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Migration lässt sich nicht verhindern

Migranten aus Afrika nach ihrer Ankunft im Süden Teneriffas - in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Keystone

Die reichen Länder versuchen, sich gegen Migrantinnen und Migranten abzuschotten. Fachleute halten diesen Versuch für aussichtslos und kritisieren die einseitige Migrationspolitik. Sie fordern ein Umdenken.

«Es ist absurd, Migration verhindern zu wollen», sagt Claude Auroi, Professor am Institut de hautes études internationales et du développement (IHEID) in Genf. Das Institut gibt das Schweizerische Jahrbuch für Entwicklungspolitik heraus, das dieses Jahr dem Thema «Migration und Entwicklung» gewidmet ist.

Die Autorinnen und Autoren sind sich einig: Migration hat es schon immer gegeben und wird es immer geben. Allerdings hat die Globalisierung neue Formen hervorgebracht. Nicht nur Waren, Dienstleistungen und Kapital sind in der globalisierten Welt vermehrt in Bewegung, sondern auch Menschen. Je grösser die weltweiten Ungleichheiten sind, desto grösser ist der Anreiz für die Benachteiligten, das Glück anderswo zu suchen.

Migration ist somit untrennbar mit der Entwicklung in den Ländern des Südens verbunden. Kann Entwicklungshilfe also verhindern, dass Menschen ihr Land verlassen? Müsste dies gar das erklärte Ziel der Hilfe sein? Die Fachleute zeigen sich skeptisch. Entwicklungshilfe dürfe nicht zur Eindämmung der Migrationsströme instrumentalisiert werden, lautete der Tenor bei der Präsentation des Buches in Genf. Migration müsse als Realität akzeptiert werden.

Weniger Armut dank Migration

Im Zentrum der Debatte stand denn auch ein anderer Aspekt. «Dass Migration sich nicht verhindern lässt, ist die schlechte Nachricht», hielt Jason Gagnon vom Development Centre der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris fest. «Die gute Nachricht ist, dass Migration zur Entwicklung beitragen kann.»

Migration ist zwar auch für die Entwicklungsländer nicht nur positiv, denn sie verlieren qualifizierte Arbeitskräfte und müssen gegen Menschenhandel kämpfen. Auf der anderen Seite profitieren die Auswanderungsländer aber von der beruflichen Erfahrung der Rückkehrer und von Geldüberweisungen der Migranten an ihre Familien.

Nach Schätzungen der Weltbank betrugen die Rücküberweisungen im Jahr 2006 über 200 Mrd. Dollar – rund doppelt soviel wie die gesamte öffentliche Entwicklungshilfe. Vielleicht verzögern diese Gelder die Schaffung von Sozialsystemen. Tatsache ist aber, dass sie in vielen Familien die Armut verringern, wie Claude Auroi am Beispiel Lateinamerikas deutlich machte. Die Fachleute fordern, dass solche Faktoren in der Politik berücksichtigt werden.

Fehlende Konzepte in der Politik

«In der Migrationspolitik muss es darum gehen, die positiven Auswirkungen der Migration auf die Entwicklung zu verstärken», sagt Gérard Perroulaz vom IHEID. Doch gibt es überhaupt eine Migrationspolitik, die über Abschottung hinausgeht? Auf globaler Ebene kann kaum davon die Rede sein. Und neue Ansätze seien nicht in Sicht, schreibt Pietro Mona vom Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) im Jahrbuch.

Auf nationaler Ebene ist die Politik segmentiert: Verschiedene Ämter und Departemente befassen sich mit Migrationsfragen. EDA-Vertreter Stefano Toscano erinnerte an die interdepartementalen Arbeitsgruppen. Auch engagiere sich die Schweiz für eine verbesserte internationale Abstimmung. Den Migrationsforschern reicht dies jedoch nicht.

Die Schweiz habe Schwierigkeiten, von Absichtserklärungen zu operationellen Projekten überzugehen, kritisiert Perroulaz. Sie verhalte sich defensiv und sei nicht imstande, Projekte zu fördern, welche die positiven Aspekte der Migration maximierten. Neuerdings sei Migration nicht einmal mehr ein Schwerpunktthema der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza).

Empfehlungen an die Politik

Die Fachleute schlagen eine ganze Reihe von Massnahmen vor: Aufnahmeländer sollten mit Herkunftsländern Partnerschaften eingehen, Migranten-Gemeinschaften vermehrt einbeziehen und Zahlungen von Migranten unterstützen, so durch die Senkung der Kosten bei Geldüberweisungen. Auch über flexiblere Massnahmen für die Zulassung zum Arbeitsmarkt muss nach Ansicht der Forscher diskutiert werden.

Mit der Erschwerung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Personen aus Nicht-EU-Staaten sei die Schattenwirtschaft gefördert worden, kritisiert Jason Gagnon vom OECD Development Centre. Zudem führe die restriktive Politik dazu, dass Migranten entgegen ihren ursprünglichen Absichten im Aufnahmeland blieben, da sie befürchteten, später nicht mehr einreisen zu können.

Die Politik ist sich der Probleme bewusst: «Wir stehen sicherlich noch am Anfang eines langen Weges», hält Pietro Mona vom EDA fest. Solange Migranten als eine Gefahr und nicht als Potenzial für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung angesehen würden, seien die Möglichkeiten einer offenen und innovativen Migrationspolitik allerdings begrenzt.

swissinfo und Charlotte Walser, InfoSüd

Laut dem Bundesamt für Migration (BfM) wurden im vergangenen Jahr rund 16’600 Asylgesuche gestellt. Das bedeutet eine Zunahme von 53% gegenüber 2007.

Die meisten Flüchtlinge stammten aus Eritrea, gefolgt von jenen aus Somalia.

Die grösste Zunahme gegenüber dem Vorjahr erfolgte bei den Nigerianern, Irakern und srilankischen Flüchtlingen.

Ende 2008 blieben laut den Behörden immer noch 12’700 Gesuche unbearbeitet.

Ende Dezember 2008 betrug die ständige ausländische Wohnbevölkerung aus EU- und EFTA-Ländern 1’026’495 Personen, das sind 6,8% mehr als Ende Dezember 2007.

Die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer aus Nicht-EU-Staaten nahm im selben Zeitraum um lediglich 0,4% zu.

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