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Nahost: Die Presse beurteilt die Schweizer Regierung

Die Schweizer Presse kommentiert die Entscheidung der Regierung sich in Nahost auf humanitäre Hilfe zu beschränken. swissinfo.ch

Mutlos oder klug gehandelt? Die Schweizer Presse beurteilt das Ergebnis der ausserordentlichen Bundesrats-Sitzung zur Lage in Nahost unterschiedlich.

Etliche Zeitungskommentare begrüssen, dass die Landesregierung den humanitären Weg gewählt hat. Andere kritisieren, dass nicht klar Stellung bezogen worden sei.

Die Neue Zürcher Zeitung bringt die Sondersitzung der Schweizer Regierung über die Lage in Nahost auf den Punkt:

«Der Bundesrat verzichtet darauf, das Vorgehen einzelner Konfliktparteien in Libanon zu bewerten und pfeift damit Aussenministerin Calmy-Rey zurück.» Die Schweiz beschränke sich auf humanitäre Hilfe, schreibt die NZZ.

«Mit Verlaub: Was der Bundesrat gestern beschlossen hat, ist nicht nur mager, sondern letztlich blamabel», schreibt die Neue Luzerner Zeitung. Doch gerade von der neutralen Schweiz mit ihrer humanitären Tradition wäre erwünscht gewesen, sie hätte sämtliche militärischen Kontakte mit Israel gestoppt, schreibt die Zeitung weiter.

Dafür müsste die Schweiz allerdings den Konflikt im Nahen Osten als Krieg definieren. Dazu der Zürcher Tages Anzeiger:

«Der Bundesrat spricht Geld. Das ist wie stets eine gut schweizerische Lösung. Um eine klare Stellungnahme, ob es sich völkerrechtlich beim nahöstlichen Waffengang um einen Krieg handelt, hat er sich aber gedrückt.»

Riegel schieben

Die Berner Zeitung ist der Meinung, der Gesamtbundesrat teile die Kritik von Aussenministerin Micheline Calmy-Rey an Israel nicht.

«Es geht nicht an, dass Micheline Calmy-Rey den Nahostkonflikt so einseitig beurteilt. Mit scharfen Worten brandmarkte sie vor einer Woche den Einsatz der Israeli, fast schon mild fiel die Kritik an der Hisbollah aus.»

Deshalb müsse dem Selbstdarstellungs-Drang der Aussenministerin ein Riegel geschoben werden.

Das alles sage jedoch, so die Basler Zeitung, dass Calmy-Rey ihre Äusserungen nicht mit den Kollegen abgesprochen habe.

«Es zeigt aber auch, dass der Bundesrat trotz Sondersitzung nicht in der Lage war, zu einer gemeinsamen Beurteilung der dramatischen Lage in Nahost zu kommen.»

Stimme verloren

Auch die Presse in der französischsprachigen und italienischsprachigen Schweiz spricht von einer Aussenministerin, welche die Stimme verloren habe.

24 Heures meint: «Zur Tristesse seit dem Aufflammen der Kämpfe im Libanon ist nun noch eine weitere traurige Meldung hinzugekommen. Die offizielle Schweiz hat keine Stimme mehr.»

Als Depositärstaat der Genfer Konventionen müsse das Land mehr tun als lediglich Medikamente schicken, findet 24 Heures und weiter: «Es ist ein altes Missverständnis in der Schweiz, dass Neutralität heisst, keine Meinung zu haben.»

Etwas nachsichtiger geht Le Temps mit der Schweizer Regierung um. «Die unklare Lage ermöglicht keine lauten Erklärungen», schreibt die Zeitung und erinnert, dass die Schweizer Regierung zur selben Stunde tagte wie die Nahostkonferenz der Grossen in Rom.

In der Frage der Waffenverkäufe schreibt Le Temps, dass die Schweiz kein eigentliches Kriegsmaterial nach Libanon oder Israel liefere. «Die Schweiz tut gut daran, im Moment diplomatisch und humanitär zu wirken und zu schauen, dass dieses Engagement nicht in Gefahr gerät, unwirksam zu werden.»

Geschickt und klug

Le Matin begrüsst, dass die Aussenministerin am Mittwoch dann geschickt und klug gehandelt habe. «Geschickt, weil Calmy-Rey die Aktivitäten der Schweiz auf die humanitäre Ebene gelenkt hat und sich nicht mehr zur Art der Feindseligkeiten äusserte und klug, weil sie die Entscheidungen des UNO-Sicherheitsrates abgewartet hat.»

Das findet auch La Liberté. Die Aussenministerin habe am Mittwoch das ihr von den Kollegen zugestandene Geleise befahren und nicht verlassen. «Sie sollte auch aufpassen und es auch künftig nicht verlassen, wenn sie nicht ständig riskieren will, von den Bundesratskollegen zur Ordnung gerufen zu werden.»

La Regione aus Bellinzona sieht bei der Bundesratssitzung vom Mittwoch schliesslich eine Aussenministerin in der Minderheit, wenn sie titelt: «Die Regierung folgte Calmy-Rey nicht.»

swissinfo, Urs Maurer

Die Schweizer Regierung hat bisher 6,5 Mio. Fr. für Nothilfe an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bewilligt.
Das Schweizer Aussenministerium hat bisher 875 Personen aus Libanon evakuiert, darunter 80 Menschen anderer Nationen.
Die Evakuierungen haben bisher 2,5 Mio. Fr. gekostet.

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