Obwaldner-Nischen für Reiche: Das Volk entscheidet
Mit den so genannten "Sonder-Wohnzonen" hat Obwalden nach der "Flat Rate Tax" ein weiteres Mal für nationale Aufregung gesorgt. Am 29. November kann das Volk sagen, was es von diesem umstrittenen Nachtrag zum Baugesetz hält.
Die Grünen hatten im Juni das Referendum eingereicht. Bei einem Ja kann der Kanton «Sonderwohnzonen» erlassen oder «Zonen von hoher Wohnqualität», wie es auch heisst. Grundstücke von 3000 bis 5000 Quadratmeter Grösse, zwar nicht mit direktem Seeanstoss, aber ans Siedlungsgebiet angrenzend.
Die Regierung will die «Sonderzonen» für «strategierelevante Kunden» reservieren. Oder wie es im Abstimmungsbüchlein heisst: Der Kanton will «einkommens- und vermögensstarke Personen» ansiedeln. Im Auge hat der Regierungsrat weniger reiche Senioren oder Doppelverdiener mit Höchsteinkommen als Unternehmer mit ihren Familien, die im Kanton Arbeitsplätze schaffen.
Bundesrätlicher «Apartheid»-Vorwurf
Die «Sonderwohnzonen» für Reiche trieben die Emotionen im ganzen Land hoch – vor allem, nachdem auch der oberste Raumplaner der Nation, Bundesrat Moritz Leuenberger, sie kritisiert hatte. Von einer Zweiklassengesellschaft, der Aushebelung des Rechts und Bevorzugung der Reichen war die Rede.
Den Beschluss Obwaldens, Sonderwohnzonen für Reiche einzurichten, bezeichnete Leuenberger auf seinem Internet-Blog als die «definitive Karikatur des Steuerwettbewerbs» und «nichts als Apartheid».
Auch namhafte Raumplanungs- und Staatsrechtler machten klar, dass sie vom neuen Gesetz nichts halten. Obwalden mache «aus Eigennutz Dinge, die dem Bundesrecht und rechtsstaatlichen Prinzipien widersprechen», sagte der Basler Rechtsprofessor Enrico Riva.
Flurschadensbegrenzung
In Obwalden versucht man, den Flurschaden fürs Image zu begrenzen. Es seien gar keine «Sonderwohnzonen», wurde argumentiert. Reiche würden nicht bevorzugt. Es handle sich um «Zonen mit hoher Wohnqualität von kantonalem Interesse » – so die unverfängliche offizielle Bezeichnung.
Laut Regierung sind solche Zonen für «spannende, strategierelevante Kunden» nötig. Interessenten müssten ein Zonenplanverfahren durchlaufen. Es gebe erhöhte Qualitätsanforderungen zum Schutz der Landschaft. Die «Sonderzonen» müssten zudem an bestehende Bauzonen anschliessen. Und es sei die Zustimmung von Gemeinde- und Kantonsrat nötig. Und Park- und Villenzonen gebe es schliesslich überall.
Diesem letzten Punkt pflichtet Patrik Schellenbauer vom Think tank Avenir Suisse bei. «Wenn man Länder wie die USA oder Grossbritannien anschaut, findet man reiche Leute, die in einem Gebiet leben und ärmere Leute, die in einem anderen leben», sagte er gegenüber swissinfo.ch. und fügte gleich bei: «Aber um solche Ungleichheiten zu schaffen, braucht es keine Sonderplanungs-Strategie.»
«Strategierelevante Kunden»
Kritiker im Kanton Obwalden dagegen sehen in der Neuerung eine Ungleichbehandlung. Tatsächlich dürften «strategierelevante Kunden» kaum im sozialen Wohnungsbau zu finden sein. Wenn Befürworter argumentierten, die neuen Zonen seien Teil der Strategie zur finanziellen Gesundung des Kantons, sei klar, dass sie auf reiche Steuerzahler hofften.
Opposition gegen die «Sonderzonen» gibt es auch bei Bauern und in Heimatschutzkreisen. So wird befürchtet, dass – trotz Beschwichtigungen der Regierung – solche Bebauungen erhebliche Auswirkungen auf das Landschaftsbild des Kantons haben werden. Es gebe einen Unterschied zwischen einem harmonisch in die Landschaft eingefügten Bauernhaus und einer Villa mit Swimmingpool und Tennisplatz hinter Mauern oder Zäunen.
Zum zweiten Mal nationale Aufregung
Im Kantonsrat hatten die Sozialdemokraten – chancenlos – Vorbehalte gegen den Nachtrag zum Baugesetz angemeldet. Das Referendum ergriffen indessen die Grünen. Ob es eine Chance hat, ist fraglich. Bis jetzt hat sich das Volk in Fragen der «Vorwärts-Strategie» – etwa bei der Steuerpolitik – hinter Regierung und Kantonsrat gestellt.
Schon 2008, als Obwalden als erster Schweizer Kanton die «Flat Rate Tax» (ein einheitlicher Einkommenssteuertarif) eingeführt hatte, war für nationale Aufregung und Kritik gesorgt. Der entsprechende Nachtrag zum Steuergesetz war bei der Abstimmung 2007 mit einer Zustimmung von 90,7% angenommen worden.
Die Schwerpunkte der Obwaldner Steuerstrategie sind Steuersenkungen (2005), die «Flat Tax Rate» (2008) und die europaweit tiefsten Gewinnsteuersätze. Dazu kommen könnten nach dem 29.November nun auch die «Sonderzonen» für Reiche.
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Obwalden ist ein Halbkanton und gehört zusammen mit Nidwalden zum Kanton Unterwalden südlich von Luzern.
Obwalden hat eine Bevölkerung von rund 34’000, wobei rund ein Drittel im Hauptort Sarnen wohnt.
Laut den Statistiken aus dem Jahr 2000 besassen nur 16,6% der Beschäftigten einen höheren Schulabschluss. Dieser Anteil liegt unter dem Landesdurchschnitt.
14% der Beschäftigten fanden ihr Auskommen in der Landwirtschaft, rund drei Mal mehr als dies bei der Schweizer Bevölkerung insgesamt der Fall ist.
Nach Jahren der Budgetkrise entschied sich die Bevölkerung mit 86% Ja für hohe Steuererleichterungen bei Unternehmen und für ein regressives Modell bei Einkommenssteuern. Dieses trat 2006 in Kraft.
Mit dem im Vergleich zu Normalverdienern tiefen Einkommens-Steuersatz sollten Reiche angelockt werden: Millionäre sollten Wachstum und Kantonskasse stimulieren.
18 Monate nach der Einführung entschied das Bundesgericht, diese Steuerpolitik sei nicht verfassungskonform.
Darauf stimmten die Obwaldner Ende 2007 mit grosser Mehrheit für eine «Flat Rate Tax» bei den Einkommenssteuern (Pauschalbesteuerung für hohe und tiefe Einkommen).
Die «Flat Rate Tax» ist ein Steuersystem, bei dem hohe und tiefe Einkommen zu einem Einheitssatz besteuert werden.
Bisher hat kein einziges westeuropäisches Land die «Flat Rate Tax» eingeführt.
Dagegen kennen Länder des ehemaligen Ostblocks den einheitlichen Steuersatz: Lettland, Russland, Slowakei, Ukraine und Serbien.
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