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Metzlers Afrika-Reise im Kreuzfeuer

Zurück in der kalten Heimat: Bundesrätin Ruth Metzler und BFF-Direktor Jean-Daniel Gerber. Keystone

Die von Justizministerin Ruth Metzler mit Senegal und Nigeria abgeschlossenen Rückführungs-Abkommen stossen auf Skepsis.

Internationale und nationale Flüchtlingsorganisationen, aber auch die rechtsbürgerliche SVP sparen nicht mit Kritik.

«Senegal leistet Polizeiarbeit für die Schweiz» so der Titel der Donnerstags-Ausgabe einer Tageszeitung in Senegals Hauptstadt Dakar. Lokale Nichtregierungs-Organisationen doppelten nach: «Das ist eine Schande für Afrika!»

Weil das Asylrecht in Europa immer mehr unter Druck gerate, habe man hier den Eindruck, man deportiere Afrikaner aus Europa in ein afrikanisches Land, damit dieses «die Drecksarbeit» übernehmen könne, schimpfte Alioune Tine, Sekretär der afrikanischen Menschenrechts-Organisation RADHO, bereits vor der Unterzeichnung des Transitabkommens zwischen Senegal und der Schweiz.

Auch die Schweizer Sektion von Amnesty International (ai) warnt: «Dieser Vertrag dient nur dazu, das Asylproblem der Schweiz nach Afrika zu exportieren.»

Pschologische Wirkung entscheidend

Davon wollte Ruth Metzler nichts wissen. Es sei falsch zu sagen, dass die Probleme einfach nach Afrika verlagert würden, erklärte sie nach ihrer Rückkehr.

Ihr Reisegefährte, BFF-Direktor Jean-Daniel Gerber, sagte, Ziel der beiden Verträge sei insbesondere eine psychologische Wirkung gewesen und ein Signal an die Schlepper. Die beiden Verträge hätten eine abschreckende Wirkung.

PR-Aktion der Regierung?

Für die SVP ist die Afrika-Reise der Justizministerin in erster Linie eine Propaganda-Sache. Die Haltung der Partei ist jedoch nicht nur ablehnend. Pressesprecher Yves Bichsel: «Wir sind ein wenig skeptisch in Bezug auf die Realisierbarkeit. Wir sind jedoch nicht dagegen, dass man es versucht.»

Die SVP setzt aber andere Prioritäten. Yves Bichsel: «Es wäre einfacher, statt die begleitenden Schweizer in den Senegal und wieder zurück zu fliegen, dass mehr Leute die Grenzen kontrollieren würden. Man könnte so einen grossen Leerlauf vermeiden.»

Yann Golay, Pressesprecher der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), empfindet die Aufmerksamkeit, welche hierzulande und in Europa dem Verfahren entgegengebracht wird, als reichlich übertrieben. «Das Interesse von Europa an dieser Sache ist wahrscheinlich deshalb so gross, weil man dort nicht verstanden hat, worum es geht. Man hat gedacht, die Schweiz würde ihr Asylverfahren nach Senegal auslagern. Doch das ist nicht der Fall.»

Schweiz im Schwitzkasten

Die Schweiz gerät bei der Asylfrage immer mehr unter Druck. Am 15. Januar nimmt die europäische Computerdatenbank Eurodac ihren Betrieb auf. Alle Flüchtlinge, die in einem europäischen Staat aufgegriffen werden oder illegal in ein EU-Land einreisen, werden per Fingerabdruck erfasst. Damit haben abgewiesene Asylbewerber keine Chance mehr, in einem anderen EU-Land ein zweites Gesuch einzureichen.

Die Schweiz hat als Nicht-EU-Mitglied keinen Zugriff auf Eurodac. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe rechnet deshalb mit einer Zunahme der Asylgesuche in der Schweiz um mindestens 10’000 pro Jahr, also fast ein Drittel aller im Jahr 2002 eingegangen Gesuche.

Fehlende Transparenz

Die Schweiz ist also gezwungen, auch in der Asylpolitik einen bilateralen Weg einzuschlagen. Das «komplizierte und ungewöhnliche» System, das die Schweiz und Senegal gewählt haben, muss für Rupert Colville, Sprecher des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) erst seine Tauglichkeit unter Beweis stellen.

Auch Amnesty äussert sich skeptisch: «Man kennt das Abkommen noch nicht, man weiss nichts über die vereinbarten Modalitäten. Die fehlende Transparenz ist für uns ein Problem. Es scheint, als wäre ein Geheimabkommen ausgehandelt worden. Das lässt viel Spielraum für Spekulationen offen.»

Alioune Tine von RADHO fragt: «Was für Bedingungen gelten für den Aufenthalt der Menschen in Senegal? In der Schweiz besitzt man Garantien, dass die Menschenrechte eingehalten werden. Aber hier, und das kann ich Ihnen versichern, kümmert sich die Regierung keinen Deut darum.»

Yann Golay vom SFH meint: «Frau Metzler sollte darauf achten, dass das Transitabkommen transparent und im Einklang mit den Menschenrechten angewendet wird.»

Für die SVP besteht in dieser Beziehung kein Handlungsbedarf. Pressesprecher Yves Bichsel: «Es reicht, wenn Schweizer mitreisen und beim Verfahren anwesend sind. Menschenrechts-Verletzungen sind auf diese Weise auszuschliessen.»

Einfachere Identifikation

Die SVP geht mit dem Bundesrat einig, dass die Identifikation der Asylsuchenden einfacher ist. SVP-Sprecher Bichsel: «Man kann vor Ort anhand der Sprache und des Aussehens einfacher herausfinden, woher ein Asylbewerber stammt.»

ai kann sich dieser Sichtweise nicht anschliessen. Amnesty-Sprecher Jürg Keller: «Es wird auch in Senegal nicht leicht sein, herauszufinden, aus was für einem Land ein Angehöriger einer Volksgruppe kommt. Volksgruppen machen vor Ländergrenzen nicht halt.»

Keine Gefahr für zurückgeschaffte Nigerianer?

Das Rücknahmeabkommen mit Nigeria ist für die SFH nicht so problematisch. Yann Golay: «Die Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Praxis grundsätzlich nicht verändern. Es geht darum, den Wegweisungsvollzug zu verbessern, zu vereinfachen.»

Bei ai herrscht eine andere Sichtweise: «In Nigeria ist die Menschenrechts-Situation nach wie vor schlecht. Folter und Tod in Gefängnissen sind immer noch an der Tagesordnung», weiss Mediensprecher Keller.

Er fragt: «Wie kann die Schweiz garantieren, dass den zurückgeschafften Menschen in Nigeria nichts Schlimmes passiert?»

swissinfo, Etienne Strebel

Das Transitabkommen mit Senegal ist eine Premiere: Die nicht in der Schweiz identifizierbaren Asylbewerber aus Westafrika, sollen künftig nach Dakar geschickt werden.

Die in Dakar anwesenden Schweizer Funktionäre sollen mit Hilfe von senegalsischen Beamten innert 72 Stunden die Identität der Asylsuchenden feststellen. Dank der Mitarbeit der Botschaften der Nachbarländer Senegals, soll die Identifizierung leichter fallen. (Viele westafrikanische Länder haben in der Schweiz keine diplomatische Vertretung.) Kann die Identität der Asylsuchenden nicht geklärt werden, müssen sie in die Schweiz zurückgeschafft werden.

Das Rückschaffungs-Abkommen mit Nigeria ist klassischer: Es beinhaltet, dass das Heimatland abgewiesende Asylbewerber wieder bei sich aufnimmt.

Die Schweiz hat solche Rückführungs-Verträge mit 26 Ländern, vornehmlich in Europa, abgeschlossen. Das Abkommen mit Nigeria ist das erste seiner Art, das die Schweiz mit einem afrikanischen Land abgeschlossen hat.

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