Perinçek leugnet nochmals Genozid
Der türkische Politiker Doğu Perinçek bezeichnete den Schweizer Antirassismusartikel als ein "Inquisitionsgesetz aus dem Mittelalter".
Perinçek, gegen den wegen Genozid-Leugnung bereits ermittelt wird, wiederholte ini einem Interview seine Äusserungen zum Armenier-Massaker.
Im Konflikt um die Armenier-Frage hat der türkische Politiker Doğu Perinçek den Schweizer Antirassismus-Artikel mit der Inquisition verglichen. Perinçek ist Chef der türkischen linksnationalistischen «Arbeiterpartei».
«Arbeiterpartei»: Weniger als 1% der Stimmen
Diese Partei hatte 2002, während den letzten Parlaments-Wahlen in der Türkei, 0,51% der Stimmen erhalten. Sie ist deshalb nicht in der Grossen Nationalversammlung vertreten, wo ein Quorum von 10% als Eintrittshürde besteht.
In einem Interview mit dem «SonntagsBlick» sagte er, dass das Antirassismusgesetz die Grundrechte verletze und der Meinungsfreiheit widerspreche. Die Schweiz verliere dadurch die Freundschaft der Türkei und den Respekt in der Welt.
Es gebe keinen Völkermord an den Armeniern, wiederholte der Politiker im Interview seine umstrittene Äusserung zu den Massakern vor 90 Jahren im damaligen zusammenfallenden Osmanischen Reich.
Überzeugung in russischen Archiven gefunden
Verschiedene Historiker gehen von Opferzahlen bis über 1,5 Millionen aus.
Er habe lediglich «seine wissenschaftliche Überzeugung geäussert», zu der er «nach langen Untersuchungen in russischen Archiven» gekommen sei.
Zwar habe er gewusst, dass die Schweiz eine Antirassismus-Strafnorm habe. Seine Auftritte seien gleichwohl nicht als Provokation gemeint gewesen. Er fühle sich lediglich der Wahrheit verpflichtet, sagte Perinçek.
«Schweiz schlimmer als Türkei»
Eine drohende Verurteilung in der Schweiz verglich er mit Gefängnis-Erfahrungen in der Türkei. «Die Schweiz ist schlimmer», meinte Perinçek gar.
Aufgrund des Antirassismus-Artikels laufen in der Schweiz Ermittlungen gegen zwei Türken, neben Perinçek auch gegen den Historiker Yusuf Halaçoglu, die beide mehrmals den Genozid an den Armeniern geleugnet hatten. Diese Haltung entspricht auch derjenigen der Regierung in Ankara.
Ermittlungen lösten heftige Kritik aus
Die Ermittlungen haben in der Türkei heftige Kritik ausgelöst. Unter anderem wurde am Mittwoch der Schweizer Botschafter in Ankara, Walter Gyger, ins Aussenministerium bestellt.
Am darauf folgenden Tag liess sich der türkische Botschafter in Bern, Alev Kiliç, auf eigenen Wunsch im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die Situation aus Schweizer Sicht erklären.
Das EDA wies zudem darauf hin, dass der Bundesrat die tragischen Deportationen und Massaker an Armeniern in der Endphase des Osmanischen Reiches immer verurteilt habe. Es sei aber vor allem eine Aufgabe der historischen Forschung, Licht in die damaligen Ereignisse zu bringen.
Der Bundesrat begrüsst daher den Vorschlag der türkischen Regierung, dass sich eine gemischte türkisch-armenische Historikerkommission gemeinsam der Frage annimmt.
Meinungs-Freiheit oder Behauptungs-Freiheit
In der Schweiz hat auf Bundesebene nur der Nationalrat das Armenier-Genozid offiziell anerkannt. Dies hat aber keinen Einfluss auf die rechtliche Praxis: Gemäss Antirassismusgesetz werden nicht nur das Leugnen von Genoziden, sondern allgemein von «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» geahndet.
Neben Perinçek warnt nun auch Botschafter Kiliç vor einer Beschränkung der Meinungsfreiheit. «Nur schon die Tatsache, dass die Schweizer Behörden solche Untersuchungen eröffnen, ist ein gravierendes Signal an die Türken, die in der Schweiz leben oder hierher kommen: Es bedeutet, dass sie ihren Mund halten sollen», sagte er in der «NZZ am Sonntag».
swissinfo und Agenturen
2001 und 2003 anerkennen Genf und die Waadt die im 1. Weltkrieg begangenen Armenier-Gräuel als Genozid.
Im Dezember 2003 tut dies auch der Nationalrat, die Grosse Kammer des Schweizer Parlaments.
2003 sagt die Türkei deshalb einen Besuch der Schweizer Aussenministerin Micheline Calmy-Rey in Ankara ab. Die Visite wird 2005 nachgeholt.
Im April 2005 wird bekannt, dass die Winterthurer Staatsanwaltschaft gegen den türkischen Historiker Yusuf Halacoglu wegen Genozid-Leugnung ermittelt.
Im Juli 2005 ermittelt diese Staatsanwaltschaft auch gegen Doğu Perinçek, nachdem dieser den Genozid leugnete.
Perinçek machte die Äusserungen am Nationalfeiertag der Türkei in Lausanne. Dort wurde 1923 der Grundstein für die moderne Türkei gelegt.
Zwischen 1915 und 1918 töteten oder deportierten die Truppen des ottomanischen Reiches zwischen 800’000 und 1,8 Mio. Menschen armenischer Abstammung.
Die Massaker ereigneten sich in den letzen Tagen des ottomanischen Reiches, das 1923 endgültig der modernen Türkei weichen musste.
Die Türkei hat den Völkermord an den Armeniern nie eingestanden.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch