Nein zu Einbürgerungen durch das Volk
Der Nationalrat lehnt die Initiative "für demokratische Einbürgerungen" ab. Die rechtsbürgerliche SVP will mit ihrem Begehren Einbürgerung an der Urne zulassen.
Die Vertreter der grossen Kammer votierten aber dagegen, die Initiative wegen Völkerrechtswidrigkeit für ungültig zu erklären.
Es war ein Marathon unter der Bundeshauskuppel: Nach fünfstündiger Debatte empfahl der Nationalrat am Donnerstag als Erstrat mit 117 zu 63 Stimmen, die Initiative zu verwerfen.
Er desavouierte damit seine Staatspolitische Kommission (SPK), die sich dank Abweichlern der Freisinnig-Demokratischen Partei (FD) und der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) knapp für die Initiative und gegen den indirekten Gegenvorschlag des Ständerates ausgesprochen hatte.
Ständerat weist den Weg
Mit 103 zu 74 Stimmen trat die grosse Kammer alsdann auf die vom Ständerat beschlossene Revision des Bürgerrechtsgesetzes ein. Danach kann das Volk oder die Gemeindeversammlung weiterhin über Einbürgerungsgesuche entscheiden.
Negative Entscheide sind aber zu begründen, damit gegen sie Beschwerde geführt werden kann. Diese zwei Kriterien sind im Initiativtext der rechtsbürgerlichen Schweizerischen Volkspartei (SVP) nicht enthalten.
Wider das höchste Gericht
Justizminister Christoph Blocher, selber SVP-Mitglied, bezeichnete den Ständeratsvorschlag, der auf einen Vorstoss von Thomas Pfisterer (FDP) zurückgeht, als gangbaren Weg.
Er gehöre zwar nicht zu den Gründervätern der SVP-Initiative, sei aber bei der Lancierung dabei gewesen. Jetzt vertrete er die ablehnende Haltung des Bundesrates, so Blocher vor den Volksvertretern.
Hintergrund der Debatte, an der sich nicht weniger als 40 Ratsmitglieder beteiligten, sind zwei Bundesgerichtsurteile von 2003. Das höchste Gericht in Lausanne hob negative Einbürgerungsentscheide der Luzerner Gemeinde Emmen als diskriminierend auf und erklärte in einem Stadtzürcher Fall Urnenabstimmungen zur Einbürgerung als verfassungswidrig.
Verwaltungs- wider politischer Akt
Es gehe letztlich um die Frage, ob eine Einbürgerung ein Verwaltungsakt wie eine Baubewilligung oder ein rein politischer, nicht begründungspflichtiger Akt wie die Wahl eines Gemeindepräsidenten sei, sagte Kommissionssprecher Philipp Müller. Initiative und Ständeratsvorlage schlössen sich aus.
SVP-Präsident Ueli Maurer sagte, der Anspruch auf das Bürgerrecht sei kein Grundrecht. Das Bundesgericht habe diesen Verfassungsgrundsatz auf den Kopf gestellt.
Grundrechte verletzt
Der Präsident der Sozialdemokratischen Partei (SP), Hans-Jürg Fehr, entgegnete, es sei die SVP, welche die schweizerische Rechtsordnung auf den Kopf stelle, indem sie Gemeinderecht höher als Kantons-, Bundes- und Völkerrecht werte. Die SVP verlasse damit den Boden des Rechtsstaates und verletze Grundrechte und Gewaltenteilung.
Im Spannungsfeld zwischen Rechtsstaat und Demokratie rede die SVP einem «Demokratismus» das Wort, sagte Daniel Vischer von den Grünen. Namens der FDP-Fraktion sagte der Solothurner Kurt Fluri, ohne Begründungspflicht und Anfechtungsmöglichkeiten seien Einbürgerungsentscheide willkürlich.
«Populistische Trotzreaktion»
Die SVP-Initiative sei lediglich eine populistische Trotzreaktion auf die Bundesgerichtsentscheide. Das Volk sei aber kein «absolutistischer» Herrscher, sagte Andreas Gross, Präsident der vorberatenden Staatspolitische Kommission. Auch das Volk müsse sich an die selbstgesetzten Regeln wie das Willkür- und Diskriminierungsverbot halten.
Mit 132 zu 49 Stimmen lehnte es der Nationalrat ab, die Initiative wegen Völkerrechtswidrigkeit für ungültig zu erklären. Im Urteil von Justizminister Blocher verletzt die Initiative zwar internationale Pakte, nicht aber zwingendes Völkerrecht. Sie sei deshalb zulässig und Volk und Ständen zu unterbreiten.
Das nächste Wort haben die Ständeräte, das letzte Wort bleibt den Stimmbürgern.
swissinfo und Agenturen
Einbürgerungen an der Urne oder Gemeindeversammlungen wurden von einigen Gemeinden vorwiegend in der Deutschschweiz praktiziert. Zu Reden gaben vor allem die Ablehnungen in Emmen (Luzern).
Dort hatten Kandidaten mit einem Namen, der nach einer Herkunft aus Ex-Jugoslawien tönte, keine Chance.
2003 entschied das Bundesgericht, dass ablehnende Entscheide begründet werden müssen. Seit dem Lausanner Urteil sind damit Einbürgerungen an der Urne faktisch illegal.
Um das Urteil des höchsten Schweizer Gerichts umzustossen, lancierte die SVP eine Initiative.
Wer sich in der Schweiz einbürgern will, muss seit 12 Jahren hier wohnhaft sein.
Eine Einbürgerungsbewilligung des Bundes erhält, wer gut integriert ist und die schweizerische Rechtsordnung kennt.
Die Einbürgerung erfolgt durch den jeweiligen Kanton und die Wohngemeinde.
2005 wurden 39’753 Einbürgerungen vorgenommen, so viele wie nie zuvor.
In der Schweiz leben mehr als 20% Ausländer.
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