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Monets «Mohnfeld» mit Erblast

Juan Carlos Emden, Enkel des ehemaligen Eigentümers Max Emden.

Claude Monets "Mohnfeld bei Vétheuil" wurde beim Kunstraub in Zürich gestohlen und inzwischen wieder gefunden. Einst hing dieses Bild in der Villa des jüdischen Kaufmanns Max Emden auf den Brissago-Inseln.

Es war 1941 von Emil Bührle gekauft worden. Die Erben von Max Emden lassen abklären, ob es sich um Raubkunst handelt. Die Bührle-Sammlung spricht von einer «korrekten Abwicklung».

Stolz präsentierte die Zürcher Stadtpolizei am 19. Februar zwei Bilder, die nach dem spektakulären Kunstraub aus der Sammlung Bührle wieder aufgetaucht waren.

Neben van Goghs «Kastanienzweige» hat die Polizei auch das «Mohnfeld bei Vétheuil» von Claude Monet in einem Auto auf einem Parkplatz in Zürich sichergestellt.

Kaum jemand dürfte wissen, dass dieses Bild von Monet einst in der prachtvollen Villa auf den Brissago-Inseln im Lago Maggiore hing.

Es gehörte dem jüdischen Kaufmann Max Emden aus Hamburg, der diese Inseln 1927 von der legendären Baronin Antoinette de St. Léger für 350’000 Franken gekauft hatte.

Emden führte dort ein ausschweifendes und luxuriöses Leben. Als Warenhausbesitzer war er in der Hansestadt zu Reichtum gelangt und hatte eine umfangreiche Kunstsammlung aufgebaut.

Kunst verkauft

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten lebte Emden fast ausschliesslich im Tessin und erhielt 1934 das Schweizer Bürgerrecht, während sein Vermögen in Deutschland im Rahmen der «Arisierung» sukzessive zwangsenteignet wurde.

Um zu Überleben, begann er, ab 1938 Werke aus seiner Kunstsammlung zu verkaufen, darunter auch das «Mohnfeld» von Monet. Es soll sich im Juni 1940 – als Max Emden im Alter von 66 Jahren starb – aber noch in der Villa befunden haben.

Wie kam das Bild in die Hände von Bührle? Rechtsanwalt Markus Stötzel aus Marburg in Deutschland behauptet, dass der Transfer «unter zweifelhaften und nie geklärten Umständen erfolgte».

Quittung fehlt

Stötzel vertritt Juan Carlos Emden, den Enkel von Max Emden. Sein Vater Hans Heinrich Emden war aus Nazi-Deutschland geflüchtet und hatte sich in Chile niedergelassen. Der Emden-Erbe sagt, dass eine Quittung über den Verkauf des Monet-Bildes bis heute nicht aufgetaucht sei.

Der Anwalt vermutet, dass die Veräusserung des Monet-Bildes einen «verfolgungsbedingten Vermögensverlust» darstellt und als Raubkunst unter das Washingtoner Abkommen von 1998 fällt. Demnach sollte das Bild an die Emden-Erben zurückgegeben werden.

Doch soweit ist es noch nicht. «Einen offiziellen Antrag auf Rückerstattung des Bildes haben wir bisher noch nicht gestellt», präzisiert Stötzel auf Anfrage.

«Verkauf korrekt»

Dies könnte auch schwierig werden. Denn die Stiftung Sammlung Bührle will die Herkunft des Monets-Bild belegen können. Direktor Lukas Gloor erklärt in einer Stellungnahme gegenüber swissinfo, «dass der Verkauf des Bildes aus der Sammlung Max Emden in der Schweiz zugunsten von dessen Sohn Hans Erich Emden in jeder Hinsicht korrekt abgewickelt wurde».

Hans Erich Emden, Sohn von Max Emden, habe die Bilder aus dem Nachlass seines verstorbenen Vaters im Oktober 1940 dem damals in St. Gallen niedergelassenen Kunsthändler Walter Feilchenfeldt zum Verkauf anvertraut.

Dieser habe sich mit einer so genannten «Toleranz-Aufenthaltsbewilligung» in der Schweiz aufgehalten. Da er daher nicht berufstätig sein durfte, habe er die Transaktion nicht verbucht, sondern sie nur in seinem Notizbuch vermerkt – am 2. Mai 1941.

Transfer über Zwischenhändler

Der Transfer sei dann effektiv über den Zwischenhändler Fritz Nathan, St. Gallen, an Emil Bührle erfolgt. Nathan sei wiederholt nach aussen für Feilchenfeldt in Erscheinung getreten.

Walter Feilchenfeldt und Hans Erich Emden haben sich laut Gloor zuvor am 5. Oktober 1940 im Hotel Baur au Lac in Zürich getroffen. Eine Woche später sei die Besichtigung der Bilder in der Villa auf den Brissago-Inseln erfolgt.

swissinfo, Gerhard Lob, Locarno

Max Emden (1873-1940) aus Hamburg lebte ab 1930 auf den Brissago-Inseln im Tessin. Er ist in Ronco oberhalb von Ascona begraben.

Sein Sohn Hans Erich Emden wurde als Jude verfolgt und floh 1940 aus Deutschland nach Chile. Eine Aufenthaltserlaubnis für die Schweiz wurde ihm offenbar verweigert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Hans Erich Emden auf die Brissago-Inseln zurück, traf die Villa aber fast leer an: Auf mysteriöse Weise waren die Kunstwerke verschwunden.

Hans Erich Emden wollte damals einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen und verkaufte die Insel an den Kanton Tessin.

Seinem Sohn Juan Carlos verschwieg er die Familiengeschichte über Jahrzehnte. Dieser stiess erst nach dem Mauerfall von 1989 auf die eigene Familiengeschichte – im Rahmen einer Entschädigung für eine zwangsenteignete Immobilie in Potsdam bei Berlin.

Das Bild «Mohnfeld bei Vétheuil» entstand um 1880. Claude Monet (1840-1926) hatte sich im Januar 1878 in dem kleinen Vétheuil am rechten Ufer der Seine angesiedelt, um bis Ende 1881 dort zu bleiben.

Für dieses Bild stellte er seine Staffelei in den blühenden Wiesengründen der Vienne auf, in denen die Kinder den roten Mohn pflücken, mit dem Blick auf die Kirche, die zwischen den sanften Höhenzügen aufragt.

Der Wert des Monet-Gemäldes wird heute auf 50 Mio. Franken geschätzt. Mit einer Grösse von 73 zu 93 Zentimetern gehörte es zusammen mit Van Goghs «Kastanienzweig» zu den grössten Bildern des am 10. Februar 2008 geraubten Quartetts.

Die Geschichte von Max Emden und dem Verbleib des Kunstschatzes der Brissago-Inseln hat das Schweizer Fernsehen italienischer Sprache (TSI) im Dokumentarfilm «I misteri delle isole» (2007) nachgezeichnet.

Der Film lief in diesem Januar auch an den Solothurner Filmtagen.

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