Micheline Calmy-Rey im ersten Test

Die neue Aussenministerin stellt am Montag vor einer Parlamentskommission ihr allererstes Dossier vor.
Die Gesetzesvorlage soll eine Friedenspolitik institutionalisieren, die seit dem Schweizer UNO-Beitritt vom Rest der Welt erwartet wird.
«Wie viele andere Länder erwartet Frankreich von der Schweiz, dass sie jetzt, da sie zu einem wichtigen Teil der Vereinten Nationen geworden ist, ihre humanitäre Politik ausbaut», erklärt Stéphane Schorderet, Sprecher der französischen UNO-Mission in Genf.
Diese Erwartung hatte schon der französische Aussenminister Dominique de Villepin am 10. September nach der feierlichen Einsetzung der Schweiz in der UNO ganz klar ausgedrückt.
Um diese so lebhaft erwartete humanitäre Politik geht es bei einem Gesetzesentwurf, den die neue Genfer Bundesrätin am Montag in Bern dem Parlament vorstellt.
Micheline Calmy-Rey muss vor der aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (der grossen Parlamentskammer) einen Text und einen Rahmenkredit von 240 Millionen Franken vertreten.
Den humanitären Geist der Schweiz stärken
Mit der Vorlage soll die Politik der Friedensförderung und des Einsatzes für die Menschenrechte, die das Schweizer Aussenministerium seit mehreren Jahren verfolgt, gestärkt und institutionalisiert werden.
Begleitet wird sie von zwei weiteren Projekten zu den gleichen Themen, mit denen sich das Verteidigungsministerium befasst. Daher ist am Montag auch dessen Vorsteher, Bundesrat Samuel Schmid, dabei.
Vorbereitet wurde das Dossier natürlich noch von Calmy-Reys Vorgänger Joseph Deiss. Nimmt das Gesetz die parlamentarische Hürde, kann es 2004 in Kraft treten.
Am Plädoyer von Calmy-Rey für dieses Dossier wird sich zeigen, mit welchem Nachdruck die Sozialdemokratin diese spezifische Aufgabe ihres Ministeriums, des EDA, unterstützen wird.
Victor-Yves Ghebali erwartet allerdings keine Revolution: «Sie wird sich natürlich den Gepflogenheiten des EDA nicht widersetzen, sondern sich ihnen vielmehr anpassen», glaubt der Professor am Institut Universitaire des hautes études internationales in Genf.
«Der Handlungsspielraum der Schweizer Diplomatie ist ohnehin begrenzt», fügt Ghebali bei.
Grosse Erwartungen von Seiten der NGO
Für die Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) ist dies ein Grund mehr, die Politik für den Frieden und die Menschenrechte stärker zu fördern.
«In der Presse etwa wurde vom EDA auch schon verlangt, aus dieser humanitären Nische auszubrechen. Wir hoffen, dass Micheline Calmy-Rey nicht auf diese Forderung eingeht», sagt Alain Bovard von der Schweizer Sektion von Amnesty International.
«Insbesondere hoffen wir», so Bovard weiter, «dass die Schweiz in der Irak-Krise und im Nahost-Konflikt klar und deutlich an die Prinzipien des Völkerrechts erinnert.»
Eric Sottas von der Weltorganisation gegen die Folter (OMCT) glaubt, dass das EDA seit dem Schweizer UNO-Beitritt bei den Konflikten in Afrika oder in Nahost wieder eine Politik der guten Dienste verfolgen könnte.
Aussen- contra Wirtschaftspolitik
«Micheline Calmy-Rey könnte auch die gesamte Aussenpolitik der Schweiz kohärenter gestalten», fügt er bei.
«Die Schweiz kann nicht Asylsuchende in Länder zurückschicken, die beim Bundesamt für Flüchtlinge als sicher gelten, und gleichzeitig Menschenrechts-Verletzungen in diesen Ländern verurteilen», so Sottas weiter.
Und: «Es ist auch inkonsequent, dass das Volkswirtschaftsministerium bestimmte Wirtschaftspolitiken unterstützt, die den Nährboden bilden für Menschenrechts-Verletzungen.»
Sottas führt das Beispiel Brasilien an, wo die ungleiche Verteilung des Reichtums zu einem grossen Teil für die Gewalt an Strassenkindern verantwortlich sei.
Zur Förderung von mehr Kohärenz in der Schweizer Aussenpolitik schlägt Alain Bovard der neuen Aussenministerin deshalb vor, auf Bundesebene eine Menschenrechts-Kommission zu schaffen.
swissinfo, Frédéric Burnand, Genf
(Übersetzung aus dem Französischen: Charlotte Egger)
Die Regierung will den Einsatz der Schweiz für die zivile Friedensförderung und die Stärkung der Menschenrechte institutionalisieren. Mit einem neuen Gesetz soll die humanitäre Politik der Schweiz ausgebaut und gestärkt werden, was nach dem UNO-Beitritt des Landes auch weltweit erwartet wird.
Friedenspolitik und Menschenrechte
Neues Gesetz soll bisherige Politik des Aussenministeriums institutionalisieren.
Gesetzesentwurf umfasst Rahmenkredit von 240 Mio. Franken für vier Jahre.

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