Olympia-Traum für Schweiz nicht ausgeträumt
Am Freitag beginnen in Turin die Olympischen Winterspiele. Bei Jean-Daniel Mudry bleibt kein bitterer Nachgeschmack, sagt er gegenüber swissinfo.
Der ehemalige Direktor des Kandidaturkomitees «Sion 2006» hat die Hoffnung nicht verloren, dass es in 15 Jahren olympische Spiele in der Schweiz gibt.
Am 19. Juni 1999 vergibt das Internationale Olympische Komitee (IOK) die Durchführung der olympischen Winterspiele 2006 an Turin. Die Schweizer, überzeugt, dass sie die beste Kandidatur vorgelegt hatten, sind sprachlos und niedergeschlagen.
Im Schock ist die Kritik am IOK heftig. Namentlich auf der Place de la Planta in Sion, wo die Menschen in Massen die Vergabe verfolgt haben, sind Wörter wie Maffia und Korruption zu hören.
Sieben Jahre später haben sich die Gemüter beruhigt. Und kurz vor der Eröffnung der Olympiade in Turin wollte swissinfo wissen, welche Gefühle bei Jean-Daniel Mudry, dem Mann, welcher die glücklose Kandidatur von Sitten an vorderster Front mitgetragen hat, heute vorherrschen.
swissinfo: Kommen so kurz vor der Eröffnung der Spiele in Turin die schmerzhaften Erinnerungen wieder hoch ?
Jean-Daniel Mudry: Natürlich kommen die Erinnerungen wieder, aber sie sind nicht schmerzhaft. Ich bin Sportler, und nach einem verlorenen Match gebe ich nicht dem Schiedsrichter die Schuld.
Damals waren wir enttäuscht, aber wir akzeptierten den Entscheid. Heute hoffen wir, dass dieser Sportgrossanlass in den Alpen zur Förderung des Sports im ganzen Alpenraum beiträgt. Auch die Schweiz wird davon profitieren.
swissinfo: Der Misserfolg von Sion 2006 löste in der Schweiz eine recht heftige Reaktion aus. Man behauptete sogar, Sion hätte die Spiele mehr verdient als Turin. Glaubt man das heute immer noch?
J.-D. M.: Diejenigen, die das gesagt haben, sprachen vor allem von der Qualität der Bewerbung. Wir legten eine gute technische Arbeit vor und die Stadt Sion kandidierte schon zum dritten Mal.
Aber natürlich wird der Austragungsort von Hunderten von Mitgliedern des IOK bestimmt, die aus der ganzen Welt kommen. Und da leisteten Italien und die Familie Agnelli (die Familie an der Spitze von Fiat) sehr effiziente Arbeit.
Aber ich würde nicht sagen, dass Sion die Spiele mehr verdient hätte als Turin.
swissinfo: War mangelnde Unterstützung der Grund für den Misserfolg von Sion?
J.-D. M.: Ja. Die internationalen Beziehungen sind sehr wichtig. Und es ist klar, dass die Schweiz nicht die gleichen Kontakte hat wie Italien.
Und es gibt einen weiteren, sehr wichtigen Faktor. Die italienische Regierung unterstützte die Kandidatur von Turin mit einer Defizitgarantie, die zehn Mal so hoch war wie jene der Schweiz. In Italien war die politische Unterstützung sehr gross, uns fehlte sie.
Auch darf man die Beziehungen der Familie Agnelli, mit ihren 250’000 Arbeitsplätzen in der ganzen Welt, der Formel 1, dem „calcio» usw., nicht vergessen. Das bringt sehr wichtige Beziehungen. Die Schweiz hatte diese Möglichkeiten nicht.
swissinfo: Sion hat dreimal erfolglos für die OS kandidiert. Kann man noch daran glauben, dass diese einmal in die Schweiz kommen?
J.-D. M.: Ich denke schon. Unsere Feriengäste kommen aus Asien und Amerika. Grossanlässe sind deshalb sehr wichtig für die Präsentation unserer Alpenregion.
Ich denke, dass die OS in den kommenden fünfzehn Jahren in die Schweiz kommen könnten. Aber das müsste eine Kandidatur der ganzen Schweiz sein und nicht nur einer kleinen Stadt wie Sion mit 25’000 oder eines Kantons wie dem Wallis mit knapp 300’000 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Diese Chance hat die Schweiz, aber es muss eine nationale Kandidatur sein.
swissinfo: Eine nationale Kandidatur hat die Schweiz beim Fussball mit der Euro 2008. Aber wir sehen, dass die Kosten für die Sicherheit bereits zu Polemik führten. Ist es unter diesen Umständen nicht illusorisch, die OS hierher holen zu wollen?
J.-D. M.: Ich bin ehrlich enttäuscht über das, was in der Schweiz geschieht, über diese Diskussionen um die Sicherheit und deren Kosten. Wenn man denkt, dass die Schweiz als eines der reichsten und der sichersten Länder gilt…
Heute organisieren wir einen kleinen Anlass – die Euro mit ihren vier Stadien ist nicht so gross – und wir diskutieren über die Aufteilung von gut 10 Mio. Franken Sicherheitsgelder auf die Städte und den Bund. Da machen wir uns lächerlich. Damit kann man kein Vertrauen schaffen.
swissinfo: Wie sehen Sie persönlich die Chancen der Schweiz, in Turin zu Medaillen zu kommen?
J.-D. M.: Es könnte einige Überraschungen geben. Bei einem Weltcup ist Österreich mit acht bis zehn Sportlerinnen und Sportlern anwesend. In Turin sind es nur vier pro Disziplin. So könnte das Resultat besser ausfallen als am Weltcup.
Ich denke, dass die Schweizerinnen und Schweizer im alpinen Skilauf zwei Medaillen holen können. Und sicher gibt es Medaillen beim Snowboarden, denn da haben wir gute Leute.
Ich bin nicht pessimistisch. Aber wissen Sie, das ist auch Glückssache. An der Weltmeisterschaft im alpinen Skilauf 2003 in St. Moritz gab es vier Medaillen für die Schweiz. Und zwei Jahre später, in Bormio, keine einzige. Dabei war es das gleiche Team.
swissinfo-Interview, Olivier Pauchard
(Übertragung aus dem Französischen von Charlotte Egger)
Die Schweiz hat enge Beziehungen zur olympischen Bewegung. Lausanne beherbergt den Sitz der Bewegung und das olympische Museum.
Unter den 100 aktiven Mitgliedern des Internationalen Olympischen Komitees hat es 5 Schweizer (Marc Hodler, Denis Oswald, René Fasel, Joseph Blatter und Gian-Franco Kasper).
Die Schweiz beherbergt auch den Sitz mehrerer internationaler Sportverbände, die zur olympischen Bewegung gehören.
Die Schweiz hat bisher zwei Mal olympische Spiele durchgeführt (Winterolympiade 1928 und 1948 in St. Moritz).
Seitdem hat Sion dreimal erfolglos kandidiert.
Jean-Daniel Mudry wurde 1944 in Lens (Wallis) geboren.
Er ist Divisionär in der Schweizer Armee.
Auf sportlichem Gebiet war Jean-Daniel Mudry namentlich Generaldirektor des schweizerischen Skiverbands Swiss Ski und Generaldirektor des Kandidaturkomitees von Sion 2006.
Neben Marc Hodler gehörten bisher fünf Schweizer dem Internationlen Olympischen Komitee (IOC). Es sind dies:
Denis Oswald (seit 1991), Leiter des Centre International d’étude du Sport (CIS) in Neuenburg, René Fasel (seit 1995), Präsident des internationalen Eishockey-Verbandes, Joseph Blatter (1999), Präsident des Weltfussball-Verbandes (FIFA) sowie Gian-Franco Kasper (2000).
Der Schweizer Ex-Bundesrat Kurt Furgler ist seit 2000 Ehrenmitglied des IOC.
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