Paradigmen-Wechsel im Wander-Paradies
Die Tage des Wanderns alten Zuschnitts neigen sich dem Ende zu. Nicht nur in den Alpen, sondern auch im touristischen Hinterland der Schweiz, wo man froh um neue Marktnischen ist.
Bisher ging man einfach wandern. Laut Ruedi Jaisli soll man das Wandern künftig wie eine Reise buchen können.
Das Wandern feiert ein Revival. Ob dank Terrorangst, Budget- oder Gewichtsproblemen, oder wegen der alternden Bevölkerung, das Wandern wird wieder Mode. swissinfo befragt den Routenwander- und Aktivreisen-Pionier Ruedi Jaisli zu den Gründen dieses Comebacks.
Seit 25 Jahren ist Jaisli als touristischer Veranstalter in diesem Geschäft tätig. Zuerst bei SSR-Reisen, dann sieben Jahre als Gründer und Chef von Eurotrek. Ab 1998 war er Mitglied der Projektleitung Human Powered Mobility (HPM) der Expo.02.
Seine Spezialität sind Routenreisen – neuerdings auch Wanderrouten – mit Gepäcktransport, Verpflegung und Übernachtung, als Arrangement verpackt, inklusive dem entsprechenden Tour Operating und der Vermarktung.
Mit dem Routenprodukt «Veloland Schweiz» hat sich Jaisli einen Namen gemacht. Es ist inzwischen zum Begriff geworden: Mit diesem nationalen Routennetz verfügt die Schweiz seit wenigen Jahren über eine Infrastruktur, die sich in Europa sehen lassen kann. Dasselbe gilt für den Bereich Inline Skating, dem Rollschuhfahren.
swissinfo: Nach dem Veloland Schweiz und dem Skaten kommt nun das Wandern. Mit Swiss Trails wenden Sie Ihr bewährtes Konzept auch aufs Wandern an. Wird Wandern wieder in?
Ruedi Jaisli: Es zeichnet sich tatsächlich ein Revival des Wanderns ab. Aber der so genannte Paradigmen-Wechsel findet weniger in der Köpfen der Wanderer als in jenen der Marketingprofis ab. Auslöser dieser neuen Denkweise sind auch die Ausrüster.
Plötzlich braucht es High-Tech-Stöcke zum Wandern, Puls-Mess-Chips, eventuell noch ein GPS-Navigationssystem, um sich nicht zu verirren.
swissinfo: Was hat das für Folgen?
R.J.: Jedes Marketing arbeitet mit Bildern. Doch bisher liess sich das Wandern nicht genügend attraktiv in Bildern festnageln. Das Schlüsselerlebnis lässt sich nicht richtig auf den Punkt bringen.
Anders ist dies bei den Aktivsportarten: Die spritzigen Blickfänge vom Canyoning, River Rafting oder rund ums Biking gaben dankbare Aufhänger ab, obschon die wenigsten Gäste in den Alpen biken oder in vom Wildwasser pittoresk ausgewaschene Bachbetten steigen.
Auf die Adventure-Welle folgte die alpine Wellness. Sie lässt sich bildlich ebenfalls dankbar darstellen: Körper, Wasser, Marmor, Bewegung. Inzwischen erscheinen auch die Wellness-Sujets als etwas ausgelutscht.
Da kommen die neuen Ausstattungs-Produkte fürs Wandern zeitlich gerade richtig.
swissinfo: Schuhe, Stöcke, Pulsmesser etc. Ist das nicht zu wenig?
R.J.: Es geht um viel mehr als um die die Ausrüstung, die Hardware. Wandern lässt sich thematisch bestens verknüpfen mit einer Reihe von Dienstleistungen, die bereits bestehen und nur auf mehr Kundschaft warten: Gastronomie, Events, Wellness zum Beispiel.
Die Schlüsselfrage lautet beim Wandern, wie aus der harmlosen Aktivität ein attraktives Produkt gemacht werden kann.
swissinfo: Dann könnte das Wander-Revival auch mit einer Art touristischem Produktezyklus erklärt werden?
R.J.: Ich würde eher von Verlegenheits-Lösung sprechen. De facto nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Menschen in Europa stark ab. Viele werden dicker, oder älter – oder beides.
Nur eine Minderheit tut etwas dagegen. Der Wanderradius beträgt bald nicht mehr als eine Wegstunde ab Autoparkplatz. Vor wenigen Jahren haben wir Europäer aus diesem Grund noch die Amerikaner ausgelacht. Heute sind auch wir soweit.
Nur sind die Amerikaner schon wieder weiter. Sie haben auch aus dieser harmlosen Aktivität, dem Hiking, ein Business gemacht.
swissinfo: Weshalb ist das in der Schweiz so schwierig?
R.J.: Man meint fälschlicherweise hierzulande, dass ein wandermässig perfekt ausgeschildertes Wegnetz schon ein Produkt sei. Kommerz wird ohnehin als negativ erachtet, also lässt man die Vermarktung sein.
Doch hier liegt die Crux. Denn die Wander-Sektionen beispielsweise sind kantonal und regional strukturiert. Dem Fernwanderer jedoch ist es egal, wo regionale Kompetenzen aufhören.
Wegen dem Föderalismus respektive dem eingeschränkten Kompetenzradius von Sektionen und Verkehrsvereinen kamen geografisch oder thematisch sinnvolle, touristisch zusammenhängende Routen kaum zustande.
swissinfo: Entspricht dies dem bekannten Phänomen der Skigebiete in den Alpen, die ebenfalls bis vor kurzem rigid den Tal- und Gemeindegrenzen folgten?
R.J.: Ungefähr. Nur konnte man traditionell im Winter nichts anderes tun als Skifahren – und das kostet auf jeden Fall Geld, weil es eine Infrastruktur braucht. Beim Wandern hingegen, im Sommer, fiel es nicht so auf, weil damit ohnehin wenig Business zu machen war.
Bergorte und Berghotels wollen ausserdem keine «Durchgangswanderer» auf Fernrouten, sondern «Aufenthaltswanderer», die möglichst eine Woche lang abends immer wieder zurück ins Hotel kommen.
swissinfo: Diese Gegenden sind jedoch alle flach oder hügelig und nicht alpin.
R.J.: Eben. In der touristischen schweizerischen Vorstellung muss das Wandern aber in erster Linie in den Alpen erfolgen. Dabei sind zwei Drittel des Landes zwar hügelig, aber nicht alpin.
Dies sind genau die nicht nur touristisch, sondern auch wirtschaftlich vernachlässigten Randgebiete – wie etwa weite Teile der Ostschweiz, oder das Hinterland im Kanton Waadt. Wandern, Velofahren und Skaten wären dort strategisch zentral, weil es sonst wenig andere Möglichkeiten gibt.
Hier muss man auch den Wunsch nach Kommerzialisierung mit anderen Augen sehen, denn sie verspricht wenigstens etwas Wertschöpfung entlang dieser Routen.
swissinfo: Wander-Routen – ein Nischenprodukt mit regionalpolitischer Bedeutung also?
R.J.: Ja. Der Wandertourist liebt sanftes Hügelland, der Radwanderer will flache Flusstäler, und der Skater wiederum scheut steile Abfahrten, weil er nicht bremsen kann. Diese Leute wollen also nicht in die Alpen.
Innerhalb des gesamten Wander-Kuchens sind die Fernrouten nur eine Marktnische. Mit meinen Swiss Trail-Arrangements bin ich ein neutraler Tour Operator. Ich möchte aber gerne, mit dem ausländischen Beispiel vor Augen, auch in der Schweiz überregionale Kooperationen schmieden.
swissinfo, Alexander Künzle
Fernwandern ist im Ausland etablierter als in der Schweiz, wo es sich um eine Wander-Marktnische handelt.
Ein Fernwanderer übernachtet jeden Abend an einem anderen Ort auf der Route.
Gepäcktransport, Verpflegung und Beherbergung sind Teil des Arrangements, für das der Kunde bezahlt.
Das traditionelle touristische Wandern in der Schweiz findet im Alpenraum statt.
Dabei wird von einem Hotel oder Ferienort aus die Region erwandert.
So bleiben dem Ferienort die Einnahmen erhalten.
Ferienorte und Hotels sind deshalb nur bedingt an ‹Durchgangs-‹ oder Fernwanderern interessiert, die nur eine Nacht bleiben.
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