüd
Die Trägerorganisationen des Berner Ostermarsches kritisieren die Schweizer Asylpolitik. «Wir bestehen auf der eigentlichen Funktion der Asylgesetzgebung. Sie heisst: Menschen schützen, nicht Migration verhindern», schreiben sie in einer Mitteilung. Zum Marsch entlang der Aare am Ostermontag erwarten die Veranstalter wie in den vergangenen Jahren einige hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Ein weiterer Ostermarsch findet im St. Galler Rheintal statt. Der Marsch entlang des alten Rheins steht im Zeichen der Grenzschliessung während des Zweiten Weltkrieges. Es soll ein Gedenkmarsch werden für die jüdischen Flüchtlinge, die an der Schweizer Grenze abgewiesen wurden. Im Fokus sollen aber auch jene Menschen stehen, die heute Schutz in der Schweiz suchen. Ihre Teilnahme angekündigt hat alt Bundesrätin Ruth Dreifuss.
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