Nachrichtenmüde Schweiz: Was ein neuer Bericht über den Medienkonsum sagt
Eine Rekordzahl von Menschen wendet sich von den Nachrichten ab. Warum eigentlich? Der neueste "Digital News Report" gibt Aufschluss, auch über die Mediennutzung in der Schweiz.
Diese Woche hat das Reuters Institute der Universität Oxford den Digital News Report 2024Externer Link veröffentlicht. Es ist ein eindrücklicher Blick auf die Herausforderungen, mit denen Medienorganisationen in 47 Ländern konfrontiert sind, auch in der Schweiz.
100’000 Personen wurden für den Bericht befragt. Eine der wichtigsten Erkenntnisse in diesem Jahr: die Nachrichtenvermeidung hat ein Rekordniveau erreicht.
Fast vier von zehn (39%) Menschen weltweit gaben an, dass sie manchmal oder oft aktiv Nachrichten meiden. 2017 waren es noch 29%.
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«Nach der Pandemie und den Kriegen ist es eine ganz natürliche Reaktion der Menschen, sich von den Nachrichten abzuwenden, sei es, um ihre psychische Gesundheit zu schützen oder einfach, um den Rest ihres Lebens zu meistern», so der Hauptautor des Berichts, Nic Newman, gegenüber BBC News.
Manche Menschen fühlten sich von der Menge der Nachrichten zunehmend überwältigt und verwirrt, während andere politikmüde seien, fügte er hinzu.
Der Einfluss der Pandemie
In der Schweiz Externer Linkgaben 36% der Befragten an, dass sie zumindest zeitweise keine Nachrichten konsumieren (+3% im Vergleich zum letztjährigen Bericht). Dies entspricht einem Anstieg von 10% gegenüber der Zeit vor der Covid-19-Pandemie.
Das allgemeine Interesse an Nachrichten hat in der Schweiz zuletzt abgenommen. Im Jahr 2024 gaben 48% der Befragten an, dass sie sehr an Nachrichten interessiert sind. Das waren zwei Prozentpunkte mehr als 2023, aber 11% weniger als 2016.
«Die sogenannte News Deprivation [dass Nachrichten im Alltag kaum genutzt werden] hat in der Schweiz zugenommen, aber gleichzeitig hat sich die Gruppe der intensiven Nachrichtennutzer nicht vergrössert», sagte Linards UdrisExterner Link von der Universität Zürich, der an dem Bericht mitgewirkt hat, gegenüber dem Branchenportal persönlich.com.
Der Anteil der Newsdeprivierten ist bei Frauen (39%) höher als bei Männern (33%). Untersuchungen zeigen, dass sich viele Frauen in den Medien nicht ausreichend repräsentiert finden, so Udris.
«Viele Frauen fühlen sich von den Themen und der Art der Berichterstattung nicht angesprochen. Sie ziehen es vor, Nachrichten via ihre Freunde mitzubekommen», sagte er.
Sollen wir den Medien vertrauen?
Das allgemeine Vertrauen in die Nachrichten bleibt mit 40 % stabil, liegt aber immer noch 4% niedriger als auf dem Höhepunkt der Pandemie, so die Umfrage.
In der Schweiz lag das Vertrauen in die Nachrichten mit 41 % etwas höher. Dies sind jedoch neun Prozentpunkte weniger als im Jahr 2016.
Die meistgenutzten und vertrauenswürdigsten Marken sind nach wie vor der Schweizerische Rundfunk (SRG SSR) und seine regionalen Einheiten SRF und RTS, gefolgt von der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), dem Tages-Anzeiger und Le Temps. Die SRG ist auch die Muttergesellschaft von SWI swissinfo.ch.
Eine weitere Herausforderung, mit der die Nachrichtenorganisationen konfrontiert sind, ist die allgemeine mangelnde Bereitschaft des Publikums, für Nachrichtenabonnements zu zahlen.
Nach einem gewissen Wachstum während der Pandemie gaben 17% der Befragten in 20 Ländern an, dass sie für Online-Nachrichten bezahlen, eine Zahl, die in den letzten drei Jahren unverändert geblieben ist, so der Bericht. In der Schweiz lag der Wert ebenfalls bei 17%.
Ermässigte Preise sind weit verbreitet
Ein beträchtlicher Anteil der Abonnent:innen von Online-Nachrichten zahlt ermässigte Preise aufgrund von Test- oder Werbeaktionen. In der Schweiz zahlen 47% weniger als den vollen Preis für ihr Abonnement.
Weltweit hat der Bericht gezeigt, dass das Publikum für traditionelle Nachrichtenquellen wie Fernsehen und Printmedien in den letzten zehn Jahren zurückgegangen ist.
Jüngere Menschen ziehen es vor, Nachrichten online oder vermittelt über soziale Medien zu konsumieren. Videos werden zu einer immer wichtigeren Quelle, vor allem bei jüngeren Menschen.
In der Schweiz gaben fast drei Viertel der Menschen (74%) an, dass sie Nachrichten online konsumieren, gegenüber 51% via Fernsehen und 34% via Printmedien.
Die Zahl der Leser:innen von gedruckten Zeitungen ist in den letzten zehn Jahren um fast 50% zurückgegangen.
Rund 37% der Schweizer:innen beziehen ihre Nachrichten ausschliesslich über soziale Medien, ein Rückgang um zehn Prozentpunkte im Vergleich zu 2016.
Die wichtigste Social-Media-Plattform für Nachrichten ist WhatsApp (25%), gefolgt von YouTube (23%), Facebook (20%) und Instagram (17%), wobei die Zahlen konstant geblieben sind.
Der Bericht zeigt auch: Weltweit nimmt die Nachrichtennutzung auf neueren Plattformen wie Instagram, Telegram und TikTok zu, während sie auf älteren Social-Media-Plattformen wie YouTube und Facebook nachlässt.
«Vor allem junge Menschen scheinen sich von diesen Angeboten stärker angesprochen zu fühlen», so Udris.
Auf diesen Plattformen konsumieren die Menschen nach eigenen Angaben nicht unbedingt Nachrichten von professionellen Medien, sondern lassen sich von Prominenten oder Influencern informieren.
Die Auswirkungen der generativen KI
Der Einsatz und die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz (KI) in Medienunternehmen ist ebenfalls ein heisses Thema.
Nachrichtenredaktionen auf der ganzen Welt überlegen, wie sie mit generativer künstlicher Intelligenz umgehen sollen. Auch mit Blick auf die eigenen Einkünfte, da Technologieunternehmen wie Google und OpenAI Tools entwickeln, die Zusammenfassungen von Informationen anbieten und den Traffic von Nachrichtenwebsites abziehen können.
Der Bericht des Reuters-Instituts stellt weiter fest, dass in der Öffentlichkeit das Misstrauen gegenüber dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Berichterstattung wächst, insbesondere bei schwierigen Themen wie Politik oder Krieg.
Die Autor:innen fügten hinzu: «Der Einsatz von KI für Aufgaben hinter den Kulissen, wie Transkription und Übersetzung, wird eher als Unterstützung denn als Ersatz für Journalisten gesehen.»
In der Schweiz wurden branchenweite Richtlinien formuliert, und alle grossen Medienunternehmen haben KI-Verantwortliche ernannt, spezialisierte KI-Abteilungen geschaffen oder Prozesse zur Implementierung von KI eingeleitet.
In einer Studie Externer Linkaus dem Jahr 2023 gaben die Schweizer Befragten jedoch an, dass sie nicht für KI-generierte Nachrichten bezahlen würden, da sie überzeugt sind, dass der Einsatz von KI den Medienunternehmen Kosteneinsparungen ermöglicht.
Der diesjährige Digital News Report zeigt auch die Besorgnis über Desinformation im Internet. Die Besorgnis darüber, was bei Online-Nachrichten echt und was gefälscht ist, ist im vergangenen Jahr um drei Prozentpunkte gestiegen.
Etwa sechs von zehn Befragten (59%) sind besorgt. Diese Zahl sei in Südafrika und den USA mit 81% bzw. 72% höher, da in beiden Ländern in diesem Jahr Wahlen stattfinden würden, heisst es in dem Bericht.
Editiert von Balz Rigendinger/ts, aus dem Englischen übertragen von Marc Leutenegger
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