Ost-Türkei: Plädoyer für die Rechte der Frau
Bundesrätin Micheline Calmy-Rey hat sich in der kurdischen Ost-Türkei für einen stärkeren Schutz von Frauen und Minderheiten eingesetzt.
Während ihres Besuchs in Dyarbakir erklärte sie, die Anwendung der Reformen sei in diesen Bereichen noch nicht genügend.
«Gerade in der Frage der Menschenrechte hat die türkische Regierung in den letzten Jahren bemerkenswerte Anstrengungen unternommen und zahlreiche Reformen durchgeführt», erklärte Calmy-Rey am Mittwoch in Dyarbakir.
Die Umsetzung dieser Reformen verlaufe aber nicht reibungslos. Dies sei von allen ihren Gesprächspartnern betont worden, sagte die Bundesrätin nach einem Treffen mit Vertretern von Ka-Mer. Diese nicht-staatliche Organisation (NGO) engagiert sich für Frauen und insbesondere gegen häusliche Gewalt. Sie wird auch von der Schweiz unterstützt.
Die Umsetzung der neuen Gesetze dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen. Es brauche dazu nämlich einen Wandel der Mentalität, gab Calmy-Rey zu bedenken. Sie wünsche sich eine Ausweitung und Festigung der Reformen, insbesondere bei der Meinungsfreiheit und den Rechten für die Frauen.
Als Schweizerin seien die Minderheitenrechte für sie von besonderem Interesse. Für den nationalen Zusammenhalt sei es unentbehrlich, dass die Minderheiten Mittel hätten, um ihre kulturellen Rechte zu verteidigen.
Noch wenig Kurdisch-Angebote
Das Missverhältnis zwischen Gesetzen und Realität zeigt sich in Diyarbakir mit seinen über 550’000 Einwohnern und Einwohnerinnen. Dort unterrichte derzeit lediglich eine Privatschule Kurdisch, erklärten Medienleute aus der Region.
Ein privater TV-Sender, Gün-TV, bietet seit etwa einem Jahr Programme in kurdischer Sprache an. Zuvor waren es lediglich Musik oder Werbung in der Sprache der Kurden, die rund 20 Prozent der türkischen Bevölkerung stellen.
Provinzen wie Diyarbakir hatten bis vor wenigen Jahren noch unter dem Ausnahmezustand gelebt. Bis Ende der 1990er-Jahre lieferte sich die kurdische Arbeiterpartei (PKK) mit Ankara einen blutigen Krieg.
Calmy-Rey war bei ihren Gesprächen in Diyarbakir neben einer Delegation der NGO Ka-Mer mit Gouverneur Efkon Ala und Bürgermeister Osan Baydemir zusammengetroffen. Baydemir ist Mitglieder der moderaten kurdischen Partei Dehap.
Umstrittener Besuch
Der Besuch im Kurdengebiet als Teil der Türkeireise von Calmy-Rey hatte in Ankara bereits während der Planung der für 2003 vorgesehenen Reise Verwirrung ausgelöst. Der Besuch wurde schliesslich abgesagt.
Wenig später wurde die Aussenministerin nach einem Treffen mit einem kurdischen Delegierten während einer Konferenz in Lausanne von den türkischen Behörden beschuldigt, sich einseitig für die kurdische Sache einzusetzen.
Terroristische Organisation
Der türkische Aussnminister Abdullah Gül richtete nun am Dienstagabend an Calmy-Rey den Wunsch, die Schweiz solle die kurdische Arbeiterpartei Kongra Gel (die frühere PKK) als terroristische Organisation einstufen.
Dem wollte Calmy-Rey nicht entsprechen, wie deren diplomatischer Berater, Roberto Balzaretti, sagte. Bern stufe lediglich das Netzwerk El Kaida als terroristische Organisation ein. Allerdings prüfe die Schweiz die Blockierung von Geldern im Zusammenhang mit der früheren PKK.
swissinfo und Agenturen
Rund die Hälfte aller Kurden leben in der Türkei.
Sie sind eine der grössten Volksgruppen ohne eigenen Staat.
Bei der Gründung der Republik Türkei 1923 verloren sie ihren Status als Minderheit.
Die Kurden galten fortan als Türken, denen keine kulturellen und ethnischen Unterschiede zugestanden wurden.
In den letzten achtzig Jahren ist es deswegen zu wiederholten heftigen Aufständen gekommen.
Im Rahmen der EU-Annäherung hat sich Ankara verpflichtet, die Rechte der Minderheiten künftig zu respektieren.
Ein neues Gesetz erlaubt den rund 12 Mio. Kurden Unterricht in ihrer Muttersprache und kurdische Radio- und Fernsehsendungen.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) unterstützt vier nicht-staatliche Organisationen (NGO) im vorwiegend kurdischen Südosten der Türkei.
Es setzt dafür über mehrere Jahre verteilt insgesamt 3,7 Mio. Franken ein.
Die NGO engagieren sich gegen häusliche Gewalt sowie Gewalt gegen Kinder und fördern die Ausbildung von Frauen.
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