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Neue Grenzen der Zwietracht

Der Grenzübergang in Charbog - wo manchmal korrupte Beamte und Vorurteile angespannte Situationen provozieren. swissinfo.ch

Charbog ist ein geteiltes Grenzdorf zwischen Kirgisistan und Usbekistan. Hier dominieren Militär und Wachpersonal.

Eine lokale NGO fördert, von der Schweiz unterstützt, den Dialog zwischen Bürgern und Uniformierten – eine Begegnung.

Es herrscht Nervosität. Unsere Ankunft am geschlossenen Schlagbaum, der die Grenze markiert, schafft einige Unruhe.

«Fotografieren verboten!», befehlen die usbekischen Grenzpolizisten. Dann kontrollieren sie minutiös die Visa in unseren Reisepässen. Den Einheimischen wird diese lästige Prozedur erspart – auch dank Schweizer Bemühungen.

«Wir haben erreicht, dass Personen, die nicht weiter als 30 Kilometer von der Grenze entfernt wohnen, kein Visum mehr brauchen», sagt Damira Tukhtasinova, Leiterin von Tarrakiyot. Die Nichtregierungs-Organisation (NGO) ist in 12 Grenzdörfern im Gebiet Pahta-Abad im Fergana-Tal tätig.

Diese Öffnung war ein grosser Fortschritt: Denn ein Visum kann man nur auf den Botschaften in den Hauptstädten erhalten. Und die sind unendlich weit weg von diesen gottverlassenen Dörfern in der Grenzregion zwischen zwei zentralasiatischen Republiken.

Visa-Anträge wären eine unzumutbare Prozedur für Leute, die die Grenze häufig nur für ein paar Meter und für kurze Zeit überschreiten, beispielsweise um zum Basar oder auf den Markt auf der anderen Seite des Dorfes zu gehen.

Im Niemandsland zwischen der Grenze

In Begleitung einiger geschäftiger Einheimischer gehen wir zu Fuss durch die Grenzzone. Militärbaracken und Schlagbäume dominieren auf beiden Seiten.

Schotterwege und Häuser prägen dieses Niemandsland. Usbekistan oder Kirgisistan? Niemand weiss das hier. Wir erreichen das kirgisische Zollhäuschen. Wieder werden wir aufmerksam und erstaunt gemustert. Erneut gibt es Kontrollen.

Auf dem Rückweg in den usbekischen Teil von Charbog versperrt uns ein hochgewachsener Mann mittleren Alters den Weg. Es ist der Zollchef. Er glaubt nicht, dass unsere Visen gültig sind. Wir bleiben ruhig und geben ihm die Reisepässe. Wir wissen, dass alles in Ordnung ist.

Trotzdem kommt es zu längeren Diskussionen. «Hier entscheide ich, was legal und illegal ist», sagt der Zollchef. Doch plötzlich, vielleicht wegen unseres Diplomatenkennzeichens am Auto, entspannt sich die Lage wieder. Ruhe kehrt ein.

Grenzwächter verlangen Wegzoll

Die Episode am Zoll zeigt, zu welchen Schwierigkeiten in diesen abgelegenen Gegenden die Unabhängigkeit geführt hat.

Wie aus heiterem Himmel sind hier nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Grenzen zwischen Völkern entstanden, die zuvor problemlos nebeneinander gelebt hatten – ohne Grenzen und in relativer Unabhängigkeit staatlicher Kontrollen.

Die neue Grenze hat Charbog geprägt: Die Einwohner sind seither mit Grenzwächtern konfrontiert, die teilweise sogar ihre Macht missbrauchten, indem sie Wegzölle verlangen würden, wie Einheimische erzählen.

«Zudem löste der schlecht definierte und von der Bevölkerung nicht akzeptierte Grenzverlauf Streitereien um den Zugang zu Wasser- oder Energiequellen aus», sagt Tukhtasinova. Sie fügt an: «Diese ganze Situation ist sehr gefährlich. Es besteht die Gefahr, dass der Unmut in Ärger über die andere Volksgruppe umschlägt.»

Die lokale NGO versucht, solche Spannungen abzubauen. Zu diesem Zweck werden Seminare und Treffen organisiert, in denen die Einwohner und Grenzwächter auf ihre Rechte und Pflichten aufmerksam gemacht werden.

Persönlichkeiten als Botschafter der Freundschaft

Dieses Projekt wird seit September 2003 von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt. Die Unterstützung erfolgt im Rahmen des 1999 lancierten Programms «Regional Dialogue and Develogment» (RDD), das die Stabilisierung der Region zum Ziel hat.

Zum gleichen Zweck hat man auch ein Netz von «Botschaftern für Freundschaft» aufgebaut. Dabei handelt es sich um Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik, die zusammen mit lokalen und nationalen Behörden nach Lösungen für die grenzüberschreitenden Probleme suchen.

«Trotzdem darf man die neuen Grenzen nicht nur verteufeln», erklärt Tulkun Bekmuratov, Leiter der usbekischen Botschaft. Die Grenzen nützten auch, um den religiösen Fundamentalismus und den Drogenhandel zu kontrollieren. Bekmuratov ist zuversichtlich, dass die Grenzen eines Tages verschwinden werden: «Wir sind davon überzeugt.»

swissinfo, Marzio Pescia und Jean-Didier Revoin, Charbog
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Grösste Probleme an der Grenze:

Transitschwierigkeiten für Personen und Waren
Nutzung gemeinsamer Ressourcen
Zugang zu Infrastruktur und Schulen
Staatsbürgerschaftsrechte

Die Nichtregierungs-Organisation (NGO) Tarrakiyot versucht, den Dialog zwischen den Volks-gemeinschaften in der Grenzregion Pahta-Abad zu fördern. Dieses Gebiet befindet sich im Osten des Fergana-Tals in Usbekistan. Die Grenze mit Kirgisistan ist in dieser Gegend 60 Kilometer lang.

Die Aktivität von Tarrakiyot konzentriert sich auf 12 Dörfer die durch den Grenzverlauf in zwei Teile getrennt wurden. Davon betroffen sind rund 12’000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Tarrakiyot wird seit September 2003 von der DEZA unterstützt. Die Gruppe der «Botschafter der Freundschaft» ist bereits seit 2001 aktiv und wird ebenfalls von der Schweiz unterstützt.

Das Projekt ist Teil des Schweizer Programms «Regional Dialogue and Development Projekt» (RDD), das in der Grenzregion des Ferghana-Tals Konfliktprävention leistet.

Das Budget von RDD beträgt ca. 4 Mio. Franken über einen Zeitraum von drei Jahren.

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