«Olympische Spiele bleiben in Griffweite»
Nach Davos, St. Moritz, Sion und Bern-Montreux hat auch Zürich seine Hoffnungen aufgegeben, Olympische Winterspiele durchzuführen. Trotz dieser Fehlschläge bleiben die Chancen intakt, so der Lausanner Olympia-Kenner Jean-Loup Chappelet.
Hingegen mangle es am politischen Willen, so Chappelet im Gespräch mit swissinfo.
Zu geringe Unterstützung durch das Internationale Olympische Komitee (IOK), fehlende Finanzen oder mangelnden Rückhalt in der Bevölkerung und bei der Wirtschaft – das alles waren schon Gründe fürs Scheitern von Schweizer Olympia-Kandidaturen.
Trotzdem zeigt sich Swiss Olympic (SO) – die Dachorganisation der Schweizer Sportverbände – überzeugt, dass die Schweiz in der Lage ist, Olympische Winterspiele durchzuführen. SO will deshalb weitere Kandidaturen unterstützen.
Werden die Winterspiele – nach St. Moritz in den Jahren 1928 und 1948 – überhaupt je ein drittes Mal in die Schweiz kommen? Das wollte swissinfo von Jean-Loup Chappelet wissen. Er ist Professor am Hochschulinstitut für öffentliche Verwaltung in Lausanne (IDHEAP) und Spezialist für Olympia-Fragen.
swissinfo: Seit den beiden Winter-Olympiaden in St. Moritz endeten die Kandidaturen aus der Schweiz immer mit Misserfolgen. Können in der Schweiz überhaupt noch so aufwändige Veranstaltungen durchgeführt werden?
Jean-Loup Chappelet: Olympische Winterspiele bleiben in Griffweite der Schweiz. Wenn wir innovativ sind, könnten gar eine neue Art von Olympischen Sommerspielen organisiert werden.
Rein technisch war die Kandidatur Zürichs ausgezeichnet. Es mag überraschen, aber es liegt im Trend, dass das IOK Städten den Zuschlag erteilt, die relativ weit weg von den Bergen sind.
swissinfo: Swiss Olympic hat seine Mitschuld erkannt und angekündigt, in Zukunft Kandidaturen stärker zu unterstützen. Lohnt sich ein Beharren auf Kandidaturen überhaupt?
J.L. C.: Es ist gut, dass Swiss Olympic die Niederlagen analysiert und an einer adäquateren Funktionsweise arbeitet. Man muss pro-aktiver sein bei der Suche nach Kandidaturen.
Denn hinter dem Rücktritt von Zürich steht deutlich die Angst, nach den Spielen vor einem Schuldenberg zu stehen, der getilgt werden muss.
Man muss neue Finanzierungs-Modelle finden. Dazu müssten stärkere Partner gewonnen werden, seien das die Kantone oder der Bund. Vielleicht braucht es hier auch Änderungen der Gesetze.
Der Bund verschanzt sich bis heute hinter dem Gesetz und bewilligt nur einen Drittel der Gelder, welche eine Kandidatur kostet. Dabei kann die nationale und internationale Ausstrahlung eines solchen Anlasses nicht mehr von der Hand gewiesen werden.
swissinfo: Aber welche Kandidaturen kämen noch in Frage?
J.L. C.: Es gibt drei Modelle. Erstens solche wie die von St. Moritz. In Zukunft wird eine solche Kandidatur aber mehr und mehr hinfällig, vor allem aus Transport-Gründen.
Zweitens können sich grosse Städte wie Zürich oder Bern bewerben. Aber auch hier sind die Probleme bekannt.
Drittens bleibt die Möglichkeit einer mittleren Stadt, wie das in Albertville oder Lillehammer der Fall war. Auf die Schweiz übertragen, wäre das die Walliser Option.
swissinfo: Ist aber das Wallis nach den zwei Absagen nicht zu traumatisiert, um sich nochmals in ein solches Abenteuer zu stürzen?
J.L. C.: Genau an dieser Auffassung muss Swiss Olympic arbeiten. Die Verantwortlichen müssen in den Gemeinden werben und zeigen, dass eine Kandidatur machbar ist – ohne drohendes finanzielles Desaster.
Die verschiedenen Fehlschläge machen diese Aufgabe schwieriger, weil es in Zukunft immer schwieriger wird, Politiker und die Öffentlichkeit zu überzeugen. Wenn allerdings der Bund zu neuen Mitteln greifen würde, könnte das die Ausgangslage ebenfalls verändern.
swissinfo: Welches sind die Auswirkungen der Aufgabe Zürichs aufs Image der Stadt und des ganzen Landes?
J.L. C.: Das Scheitern des Stadionprojektes für die EM 2008 ist für Zürich wohl viel schlimmer als die Aufgabe der Olympia-Kandidatur. Im Falle des Stadions handelte es sich um ein konkretes, machbares Projekt.
Die Olympia-Kandidatur hingegen war noch virtuell. Wir sprechen momentan in der Schweiz davon, aber in sechs Monaten wird es kein Thema mehr sein.
Auf internationaler Ebene – vor allem in interessierten Kreisen und beim IOK – wird die Aufgabe aber nicht unbemerkt vorbei gehen und könnte eines Tages auch zuungunsten des Landes ausgelegt werden.
swissinfo: Könnte die Unfähigkeit der Schweiz, erfolgreiche Kandidatur-Kampagnen zu führen, mittelfristig nicht den Sitz des IOK in Lausanne gefährden?
J.L. C.: Das IOK knüpft seinen Sitz in Lausanne nicht an Kandidaturen der Schweiz. Ich glaube sogar, es ist erleichtert, über die Absenz solcher Kandidaturen. Die gleichzeitige Stellung als Richter und Partei erschwert die Kommunikation. Das hat man bei der Kandidatur von Sion gesehen.
swissinfo, Mathias Froidevaux
(Übertragung aus dem Französischen: Philippe Kropf)
Bereits mehrfach waren Schweizer Olympia-Kandidaturen erfolglos.
1985: Das Bündner Stimmvolk lehnt die notwendigen Kredite für eine Kandidatur von Davos, St. Moritz, Waadt und dem Berner Oberland für 1996 ab.
1995: Die Winterspiele 2002 gehen statt nach Sion an Salt Lake City.
1999: Sion kämpft um die Spiele fürs Jahr 2006, diese gehen aber dann an Turin.
2002: Das Berner Stimmvolk will von einem 22,5-Mio.-Kredit für die Kandidatur von Bern fürs Jahr 2010 nichts wissen.
2004: Die Kandidatur von Zürich fürs Jahr 2014 wird zurück gezogen.
Die Promotoren der Olympia-Kandidatur 2014 von Zürich haben am vergangenen Dienstag ihre Kandidatur zurückgezogen.
In der Schweiz wurden bisher nur zweimal Winterspiele durchgeführt: 1928 und 1948 in St. Moritz.
Seither waren alle Kandidaturen erfolglos.
Zweimal sprach sich das Stimmvolk gegen notwendige Kredite aus.
Zweimal entschied das IOK gegen Sion im Wallis.
Zürich zog seine Kandidatur aus Angst vor einem Defizit zurück.
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