Nein zu einer Vertretung der Fünften Schweiz
Der Ständerat hat am Montag der Initiative "Für eine wirkliche politische Vertretung der Auslandschweizer" eine Abfuhr erteilt. Das vom Sozialdemokraten Carlo Sommaruga eingereichte Begehren sah ständige Vertreter der Fünften Schweiz im Parlament vor.
«Die Initiative wurde im Umfeld der Parlamentswahlen 2007 eingereicht, als wir eine grosse Mobilisierung der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer bemerkt hatten», sagt Carlo Sommaruga gegenüber swissinfo.
«Doch die Auslandgemeinde hatte praktisch keine Chance, einen eigenen Kandidaten zu wählen. Und so erging es ihnen wie in allen bisherigen Wahlen.»
Vor zwei Jahren, erzählt der Genfer Nationalrat, hatten sich über 40 Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer in die Wahllisten eintragen lassen, um einen Sitz im Nationalrat, der grossen Parlamentskammer, zu erkämpfen.
Doch sogar im bevölkerungsreichen Kanton Zürich, wo wegen der hohen Anzahl der zugeteilten Sitze eine Wahl relativ einfach gewesen wäre, schaffte kein Vertreter der Fünften Schweiz die nötige Anzahl Stimmen.
«Die Schweizerinnen und Schweizer im Ausland müssen sich in einem Kanton auf die Liste einer Partei einschreiben. Dabei sind sie im Nachteil gegenüber lokalen Politikern, die ganzjährig Kampagne machen können und für die Wählerschaft viel besser sichtbar sind», betont Sommaruga.
«Deshalb haben wir gedacht, die Regeln zu ändern und so den Landsleuten im Ausland zu ermöglichen, Einsitz im Parlament zu nehmen.»
Neuer Wahlkreis
Aus diesen Gründen hat Sommaruga 2007 die Parlamentarische Initiative «Für eine wirkliche politische Vertretung der Auslandschweizerinnen und -schweizer» eingereicht.
Sie verlangt im Wortlaut: «Die Bundesverfassung und die übrige Gesetzgebung seien so zu ändern, dass die Auslandschweizerinnen und -schweizer in einer unseren Institutionen optimal entsprechenden Weise zunächst im Ständerat und dann auch im Nationalrat vertreten sind.»
Um dies zu erreichen, würde laut Sommaruga genügen, einen Wahlkreis für Schweizer Kandidaten aus dem Ausland zu schaffen, wie das beispielsweise Italien praktiziert.
Oder es bestünde die Möglichkeit, dass die Delegierten der Fünften Schweiz (Auslandschweizerrat) ihre Vertreter selber wählen, wie das in Frankreich der Fall ist.
«Die Lösungen, die andere Länder anwenden, zeigen, dass es möglich ist, die Auslandgemeinde in die nationale Politik einzubinden», erklärt Sommaruga.
«Man darf nicht vergessen, dass sich die Auswanderung im letzten Jahrhundert stark gewandelt hat. Vor hundert Jahren ging man üblicherweise für immer ins Ausland, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Heute gehen viele Schweizer – Studenten, Arbeiter, Manager – nur für einige Jahre ins Ausland und bleiben während dieser Zeit mit der nationalen Politik verbunden.»
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Fünfte Schweiz
Botschafter der Schweiz
Obwohl die Initiative am letzten September vom Nationalrat angenommen wurde, hat sie der Ständerat am Montag mit 26 zu 11 Stimmen bachab geschickt.
Da nützten auch engagierte Voten einiger Kantonsvertreter nichts. «Unser Land hat sich bei der Integration von Ausländern sehr kreativ gezeigt», betonte die Sozialdemokratin Liliane Maury Pasquier. «Ich sehe nicht ein, warum es nicht möglich sein soll, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Landsleute im Ausland politisch zu integrieren.»
Und der Christdemokrat Filippo Lombardi doppelte nach: «Wir sagen immer, dass die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer Botschafter der Schweiz seien. Wir hingegen wollen uns nicht um sie kümmern. Trotzdem braucht die Schweiz Botschafter, besonders in diesem Moment, wo ihr Image wieder von vielen Ländern angegriffen wird.»
Mit dem Nein des Ständerats ist die Parlamentarische Initiative gemäss einer gleichentags in Kraft getretenen Änderung des Geschäftsverkehrsgesetzes «ausser Abschied und Traktanden» gefallen.
«Dieses Projekt würde letztlich den Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern den Status eines Kantons verleihen», erklärte Lombardis Parteikollege Hansheiri Inderkum im Namen der Kommission.
«Jeder Kanton hat ein Gebiet, ein Volk, das in diesem Gebiet lebt, und vor allem hat jeder Kanton seine Identität. Die einzige Gemeinsamkeit der Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer besteht darin, dass sie nicht im Heimatland wohnen.»
Politische Kultur der Emigration
«Dieser Entscheid war voraussehbar. Die Mitglieder des Ständerates sind im allgemeinen eher konservativer als die Nationalräte. Überdies hätten die Ständeräte als erste den Vertretern der Fünften Schweiz Sitze abtreten müssen», kommentiert Sommaruga die Abstimmung in der kleinen Kammer.
«Die Initiative hat immerhin eine Debatte darüber eröffnet, dass die Auslandschweizer eines Tages im Parlament vertreten sein sollten. Es braucht dazu einfach noch ein wenig Zeit. Während in Italien oder Spanien die Emigranten immer schon eng an die politischen Parteien und die nationale Politik ihrer Heimatländer gebunden waren, hat sich in der Schweiz erst seit kurzem eine politische Kultur der Emigration entwickelt.»
Trotz der Abstimmung im Ständerat will die Auslandschweizer-Organisation (ASO) ihren Kampf zur Verstärkung der politischen Partizipation der Fünften Schweiz fortführen.
«Die Tatsache, dass der Nationalrat die Initiative gutgeheissen hat, zeigt die wachsende Anerkennung des Gewichtes der Auslandschweizer, nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch ganz allgemein», sagt ASO-Sprecherin Ariane Rustichelli.
swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
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ASO
Knapp 670’000 Schweizerinnen und Schweizer leben im Ausland.
Zwei Drittel der Landsleute im Ausland leben in Europa.
Drei Viertel aller Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer sind Doppelbürger.
Die Eidgenossenschaft hat 1992 das briefliche Stimm und Wahlrecht für Auslandschweizer eingeführt.
1992 waren lediglich 15’000 Auslandschweizerinnen und –schweizer in Wahlregistern vermerkt. Seit damals hat sich diese Zahl ständig vergrössert. 2008 waren über 120’000 registriert.
Die registrierten Auslandschweizerinnen und -schweizer können in allen Kantonen für den Nationalrat, die grosse Parlamentskammer, kandidieren. Nur 11 Kantone erlauben ihren Auslandschweizern eine Kandidatur für den Ständerat, die kleine Kammer.
Bei den letzten Parlamentswahlen vom 21. Oktober 2007 hatten mehr als 40 Landsleute aus dem Ausland für Sitze im Nationalrat kandidiert.
Die grösste Anzahl Kandidierende (31) waren auf Listen im Kanton Zürich eingeschrieben. Die anderen kandidierten in den Kantonen Bern, Freiburg, Genf, Waadt, Schaffhausen und Wallis.
Kein einziger Auslandschweizer schaffte die nötigen Stimmen, um gewählt zu werden.
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